Niemand wusste, wer sie war. Keiner wusste, woher sie kam und niemand begriff, dass sie das personifizierte Böse war. Heimlich schlich sich die Schöne in die Herzen, besonders der hohen Herren, verführte sie mit ihrer Anmut, betörte die Sinne mit ihrer Schönheit und fast zu spät erkannte man ihre wahre Gestalt und die Absichten, die sie verfolgte und mit List und Tücke zu verbergen wusste. In Wirklichkeit brachte sie nur Vernichtung und Tod in ihrem Gefolge mit. Ihren Namen weiß ich noch wie gestern, Andra Bedellus oder besser Angrboda, die Sorgenbringerin.
Hexe nannten sie die einen, Dämon die anderen, aber sie war in Wahrheit noch schrecklicher - sie war das Böse schlechthin.
Aus den Memoiren des
Maurus Schouwenaars van Leuven
Poppelsdorf, Mittwoch 25. November AD 1626
Die letzte Etappe seiner Reise von Rheinbach nach Poppelsdorf legte Matthias so, dass er in der Dunkelheit seine Wohnstatt erreichte. Der Wolf war inzwischen sein treuer Begleiter geworden, ähnelte mehr einem wilden Hund, als dem verrufenen Untier, das man in Wölfen vermutete. So begegneten die Menschen dem Tier mit Respekt, aber nicht mit Misstrauen, fragten allenfalls, warum sich Matthias denn diesen verwilderten Hund zugelegt habe. Er sei ein guter Wächter auf seinen langen, einsamen Reisen, gab der Advocatus stets zurück, was den Leuten als eine einleuchtende Erklärung genügte. Warum der Wolf nicht wie bisher die Ortschaften mied und Matthias nun auf Schritt und Tritt folgte, war dem Anwalt selbst noch nicht so ganz klar. Jedenfalls stellte das Tier keine Bedrohung für ihn dar, im Gegenteil, es hielt ihm allzu Neugierige und Aufdringliche vom Leibe fern.
In der Küche seines Hauses brannte noch Licht. Christian, sein Hausknecht, hatte die Pferde gehört und öffnete die Haustür.
»Herr Commissarius, seid mir gegrüßt!«, rief er völlig überrascht über Matthias’ Heimkehr.
»Pst, sei leise, Christian. Auch ich freue mich, endlich wieder zu Hause zu sein. Aber sei bitte leise. Es muss nicht gleich jeder wissen, dass ich wieder hier bin«, entgegnete Matthias freundlich, während er vom Pferd stieg.
»Wie ich sehe, habt Ihr Euch jetzt einen Hund zugelegt, Herr«, stellte der Knecht mit einem misstrauischen Blick auf den Wolf fest und packte die Pferde bei den Zügeln, um sie in den Stall zu führen.
»Sieht so aus, Christian, sieht so aus«, sinnierte der Anwalt und der Hausknecht schaute etwas verwundert drein, stellte aber keine weitere Frage. »Versorge die Pferde und dann komm ins Haus, ich habe einen Auftrag für dich«, sagte Matthias weiter und betrat in Begleitung des Wolfshundes sein Heim.
Grete, seine Hausmagd, wärmte ihm schnell einen Eintopf auf, den Matthias mit großem Appetit verschlang. Für den Wolfshund fiel ein Knochenmit Fleischresten ab, den Grete eigentlich hatte auskochen wollen. Brot und Wein rundeten das Mahl ab.
»Begib dich nach Bonn und suche im Cassius-Stift Pater Maurus auf. Sage ihm, dass ich ihn dringend sprechen muss. Sollte er nicht zugegen sein, sprich mit niemandem sonst darüber«, befahl Matthias seinem Knecht, nachdem dieser die Pferde versorgt und das Haus betreten hatte.
»Das wird den Pater sehr erfreuen, Herr«, antwortete Christian. »Euer Freund hat beinahe jeden zweiten Tag nach Euch gefragt.«
»So?«, tat Matthias verwundert, obwohl ihm klar war, dass sein Freund sich gesorgt haben musste, denn schließlich hatte er sich seit seinem übereilten Aufbruch vor vielen Wochen nicht mehr bei ihm gemeldet.
»Ja, der Pater ist nämlich regelmäßig in der churfürstlichen Burg in Lechenich. Muss dort einer Hexe als Beichtvater dienlich sein.«
»Der Ärmste!«, stellte Matthias wohlwollend fest.
»Nicht wahr? Wisst Ihr, Herr, diese Hexe hatte es fertiggebracht, unerkannt in einem Kloster zu leben. Manche verehrten diese Teufelin sogar als Heilige, stellt Euch das einmal vor!«
»Sicher, aber jetzt eile dich und erledige, was ich dir aufgetragen habe!«
Christian verschwand und ließ einen nachdenklichen Anwalt zurück. Was um alles in der Welt war während seiner Abwesenheit geschehen?
Erst in den frühen Morgenstunden kehrte der Hausknecht zurück.
»Was hat dich solange aufgehalten, Christian?«, wollte Matthias wissen.
»Herr, ich bin zunächst wie aufgetragen nach Bonn ins Stift gegangen, um nach Pater Maurus zu fragen. Aber es war schon schwierig, in die Stadt zu kommen. Die Tore sind doppelt besetzt und die Stadtwachen patrouillieren durch alle Straßen und Gassen. Ich fragte, was los sei, doch niemand wollte mir eine Auskunft geben. Herr, vielleicht gibt es Krieg!«
»Das glaube ich kaum, Christian. Aber was ist jetzt mit Pater Maurus?«
»Ach ja, der. Also, der weilt zurzeit in Lechenich. Er wird morgen wieder zurück sein.«
»Gut, hab Dank, Christian.« Der Knecht nickte, blieb aber stehen.
»Ist noch was?«
»Verzeiht meine Impertinenz, Herr. Aber Ihr solltet Euch dringend in der Residenz melden.«
»Du hast Recht, was geht dich das an!«, entgegnete Matthias scharf.
»Im Grunde nichts, Herr«, gab der Knecht kleinlaut zu.
»Aber?«
»Man redet, Herr. Über Euch! Das bereitet mir und Grete Sorgen.«
»Was redet man denn?«
»Dass Ihr abtrünnig geworden seid, unerlaubt den Hof verlassen habt. Das man Euch entlassen und bestrafen würde.«
»Mir wird nichts geschehen, das verspreche ich dir«, lächelte Matthias mild. Als er alleine war, packte er eine seiner Reisetaschen aus. Das wichtigste waren die Schreiben ihrer königlichen Hoheit, Isabella Clara Eugenia von Österreich, Infantin von Spanien und Portugal. Sie gaben Matthias zum einem diplomatische Vollmachten und wiesen ihn zum anderen als hispanischen Gesandten aus. Irgendwie hatte Matthias das Gefühl, dass ihm die Schreiben noch sehr hilfreich sein würden. Ein Blick zur Uhr auf dem Kaminsims sagte ihm, dass es fünf Uhr in der Früh war. Er hatte also noch Zeit, ein wenig zu schlafen. Wenig später fiel er erschöpft von der Reise und der langen Nacht in einen traumlosen Schlaf.
Das Tier, das alle für einen Hund hielten, saß noch eine Weile auf seine Vorderpfoten gestützt da und beobachtete die Umgebung. Als das Tier sicher war, dass keine Gefahr drohte, legte es sich neben das Bett seines Herrn.
Plötzlich schreckte der Advocatus auf. Lautes Knurren hatte ihn geweckt. Noch vom Schlaf benommen, nahm er schemenhaft eine Gestalt an seiner Zimmertür wahr.
»Was, wer…was ist geschehen?«, stammelte er und richtete sich schlaftrunken auf.
»Beruhige dich. Ich bin es nur«, antwortete eine ihm vertraute Stimme und als sich sein Blick klärte, schaute er das blasse Antlitz seines Freundes Maurus van Leuven, der ihm zaghaft zulächelte. Nachdem sich Matthias schwerfällig von seinem Lager erhoben und den Wolfshund beruhigt hatte, erklärte er:
»Maurus, verzeih, ich habe geschlafen, weißt du. Aber wie kommst du eigentlich herein?« Der Advocatus umarmte seinen Freund zur Begrüßung.
»Dein Knecht war so freundlich und hat mich eingelassen. Ich hatte erfahren, dass er gestern zu später Stunde im Stift nach mir gefragt hatte. Da er keine Nachricht hinterlassen hatte, dachte ich mir, dass sein nächtlicher Besuch nur mit dir zu tun haben konnte. Also bin ich gleich hierher geeilt«, erklärte Maurus.
»Ich wusste, dass du eines Tages ein fähiger Ermittler sein würdest«, grinste Matthias freundschaftlich.
»Wie ich sehe, hast du dir einen Hund zugelegt. Das ist doch ein Hund, oder?«, fragte der Jesuit nach dem Tier.
»Das ist eine lange, merkwürdige Geschichte. Ich werd’ es dir später erzählen. Nun aber sag schon, was bedrückt dich, mein Freund?«
»Du warst noch nicht ganz fort, da erhielt ich von Churfürst Ferdinand die Order, als einer der Beichtväter für die inhaftierte Nonne Sophia Agnes von Langenberg zu fungieren. Man wirft ihr vor, eine Zauberische, eine Hexe zu sein, Matthias.«
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