Ernst von Wittelsbach wurde zum neuen Erzbischof und Churfürsten gewählt, musste aber zunächst um seine Herrschaft kämpfen, denn Gebhard gab seine Macht nicht kampflos ab. Es folgte ein verheerender Krieg, der das Rheinland über fünf Jahre in große Not und Elend stürzte, bis endlich wieder Frieden einkehrte und die erzkatholischen Wittelsbacher ihre neue Herrschaft festigen konnten.
Auf der gegenüberliegenden Seite erhob sich der Drachenfels, eine der wenigen, noch intakten Burganlagen, die auf dem Gipfel eines Berges in den Septem Montes , den Sieben Bergen stand.
Bald, sehr bald schon, würde er in Bonn sein und endlich in der churfürstlichen Residenz vorsprechen. Liebknechts Gespinst aus Lügen und Intrigen würde zusammenbrechen und die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen. Bei dem Gedanken daran ließ ein gehässiges Grinsen sein Gesicht zu einer teuflischen Fratze erstarren. Er trieb die alte Schindmähre, auf der er saß, zu einem letzten Ritt an. Danach sollte sich der Abdecker um sie kümmern. Sie hatte ausgedient, so wie Liebknecht.
*
5.1 Falsches Zeugnis
Bonn, churfürstliche Residenz, 24. November AD 1626
»Ich möchte einen Mord melden!«, begann Jodokus, nachdem er die Wachstube der Residenz betreten hatte. Der Raum war schlicht und zweckmäßig eingerichtet, so wie es dem Geschmack des Churfürsten entsprach. In der Mitte stand ein derber Tisch mit abgewetzter Platte, der dem daran sitzenden Soldaten als Arbeitsplatz diente. Dazu gesellten sich ein paar schlichte, ungepolsterte Stühle und Schemel als Sitzgelegenheiten und ein spärlich gefülltes Aktenregal an der Wand neben dem Waffenständer, in welchem Musketen und Hellebarden abgestellt waren. Der breitschultrige, dunkelhaarige Soldat mit stoppelbärtigem Gesicht, der seinen Dienst in der Wachstube bisher eher gelangweilt versehen hatte, sah auf. Misstrauisch beäugte er den Mönch.
»Wen habt Ihr getötet, Bruder?«, versuchte er, mehr zu erfahren und blinzelte Jodokus dabei mit zusammengekniffenen Augen an. Jodokus quittierte die Unterstellung mit einen zaghaften Lächeln.
»Ihr habt mich falsch verstanden, Herr Hauptmann«, antwortete er bewusst übertrieben, denn er wusste genau, dass er einen einfachen Sergeanten vor sich hatte. Er wollte dem Manne schmeicheln, dem seine schlechte Laune buchstäblich im Gesicht geschrieben stand. Diese Übertreibung verfehlte ihre Wirkung nicht.
Geschmeichelt lächelnd neigte der Soldat sein Haupt.
»Sergeant, Pater, ich bin Sergeant. Womit kann ich dem ehrenwerten Diener unseres HERRN behilflich sein?« Jodokus erwiderte nun das Lächeln, stellte aber nicht klar, dass er kein Pater war, denn die Priesterweihe hatte er nie angestrebt und dementsprechend auch nicht erhalten.
»Wie gesagt, ich möchte einen Mord melden«, wiederholte er sich.
»Wer wurde ermordet, Pater?«, fragte der Soldat nun diensteifrig. Der Mönch seufzte, als würden ihn die Erinnerungen quälen. Der Sergeant reagierte wie beabsichtigt.
»Wollt Ihr Euch setzen?«, bot er Jodokus einen Platz an. »Möchtet Ihr einen Schluck Wein?«
»Habt vielen Dank, gern«, antwortete der Mönch und nahm auf einem einfachen Holzstuhl Platz, während der Sergeant in einen schmuddeligen Tonbecher mit Wein füllte. Dann schob er diesen schwappend Jodokus über die zerkratzte Tischplatte zu. Jodokus ergriff den Becher und trank widerwillig dem Wachmann zu.
»Danke, jetzt fühle ich mich schon besser.«
»Nichts für ungut, Pater. Also, nun sagt mir, wer wurde umgebracht?«
Der Kreuzbruder setzte ein trauriges Gesicht auf und seufzte nochmals vernehmlich.
»Ein guter Freund«, begann er und schien noch einmal in seinen traurigen Gedanken zu versinken, ehe er weiter sprach: »Georg, hieß er, Georg von Wittges.«
Der Sergeant notierte den Namen.
»Wann und wo wurde er ermordet, wo ist die Leiche?«
Wieder seufzte Jodokus vernehmlich, als quälten ihn furchtbare Erinnerungen, und rieb sich die Augen. Dabei drückte er mit den Fingernägeln in seine Augäpfel, so dass ihm Tränen in die Augen schossen.
»Verzeiht, Georg war ein guter Freund«, entschuldigte er sich. Der Wachmann räusperte sich.
»Ja, verstehe«, brummte er.
»Ihr müsst wissen, dass der Mord schon viele Jahre zurück liegt. Wir waren noch Kinder. Aber jetzt muss ich mein Gewissen erleichtern.«
Der Sergeant beugte sich vor.
»Hab‘ ich richtig verstanden, der Mord liegt schon Jahre zurück?« Jodokus nickt nur. »Wisst Ihr denn, wer Euren Freund getötet hat?« Wieder nickt Jodokus nur, aber dann presste er seine Antwort heraus:
»Der Mörder heißt Matthias Liebknecht!«
Bei Liebknechts Namen riss der Soldat die Augen weit auf. Liebknecht war churfürstlicher Commissarius, verantwortlich für criminelle Delikte und somit sein Vorgesetzter. Der Sergeant schluckte bei dem Gedanken, diesen Mann verhaften zu müssen. Außerdem weilte der Commissarius derzeit nicht in Bonn. Niemand wusste, wo er sich überhaupt befand. Der Mann setzte sich aufrecht hin.
»Liebknecht, sagtet Ihr. Und der Mord liegt länger zurück? Hm, das solltet Ihr besser mit einem der anderen Herren Commissare besprechen.«
»Gern, wen würdet Ihr empfehlen?«
Der Sergeant der Wache erhob sich.
»Folgt mir, ich werde Euch zu Commissarius Buirmann bringen.«
Kurze Zeit später wiederholte Jodokus seine Anschuldigung gegenüber Dr. Franziskus Buirmann. Interessiert hörte dieser zu und umspielte dabei mit seinen Fingern den Spitzbart an seinem Kinn.
»Eine höchst delikate Anschuldigung, die Ihr da vorbringt, Frater Jodokus. Könnt Ihr mir mehr über die Umstände und den Hergang des Todesfalls berichten?«, wollte Buirmann schließlich wissen.
»Gewiss. Wir waren noch Kinder, als es geschah. Damals waren wir noch Novizen der Benediktinerabtei auf dem Michaelsberg zu Siegburg. Liebknecht war schon immer ein Sonderling und der einzige von uns ohne edle Abstammung. Darum blieb er sich auch stets für sich. Aber er neidete uns unsere Gemeinschaft. Eines Tages luden wir ihn zum Spiel ein. Schließlich schlug er eine Mutprobe vor. Georg, Gott hab ihn selig, war schon immer ungeschickt und ängstlich gewesen und wurde deshalb von Liebknecht verspottet. Liebknecht überredete Georg zu einem Balanceakt auf den Zinnen der Klosterummauerung. Georg hatte es fast geschafft. Doch als Liebknecht dies bemerkte, erschreckte er ihn so sehr, dass Georg von den Zinnen stürzte. Für einen Augenblick konnte sich der Ärmste noch halten. Liebknecht hätte ihm helfen können. Stattdessen wartete er, bis Georg in den Tod stürzte. Dann lachte er, als würde der Teufel in ihm stecken.«
Buirmann hatte geduldig zugehört und lachte innerlich ob dieser Beschuldigung des ihm verhassten Commissars. Doch er ließ sich nichts anmerken. Wer weiß, vielleicht wollte ihn dieser Mönch nur hinters Licht führen.
»Warum habt Ihr Eurem Freund nicht geholfen und warum kommt Ihr nach so vielen Jahren erst damit heraus?«, hakte er bedächtig nach.
»Ich war erschüttert, so sehr geschockt ob dieser Missetat, dass ich weinend zusammenbrach. Viele Jahre hab ich mich gegen diese schmerzlichen Erinnerungen gewehrt, sie immer wieder verdrängt und mir eingeredet, es wäre ein Unfall gewesen. Doch Gott hat mich erleuchtet. Ich bin mir sicher, dass es eine geplante Untat war. Warum ist Liebknecht wohl aus unserer Gemeinschaft ausgeschieden? Warum verdingte er sich als Jurist bei unserem durchlauchtigsten Churfürsten? Wohl doch nur, weil er sich seiner Schuld bewusst ist und durch seine Profession von seinem wahren Charakter ablenken will«, antwortete Jodokus entschieden.
Buirmann überlegte eine Weile.
»Liebknecht genießt hohes Ansehen. Zudem ist er ein hervorragender Jurist. Churfürst Ferdinand schätzt ihn sehr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er eine solche Gräueltat begangen haben soll. Aber auch Ihr macht mir nicht den Eindruck, willkürliche Behauptungen aufzustellen. Darum erlaubt mir ein wenig Zeit, um die Angelegenheit zu überprüfen. Liebknecht weilt im Augenblick nicht in Bonn. Das verschafft mir ein wenig Zeit und Raum, Ermittlungen anzustellen. Ich schlage daher vor, dass Ihr mich in drei Tagen nochmals aufsucht, bis dahin habe ich Eure Angaben im Kloster zu Siegburg überprüft.«
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