Nass noch vom Abduschen war sie, hatte ein bedrucktes Tuch um die Hüften geschlungen; „was ist Maracujà ?“ „ Maracujà ? Warten Sie.“ Eilig ging sie zurück ins Haus, erschien Momente später mit einer dickschaligen, verschrumpelten Frucht von der Grösse einer mittleren Orange. Skeptisch schaute ich auf den gelblichbraunen Ball in ihrer Hand, kleine Hände hatte sie, kleine Füsse; „und Sie sind sicher, dass man das trinken kann?“ Lachend legte sie das faulig aussehende Ding auf den Tisch und so plötzlich drangen gellende Schreie von dem Strässchen zu uns herüber, dass ich erschrocken zusammenfuhr.
„Birà! Das ist Birà!! Birà!!!“ Wie auf Kommando rannten alle Kinder über die Veranda in den Garten, umringten aufgeregt den kleingewachsenen, jungen Mann, der schüchtern eine riesige Styroporbox zu Boden stellte. „Wie viele? Mami!? Wie viele?!“ Sami zählte, konnte sich nicht schlüssig werden, wurde ungeduldig von dem ältesten Mädchen unterbrochen, „zwölf sind wir. Sie nehmen doch sicher auch ein Eis, Onkel?“ Es dauerte, bis ich begriff, dass ich gemeint war und amüsierte trat Viktoria hinaus zu der kleinen Meute, schickte nach Wasser für den jungen Mann, belud die Kinder mit den Eisstängeln; Sami kam mit einer Flasche angerannt, versuchte die Schreie nachzuahmen, alle lachten, schwatzten, bettelten und der Mann liess erneut seine Stimme gellen.
„Er brüllt die Namen der Sorten. Ziemlich laut, nicht wahr?“ Lächelnd überreichte mir Sé Antonios Frau die Caipirinha , setzte sich zu mir, „haben Sie Kinder?“ Ich schaute auf die Bande, die sich um den Eisverkäufer scharte, ignorierte die sich ausbreitende Leere, „nein, leider nicht. Ihr Gatte ist Portugiese?“ „Ja, er ist bei Kriegsbeginn in Moçambique hierher gekommen. Er war gut befreundet mit Viktorias Mann. Sie kennen sich aus Europa?“ Gelassen hatte ich in meiner Caipirinha gerührt, nahm jetzt einen Schluck, schmeckte eine bittere Süsse auf der Zunge, eine weiche Frucht mit kleinen, harten, bittersüssen Kernen; „nein, wir haben uns vor zwei Tagen kennen gelernt. Ich hörte, ihr Mann ist verunglückt.“ „Im Februar, ja“, sie nickte und ich bemerkte, dass ein geschäftiges Hin und Her begonnen hatte.
Der Tisch wurde gedeckt, Viktoria verschwand im Haus, Sé, wie sie ihn nannte, erschien mit den restlichen Caipirinhas , Fábio brachte knusprige Würstchen vom Grill und bekleidet jetzt mit Shorts und T-Shirt, in jeder Hand ein Bastkörbchen, bis an den Rand gefüllt mit seltsam wurzelartig geformten Brötchen, trat Viktoria an den Tisch. „Du hast sie für mich gemacht, Vicky, allerliebste Vicky!“ „Die sind für dich“, Malu erschien mit zwei weiteren Körbchen, „und die sind für uns alle.“ Viktoria setzte Max zurecht, füllte tiefroten Saft in die Gläser der Kinder, „und was ist das?“ „Randen mit Karotten und Orangen. Sehr gesund. Möchten Sie versuchen?“ „Später.“ Ich hob mein Glas, lächelte ihr zu, „erstaunlich“, und mit einem zufriedenen Lachen schnitt sie ein Stück Wassermelone für Max, forderte mich auf zuzugreifen und ich ass die schmackhaftesten Brötchen, die ich je gekostet hatte.
„Kennen Sie Tante Vicky schon lange?“ „Ich bin nicht deine Tante, Bruno, und ich werde mich nie daran gewöhnen, jedermanns Tante zu sein in diesem Land. Macht irgendwie alt, finden Sie nicht?“ Also doch nicht Schwägerin, erneut musste ich sie anlächeln und unbefangen erzählte sie die Geschichte unseres Zusammentreffens. „Du hast ihn mitgenommen, t ia ? Einen Fremden? Bist du verrückt geworden?!“ „Jû, er ist ein Gentleman. Er ist zwar ein Freund von Fernando Motta, aber zuerst ist er Gentleman, richtig?“
Ich protestierte, ich war kein Freund von Fernando Motta, hatte es ihr schon einmal gesagt, und immer noch ungläubig schüttelte das Mädchen den Kopf. „Du bist verrückt, Vicky.“ „Ganz recht, mein Kind, völlig verdreht. Zweitausend für die Teilnahme an einem Mittagessen, und sie lehnt ab!“ Viktoria stand auf, ging zu Fábio, knuffte ihn gegen die Schulter, „es war zu wenig, viel zu wenig. Bist du soweit? Können wir essen?“, ging hinein, kam mit brasilianischen Bohnen, Bananen und Reis zurück und er tranchierte das Fleisch.
Einstimmig war beschlossen worden, den nächsten Tag in Maresias zu verbringen und ich hatte eben mein Frühstück beendet, als sie ankamen, mich aufluden; wir fuhren bis zum anderen Ende der Bucht, errichteten dort unser Lager und erneut bewunderte ich das leuchtende Grün des Hügels, der sie abschloss, roch das Salz in der Luft, spürte die Hitze auf der Haut; weit draussen, verhüllt von leichtem Dunst, erkannte ich die Umrisse einer klippenartig geformten Insel und wie Pinselstriche hingen ein paar Wolken am Himmel, verschmolzen mit dem glitzernden Schaum der Brandung. Mit allen Sinnen gleichzeitig nahm ich die Schönheit dieses Ortes wahr, schaute auf die Frau neben mir, die in einem Strandstuhl sass und ihre Kinder beobachtete. Ich konnte nicht bleiben, hatte bereits alles versucht, mein Zimmer für ein paar weitere Tage zu behalten, aber das Hotel war ausgebucht, die Zimmer bezahlt, sehr wenig Hoffnung hatte man mir gelassen, anderswo etwas zu finden und übermorgen würde ich wohl abreisen müssen.
„Ich habe mich noch gar nicht bedankt für Ihre Empfehlung.“ Kurz nur streifte mich ein Lächeln, „bald kommt São Paulo, bleibt bis Neu Jahr. Landeinwärts werden Sie den Ort nicht wieder erkennen.“ Erneut das Lächeln, „erstaunlich, dass Sie noch ein Zimmer bekommen haben.“ Eben nicht, und ich sagte es ihr. „Kommen Sie zu uns, wenn Sie bleiben wollen. Die Kinder können bei mir schlafen.“ Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, sprang sie hoch, rannte über den Sand und fischte Max aus dem Wasser. Irritiert schüttelte sich der Dreikäsehoch, trat wütend nach den Wellen, trotzig wagte er sich wieder hinein, wurde erneut umgeworfen; ich sah orangefarbene Schwimmflügel, kleine Arme und Beine durchs Wasser wirbeln, unsanft setzte ihn die Welle auf den Sand und er brüllte. Viktoria, die ruhig zugesehen hatte wie er den Ozean herausforderte, stellte ihn jetzt tröstend auf die Beine, wischte ihm das Wasser aus den Augen und ich fragte mich, ob es so einfach sein konnte. Sie war gerne hier, konnte verstehen, dass man noch etwas bleiben wollte, und die Kinder würden in ihrem Zimmer schlafen.
„Er verliert immer mehr die Angst vor den Wellen. War Zeit, dass ihn eine wieder mal so richtig schüttelt.“ Sie hatte sich in ihren Stuhl fallen lassen, ihre Strandwache wieder aufgenommen, „wo ist Sami?“ „Er ist im Wasser, dort drüben, mit Sé; Viktoria, ich möchte Ihnen keine Ungelegenheiten bereiten.“ Glucksend lachte sie auf, „in den Ferien? Ich würde keinen Moment zögern und Ihnen bedauernd mitteilen, dass die Rezeption einen Fehler gemacht hat, wir ab sofort komplett ausgebucht sind.“ Ein kleiner, blauer Gummiball prallte gegen ihre Schulter und plumpste in den Sand. Sie hob ihn auf, drehte sich zu Bruno, der mit zwei Holzrackets in den Händen dastand und sie angrinste. „Ich habe geübt, tia Vicky.“
„Hoffentlich“; und ich schaute zu, wie sie den Ball schlug, rannte und lachte, dann hatte sie genug, warf das Racket in den Sand, tauchte ein und schwamm Richtung Brandung. Hoch türmte sich eine Welle über ihrem Kopf, mit kräftigen Zügen schwamm sie weiter, erwischte den Kamm der nächsten Welle und liess sich mittragen. Lange blieb sie im Wasser, spielte mit den Kindern, schwamm, tauchte in dem weissen Schaum, und dann stieg sie aus dem Meer, angespült von einer Welle, kam mit festen Schritten auf mich zu, wiegend in dem Sand, und ihr Lächeln traf mich wie eine Breitseite. „Die Seele waschen nennt man das.“ Ich nahm an. Am selben Tag noch zog ich um, wurde Gast in ihrem Haus, genoss den formlosen Umgang der Brasilianer, die lärmende Lebendigkeit der Kinder, verbrachte viel Zeit, mir ein Bild von Viktoria zu machen, sie festzulegen und einzuordnen.
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