‚Sie werden nicht schlafen können, Viktoria. Das ist schon Ihr zweiter Kaffee und erst noch schwarz.’ ,Mach dir um Vic keine Sorgen, Ryan, wenn sie nicht schlafen kann, dreht sie sich einen Joint. Komm, du hast mir erzählt, wie du Gras nach Brasilien geschmuggelt hast.’ ‚Sie haben Pot geschmuggelt, Viktoria? Das ist ja nicht zu fassen! Wie haben Sie das gemacht?’ Eine Binde hatte ich aufgeschnitten, eine Ferienration hineingestopft, zugeklebt, benutzt. Wer würde schon eine Mutter mit zwei Kindern aufhalten und einer Leibesvisitation unterziehen, und mit der Brille sehe ich eh seriös aus. ‚Ich hatte es in meine Hosentasche gesteckt.’ ‚Sie haben Pot hierher gebracht?’ ‚Nein, natürlich nicht. Ich bleibe nicht drei Wochen hier.’ ‚Und wie wollen Sie einschlafen heute?’ ‚Ich trinke noch einen Kaffee.’
Etwas blosser noch hätte er mich stellen können, vielleicht ist er ja doch ein Freund, hat nie etwas anderes sein wollen, war meine Einbildung pure Eitelkeit. Verdächtig hingegen das Interesse seines Neffen an meinen Schmugglermethoden, sehr verdächtig; und ich leere das Glas, etwas hoch für ein Näpfchen, etwas zu schmal, drehe es in meiner Hand, denke an das Mädchen, das ich einmal war, mein Schulweg sein Schiff, der Ozean, die Strasse des Magellan, er mein Held, mein allergrösster Held; und wir umsegelten die Welt, kaperten portugiesische Karavellen, brandschatzten die Spanier. Für die Königin. Er war ja doch ein edler Pirat gewesen; und ich lege mich zu den Kindern, schlafe ein, träume von dem Mann, von dem ich immer schon geträumt habe und als ich aufwache, kann ich mich zum ersten Mal an sein Gesicht erinnern.
„Sie hat gefohlt heute Nacht.“ Sami nickt aufgeregt. „Hast du das verstanden?“ „Das Pferdchen ist auf die Welt gekommen.“ Kaum Zeit zum Essen hat er und zu gerne würde ich wissen, ob der Grund für diese Eile das Pferdchen ist oder der Mann, der mit uns frühstückt, die ganze Luft für sich alleine braucht. „Kann ich vom Tisch, Mami?“ „Warte, bis die anderen fertig sind.“ Rührend kümmert er sich um Max, hilft ihm mit dem Ei; nur weg hier! „Viktoria, können wir vom Tisch?“ „Bitte, Vicky, wir waren noch nicht im Stall.“ „Von mir aus“, und als hätte er die ganze gestohlene Luft auf einmal ausgestossen, lachen wir plötzlich. Richard nimmt Max an die Hand, zusammen machen sie sich aus dem Staub, erneut wird sie dünn und zäh verteidige ich das bisschen, das ich zum atmen brauche, vergeude es mit keinem Wort, dann geht die Tür. „Kommst du, Vicky?“
„Was hat er zu dir gesagt?“ „Wer?“ „Paul.“ „Nichts.“ „Gut, er ist ein schrecklicher Langweiler und er wird meinen Vater anmachen, weil wir uns duzen.“ Weil wir uns duzen, klar, ist ja auch furchtbar; aber er geht mich nichts an, dieser Junge, seine Nöte, sein Vater, beschleunige meine Schritte, „wo ist Max?“ „Heather ist bei ihm.“ Ausgerechnet, die ist sich kleine Jungs nicht mehr gewöhnt, nicht so kleine, und ich will nicht, dass er vom Pferd getreten wird, gehe noch schneller; aber dann hält er sich an Sami und Sami hält ihn fest an seiner Hand. In respektvoller Entfernung vor dem grossen Tier und seinem Jungen stehen sie da, schauen zu, wie es säugt.
„Ich glaube, wir sollten zurück. Sandra ist abgereist und Lady Schwester wird ihr sicher folgen.“ „Ah, Schwestern sind das!?“, ärgere mich, weil sie mich doch nichts angehen, diese Leute, und Heather kommt uns entgegen, zerzaust irgendwie; die Jungen müssen ins Haus, „ja, Schwestern, und vielleicht kommt Dad jetzt mit zu den Steinen, er“, „warte! Machen wir ein Rennen. Zieht die Stiefel aus, los, wer zuerst am Ende der Halle ist. Komm Max, ich helfe dir“, sage alles noch einmal, bin sehr beschäftigt, habe keine Zeit, mich über Steine zu unterhalten, über Väter; „seid ihr bereit? Auf die Plätze, fertig, los!“ Glatt wie ein Eisfeld ist der Boden, ich sehe Türen gehen, Menschen, seine Augen, kann nicht bremsen, würde fallen, fliege durch die Halle seiner Berührung entgegen; eine Umarmung! Eine einzige nur, und Rob gönnt sie mir nicht! Elender Spielverderber; doch sie gehen, alle gehen sie weg, nur er bleibt hier, kommt mit in den Wald; Bauchschmerzen! Ich sollte fürchterliche Bauchschmerzen bekommen!
„Wie war das Dinner gestern?“ „Sehr gut. Ich würde Gladys gerne etwas in die Töpfe kucken“, laufe davon und Max rennt mir nach, ich werde langsamer, lasse mich fast einholen, werde schneller, bleibe stehen, fange ihn auf, schwinge ihn durch die Luft; auf dem ganzen Weg zum Teich spielen wir unser Spiel und dann wollen sie nicht warten, kennen den Weg durch den Wald; wir gehen weiter, es riecht nach Moos und Pilzen, feuchtem Holz, hinter Michael schlägt Sami sich durch dichtes Gebüsch einen Abhang hinunter, fast verschwunden sind sie schon, und Max wirft ihnen Steine nach.
„Nicht, Max! Keine Steine auf Leute werfen, wirf sie an den Baum, so, siehst du, getroffen, und jetzt du, ich muss nach Sami sehen.“ „Das ist eine Abkürzung, Vicky, mach dir keine Sorgen, Michael kennt den Weg, er ist nicht gefährlich.“ Ein kleiner Stein saust an meinem Kopf vorbei und schnell vor Wut ziehe ich mich hoch an einer Wurzel, packe den Wicht, habe doch gesagt, dass er das nicht tun darf, dass das weh tut, und warum muss ich immer ausrasten bevor er gehorcht? „Los, geh, geh und komm erst wieder her, wenn ich es sage!“ Empört schreit er auf, versucht Steinchen mit den Füssen zu schleudern, noch einmal gellt es durch den Wald und entkräftet lässt er sich zu Boden plumpsen, legt den Kopf auf seine Knie, weint über die Ungerechtigkeit der Welt und ich möchte mich neben ihn setzen, mit ihm weinen.
„Er wird der erste Diktator der Schweiz seit Menschengedenken.“ „Seit was?“ „Seit Menschen gedenken.“ Seit Menschen denken, das muss ich mir merken, „wäre das nicht immer schon? Und Max wehrt sich nur für das, was er für seine Interessen hält.“ „Viktoria, er hat dich mit Steinen beworfen.“ „Es war nur einer, und ich habe ihn bestraft. Ich gehe davon aus, dass Steine auf Leute werfen keine Bedeutung in seinem Leben haben wird. Ansonsten kann er immer noch mit den Bäumen trainieren“, suche mir einen Stein, fixiere einen Baum, ziele, „diesen da, den treffe ich.“ „Das war Zufall.“ „Meinst du?“ Ich schleudere noch einen; „du störst meine Konzentration“, „und du müsstest mich eigentlich Sir nennen.“ „Was?“ „Ja, du müsstest mich siezen und mich Sir nennen.“ „Ah, zu spät, tut mir Leid. Kriegst du Schelte?“ Ich will sie doch nicht wissen, seine Nöte, nehme einen Stein auf, ziele und er wartet, bis ich werfe. „Wie denkst du über die Monarchie?“
„Du störst meine Konzentration.“ „Sag mir, was du denkst.“ „Ich denke gar nichts. Ich bin Schweizerin, wir zerbrechen uns nicht die Köpfe über solche Sachen.“ „Du weichst mir aus, das tust du schon den ganzen Tag.“ „Warum sollte ich? Und warum über Dinge nachdenken, die mich nichts angehen? Ich bezahle keine Steuern hier und ich finde, du solltest mir keine solchen Fragen stellen, ich finde das“, mir fällt kein Wort ein, „unpassend?“ „Ja, genau, unpassend.“ „Und wieso findest du das? Hast du nicht eben gesagt, dass du dir über solche Sachen nicht den Kopf zerbrichst?“ Einen Stein brauche ich, nicht zu gross, nicht zu leicht, suche den Boden ab und er geht neben mir; „du bist eine Fremde, Viktoria, ein Aussenseiter, nur durch Zufall haben wir uns getroffen, werden uns nie mehr sehen. Wo also liegt das Problem, wenn ich mit dir über unpassende Dinge spreche?“ Laut ist seine Stimme geworden, fordernd, ich habe trotzdem keine Antworten für ihn, finde meinen Stein, richte mich auf.
„Du hast recht, Richard, ich bin eine Fremde, und darum könnte ich auch alles Mögliche sein. Eine Spionin zum Beispiel. Was meinst du? Angesetzt auf Onkel Robby, und ich habe meine Sache so gut gemacht, dass er mich in sein Haus einlädt, zusammen mit den Königskindern“, drehe mich um, schaue auf den Baum, nur auf den Baum, fühle den Stein in meiner Hand, lasse ihn schnellen; „niemals! So gut könntest du gar nicht sein!“ Ah, wie recht er hat, so gut könnte ich niemals sein, und zaghaft schlingen sich zwei Ärmchen um mein Bein. „ Desculpa .“ „Max, Amor , das darfst du nicht, Steine auf Leute werfen. Wenn du triffst, gibt das Löcher und tut weh. So, siehst du?“ Ich gehe in die Knie, nehme ein Steinchen, klopfe sanft auf seinen Kopf, „fühlst du wie hart er ist? Steinhart.“ Fest drückt er sich in meine Arme und lange halte ich ihn, so lange, bis er mich los lässt, bis er weiss, dass ich nicht mehr böse bin, höre ein Geräusch, ein Knacken, Schritte, atmen, sehe einen Schatten, Bewegung, zwei Männer, spüre seine Augen, und wie soll ich jetzt aufstehen?
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