Lachend hakte ich sie unter, wir machten uns auf die Jungen einzuholen, die ungeduldig voraus gelaufen waren, sich versteckten hatten, Maschinengewehrfeuer ertönen liessen, als wir sie entdeckten; befriedigt stellte ich fest, dass sie sich mochten und als sich Viktoria am Ufer des Teichs unter einen Baum hockte, Äpfel und eine Flasche Wasser aus dem Rucksack zauberte, hockte ich mich zu ihr. „Ich habe das Wurzelmehl gefunden, in einem brasilianischen Laden in der Stadt. Machst du diese Brötchen für uns? Und bitte sieh zu, dass Gladys alles aufschreibt.“ Ich grinste, und sie gab mir einen leichten Stoss, „die Brötchen also.“
Nach dem Lunch liess ich sie ziehen, hinaus zu den Ställen, überliess mich angenehmsten Vorstellungen, fühlte erneut Befriedung bei dem Gedanken, um wie viel einfacher die Zuneigung von James’ Söhnen alles machen würde, dann erhielt ich den Anruf. Er hatte es sich anders überlegt, war bereits unterwegs, zusammen mit Paul, Rebecca und Sandra; Walter meldete, dass Ryan und Lucie eingetroffen waren und leicht beunruhigt ging ich ihnen entgegen. „James kommt jetzt trotzdem, mit Freundin.“ „Na toll“, sagte Ryan, „ich hoffe, dein Gast ist hübsch, dann können wir den alten Katzen beim Kratzen zusehen. Aber dieser Paul und obendrein dein Kumpel James; mein Kind“, zärtlich küsste er Lucie hinters Ohr, „wir ziehen uns sofort zurück und speisen auf unserem Zimmer.“ „Würdest du gerne“, lachte sie, „sie sind eben vorgefahren“, und meine Unruhe verstärkte sich.
Angespannt und schlecht gelaunt trat James ein, wollte sofort seine Söhne sehen und Heather, nervös wie immer in seiner Anwesenheit, erklärte schnell, dass die Kinder draussen seien, mit Mrs. Tavares. Irritiert wandte er sich ab und ging in den Salon. „Ich hatte Richard jetzt sprechen wollen. Wieso weiss er nicht, dass wir kommen? Nein, ich will nicht spielen, Sandra, vielleicht später, und wer ist Mrs. Tavares, Rob?“ Gelangweilt stellte er sich ans Fenster und schaute hinaus. Der Himmel war schwarz geworden, wie Schemen tauchten plötzlich die Jungen vor uns auf, rannten lachend dem drohenden Regen davon, aufgeregt quietschend sass Max auf Richards Schultern, und bevor wir reagieren konnten, waren sie schon um die Ecke und verschwunden.
James war ihnen mit den Augen gefolgt, überrascht wandte er den Kopf zu mir, setzte zu einer Frage an, doch sein Blick blieb an Viktoria hängen, die gedankenverloren einen meiner alten Hüte in den Händen drehend durchs Gras ging. „Wer ist das?“, fragte er und wie angedreht prasselte Regen nieder, sie blieb stehen, liess sich das Wasser für einen Moment aufs Gesicht fallen, dann setzte sie den Hut auf, rannte los; mit ein paar grossen Schritten war James bei der Tür, riss sie auf, „kommen Sie!“, rief er und alle im Salon drehten die Köpfe. Mitten im Lauf wechselte Viktoria die Richtung, rannte mit gesenktem Kopf durch den strömenden Regen; „Himmel, wie viel Wasser!“ Sie lehnte am Türrahmen, zog die Stiefel aus, die triefende Jacke, legte alles zusammen auf den Boden, den Hut oben drauf, und er hielt noch immer die Tür.
„Danke, Sie haben mich vor dem Ertrinken gerettet.“ Lachend richtete sie sich auf, schaute ihn an, schaute und schaute, unverwandt, reglos, geradeso wie James, kommunizierend ohne Worte, und für einen Augenblick war ich wie vor den Kopf geschlagen; gab mir einen Ruck, die Situation war unhaltbar, stellte sie vor und er nahm ihre Hand, sagte, er freue sich. Sie schien zu erwachen, sagte, sie freue sich auch, Hoheit, fügte sie noch hinzu, und das Gesicht gerötet vom Laufen vielleicht, vielleicht auch von der kalten Luft, ging sie an uns vorbei, feucht kringelten sich die Haare um ihren Kopf, in Socken trat sie über die Schwelle, blieb stehen, als sei sie gegen eine Wand gelaufen und ich ging zu ihr, nahm ihren Arm, wollte sie eben vorstellen, als die Tür aufging und die Jungen hereinkamen. „Dad, kann Richard den Tee mit uns nehmen? Bitte! Das ist Sami, Dad, er spricht nur Deutsch und Portugiesisch und Richards Latein ist so viel besser. Das hilft nämlich, wirklich, bitte, Dad!“
Aufgeregt zog Michael Sami hinter sich her, Max hatte seine Mutter entdeckt, rannte schwatzend auf sie zu und sie hob ihn hoch, versteckte ihr Gesicht hinter seinem Köpfchen. „Sami, das ist mein Dad. Vater, verstehst du?“ „Vater“, wiederholte Sami, streckte zögernd die Hand aus und den Jungen aufmerksam musternd begrüsste ihn James, wandte sich dann missbilligend an Richard. „Du willst also den Tee im Kinderzimmer nehmen?“ Einen bangen Blick hatte der in Viktorias Richtung geworfen, stand jetzt mit gesenktem Kopf vor seinem Vater. „Ja, gerne.“
Seufzend gab James seine Einwilligung, die Jungen begrüssten die Gäste, dann blieb Richard vor Viktoria stehen, hievte sich Max auf die Schulter und ging mit einem etwas schiefen Grinsen zur Tür. Scharf zog sie die Luft ein, besänftigend trat ich zu ihr, „willst du dich etwas frisch machen, Vic? Du hast fünf Minuten“, strich ihr lächelnd eine Haarsträhne aus dem Gesicht, „mehr brauchst du nicht. Und zieh dir Schuhe an, ja.“
Kaum hatten sich die Türen hinter Viktoria geschlossen, ging Lucie in Stellung. „Was für reizende Kinder.“ „Schau dir die Mutter an, Liebes, Vater würde es umhauen. Stell sie ihm vor, Onkel Rob, sie sieht so unwahrscheinlich fruchtbar aus. Ich bin sicher, sie wird dir einen Erben schenken.“ Frech grinste er in die Runde und ich hatte das dringende Bedürfnis, ihn zu ohrfeigen. Die Atmosphäre war geladen, und das war ihm nicht entgangen. „Ryan, kopflastig wie immer. Ich finde sie sehr sympathisch, deine neue Freundin, Rob.“ Bohrend spürte ich plötzlich James’ Augen auf mir liegen, „befreundet, Lucie, ich war Gast in ihrem Haus in Brasilien und“, zögernd und sehr zurückhaltend betrat Viktoria den Raum, Walter hatte ihr die Türen geöffnet, meldete, dass der Tee serviert war.
Sie sass neben Ryan zu meiner Rechten, Lucie sass ihr gegenüber; „nein, danke, keinen Zucker. Nein, Milch auch nicht, danke.“ Abwehrend hatte sie die Hände erhoben, und sofort nahm Lucie ein Gespräch auf. „Schmeckt Ihnen der Tee nicht zu bitter ohne Milch und Zucker? Man sagt zwar, dass Kenner ihn so trinken, aber für mich würde er seinen ganzen Geschmack verlieren; nach Milch und Zucker.“ Sie lächelte und Viktoria rutschte unbehaglich hin und her, kindlich fast in ihrer Unbeholfenheit.
„Rob hat uns von Brasilien erzählt. Sind Sie zu Besuch in Europa?“ „Nein, nicht wirklich. Ich bin Schweizerin. Mein Mann war Brasilianer.“ „Aber sie kennen Brasilien?“ „Ja, ich habe eine zeitlang dort gelebt.“ „Darum also sprechen Sie Spanisch mit Ihrem kleinen Jungen. Max, so heisst er doch?“ So lieblich, die kleine Lucie, stellte sich Viktoria zur Seite und tadelnd kam auch gleich die unterkühlte Stimme von Paul, „Portugiesisch, Lucie, das solltest du eigentlich wissen.“
Ein Langweiler, sie waren sich einig, ein Blick hatte genügt, und voll südländischer Gelassenheit hob Viktoria die Schultern, schenkte Lucie ein warmes Lächeln, das seltsam starr wurde, als eine betretene Heather auf sie zu trat. Max war hingefallen, nichts Schlimmes, aber er wollte seine Mutter; Viktoria war schon aufgesprungen, war schon fast bei der Tür, als sie abrupt stehen blieb, sich umdrehte und eine hastige Entschuldigung murmelte. „Was für ein Benehmen! Kein Wunder; und die Schweizer sind auch nicht viel besser.“ Eine Spur zu gehässig war Sandras Stimme und in diesem Ton spöttischer Herablassung, den sie sich im gegenseitigen Umgang schon seit geraumer Zeit angewöhnt hatten, erklärte James sich bereit, nach dem Tee eine Partie zu spielen. „Deine Entzugserscheinungen sind eminent, meine Liebe, und diese Brötchen schmecken herrlich, Rob, wirklich, ausgezeichnet.“
Unter quälenden Belanglosigkeiten ging der Tee zu Ende, machte sich das Quartett an sein Kartenspiel, kühl und künstlich, als hätte keine fremde Frau unser aller Blut in Wallung gebracht. Meister dieses Spiels sind wir, doch ich verspürte keine Lust es zu spielen, setzte mich zu Ryan und Lucie ans Feuer, Viktoria war nicht zurückgekehrt.
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