Wäre kein hochfloriger, steingrauer Teppich auf das teure Parkett gelegt worden, hätte man eine herabfallende Stecknadel hören können. Es war mucksmäuschenstill, als er eintrat.
Ein leichtes Schaudern durchfuhr seinen Körper. Die Ausdrucke der Präsentationsfolien, die er für den Notfall angefertigt hatte, raschelten unter seinem Arm. Synthetikpapier war zwar nicht mehr State-of-the-Art, denn selbstverständlich lagen alle notwendigen Daten auf den Servern. Aber Mara, dem allgegenwärtigen Zen-Dämon, war es zuzutrauen, dass er sich sogar als Netzwerkfehler einschlich.
Als die Anwesenden sein Eintreten bemerkten, richteten sich gespannt alle Blicke auf ihn. Eine junge Assistentin, mit blondiertem Kurzhaarschnitt, wies ihm einen Platz zu. Unbeholfen setzte er sich auf den dunkelgrauen Ledersessel.
»Wollen wir beginnen, Scoutsupporter Sato?«, forderte ihn der CEO auf.
»Selbstverständlich Sir, sofort.«
Hektisch legte Haruki Sato seine Handfläche auf die dafür vorgesehene Stelle im Tisch. Unmittelbar darauf wurde die Glaswand am Kopfende milchig. Die Fensterflächen dunkelten automatisch ab und eine Präsentationsoberfläche erhellte einen Teil des Raumes.
Eine ältere, gepflegt aussehende Endfünfzigerin im dunkelgrauen Blazer, die ihm schräg gegenübersaß, übernahm die Rolle der Moderatorin.
»Computer, Aufzeichnung Revision Episode WW2/35 mit aktuellem Zeitstempel starten.« Das direkt vor ihr im Tisch eingefasste Display blinkte bereitwillig zur Eingabe von Notizen auf.
»Mr. Sato, wir möchten Sie bitten, uns von Mr. Batedors Abreise zu berichten.«
Der Scoutsupporter stand auf und eilte in Richtung Tischende. Hier vollführte er eine Handbewegung in der Luft, und sofort füllte seine Präsentation die gesamte Wand.
»Danke sehr. Heute Morgen, um zehn Uhr, habe ich Mr. Batedor im Transitraum empfangen. Exakt, wie vorgesehen.«
Er wischte die erste Folie beiseite. Ein Zeitplan erschien auf der Wand. Der Name Tomás Batedor und die Uhrzeit waren rot eingekreist.
»Alle Systeme arbeiteten korrekt, wie Sie aus der Analyse des Task-Monitors ersehen können. Gravitation 100%, Krümmungsgrad CTC abgeschlossen.«
Er wischte erneut, legte Daumen und Zeigefinger der rechten Hand aufeinander. Als er sie wieder öffnete, vergrößerte sich eine der Grafiken.
»Entschuldigen Sie Mr. Sato. Ich hätte eine kurze Zwischenfrage«, kam es vom anderen Ende des Tisches. Vor dem Auge des Scoutsupporters erschien ein leuchtend grüner Schriftzug mit dem Namen der Dame, welche die Frage gestellt hatte.
›Dr. Sommers, Melissa - CHRO‹ - die Personalchefin.
»Hat Mr. Batedor vor seiner Abreise Bedenken geäußert?«
»Nein, Ma’am, Mrs. Sommers. Den Eindruck hatte ich nicht. Im Gegenteil, er wirkte vielmehr neugierig und voller Tatendrang«, erinnerte sich Sato.
»Wie üblich habe ich ihn über die gesundheitlichen Risiken aufgeklärt und ihn die notwendigen Formulare unterschreiben lassen. Zum Schluss überreichte ich die Utensilien und wünschte ihm eine gute Reise.«
»Hat er noch irgendetwas gesagt?« Sato überlegte einen kleinen Moment.
»Den üblichen Scherz aller Historyscouts. Er sagte ›Bis gleich‹. Außerdem hat er sogar noch gewunken. Daran erinnere ich mich genau. Das hatte bis dahin noch keiner gemacht.« Einige der Anwesenden schmunzelten.
»Aber, ob er sonst noch irgendwas gesagt hat, Ma’am? Da bin ich nicht sicher. Ton- oder Videoaufzeichnungen fertigen wir im Transitraum leider nicht an.« Mrs. Sommers nickte.
»Danke, Scoutsupporter Sato.« Die Moderatorin blickte beflissen in die Runde der zehn Männer und Frauen, um die nächste Wortmeldung einzuleiten.
Der CEO beugte sich zum Mann neben ihm herüber und flüsterte ihm etwas zu. Aufgeregt knackte Sato die Fingerknöchel. Stellten sie seine Aussage in Frage? Sekunden vergingen. Jemand goss sich eine Tasse Tee ein. Das Plätschern durchbrach die Stille. Mit zwei Fingern griff sich Sato in den zugeknöpften Hemdkragen und versuchte, seine Krawatte zu lockern.
»Melissa, eine Frage bitte«, wandte sich der Vorstandsvorsitzende, ohne die Moderatorin zu beachten, an die Personalchefin.
»Können Sie uns Auskunft über das psychologische Gutachten von Mr. Batedor geben?«
»Aber natürlich, Paul.« Die Angesprochene räusperte sich, bevor sie fortfuhr.
»Das Ergebnis war in Ordnung. Mr. Batedor lag sowohl in den medizinischen, als auch in den psychologischen Tests in der Norm«, sagte sie ein wenig zu laut. Der CEO runzelte die Stirn und bohrte nach.
»In der Norm, Melissa? Also guter Durchschnitt?«
»Nein, geringfügig darunter«, gab die Personalchefin missmutig zu. »Wären die Anforderungen letztes Jahr nicht massiv erhöht worden, hätte er über dem Mittelfeld gelegen. Ich war von Anfang an gegen die Verschärfung des Auswahlverfahrens, aber ich wurde ja überstimmt. Es ist schwer genug, neue Historyscouts zu rekrutieren.«
»Nun, wie mir scheint, wurden die Vorgaben noch nicht weit genug erhört, Mrs. Sommers. Nicht wahr?«
Der Personalchefin schoss das Blut in den Kopf. Ihr war nicht entgangen, dass der CEO sie plötzlich wieder mit dem Nachnamen angesprochen hatte. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme dennoch ungebrochen selbstbewusst.
»Für sein Alter wurde Mr. Batedor als sehr reif und gefestigt eingestuft. Immerhin ist er mit fünfundzwanzig Jahren unser jüngster Historyscout. Es gab keinerlei Anzeichen für potentielle Insubordination, falls Sie darauf hinauswollen.«
Bei ihren letzten Worten schwang ein vorwurfsvoller Unterton mit.
»Tja, das können wir aus aktuellem Anlass wohl leider nicht mehr ausschließen«, entgegnete der CEO kühl.
»Wie Sie meinen«, gab sie leicht eingeschnappt zurück. »Allerdings würde ich gerne zuerst alle technischen Fragen klären, bevor ich unsere Mitarbeiter unter Generalverdacht stelle.«
»Es wird wohl das Beste sein, wenn wir das im Anschluss an die Sitzung in meinem Büro klären!«, beendete der Vorstandsvorsitzende das Thema barsch.
Betretenes Schweigen. Die Moderatorin nutzte routiniert deeskalierend die Atempause der beiden Entscheider und wandte sich nochmals an den Scoutsupporter.
»Mr. Sato. Bitte teilen Sie uns die Spezifikationen des eingesetzten Systems mit. Ist es korrekt, dass es sich um die ITER 4.0 Release V15.3 handelt?«
»Das ist korrekt, dies ist die neuste Version und aktuell im Einsatz.« Das Klirren eines Löffels in einer Tasse ließ ihn kurz aufschrecken. Jetzt bloß nicht ablenken lassen.
»Die ITER 4.0 ist mit fünfzehn Standards konfiguriert«, ergänzte er. Sato verschränkte die Arme hinter dem Rücken, streckte sich und sog tief Luft durch die Nase ein. Bis jetzt lief es doch ganz gut. Einigen Gesichtern nach zu urteilen, erwartete man noch mehr Informationen. Daher fügte er rasch hinzu: »Ich möchte noch erwähnen, dass die Norm von fünfzehn Standards, also Zeitsprüngen, von der medizinischen Division akzeptiert worden ist. Natürlich müssen, neben dieser maximal erlaubten Anzahl Reisen, auch die Vorgaben in Bezug auf Entfernung des Ziels, den zeitlichen Abstand der Expeditionen, sowie die vorgeschriebenen medizinischen Behandlungen, strikt eingehalten werden. Eine Überschreitung dieser Grenzen führt unwiderruflich zu irreparablen Zellschäden. Im schlimmsten Fall zum Tod.«
Irgendjemand im Raum schnaufte hörbar. Leicht irritiert schaute Sato sich um, fuhr dann aber fort.
»Zur Sicherheit verfügt die ITER 4.0 deshalb über einen Notfall-Mechanismus, der eine Rückkehr vor Verbrauch der Sprungpunkte ermöglicht. Es ist zu diesem Zeitpunkt leider noch nicht bekannt, ob der Vorgang in der betroffenen Episode ausgelöst wurde. Ersten Analysen zufolge, kehrte das Tablet regulär zurück. Alle fünfzehn Standards wurden verwendet.«
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