1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 Zum dritten Male schwieg der Jesuit und blickte Langenberg traurig an.
»Das ist nicht alles, nicht wahr?«, fragte dieser. Maurus schüttelte sein Haupt.
»Nein, denn jetzt kommt Ihr ins Spiel. Auch wenn Ihr, wie Ihr eben noch bestätigtet, katholisch seid, seid Ihr dennoch in Diensten eines protestantischen Fürsten. Außerdem wirft man insgeheim Eurem Weibe ebenfalls Verwicklungen in Delikte ketzerischer Zauberei vor.«
»Unfug!«, donnerte der französische Rat urplötzlich. »Wie dem auch sei! Eure Dienste für einen protestantischen Fürsten und die Verdächtigungen gegen Euer Weib, waren schon Grund genug, an der Wahrhaftigkeit Eurer Tochter zu zweifeln. Montoro sah auch in dem engen Vertrauensverhältnis zu dem sehr jungen Pater einen Zusammenhang zu Sophias dämonischen Versuchungen, was schließlich zu dessen Abberufung und Versetzung in ein anderes, weit entferntes Kloster führte.«
»In was für einer Welt leben wir, Pater?«, sinnierte Langenberg traurig und senkte seinen Blick für einen langen Augenblick zu Boden. Maurus schwieg, ließ dem verzweifelten Mann Zeit.
»Ihr, wie steht Ihr zu meinem Kind? Haltet auch Ihr sie für eine Hexe?«
Maurus zuckte zusammen, Langenbergs Worte trafen ihn wie ein Schlag und ein unangenehmes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus.
»Ich bin Ihr Beichtvater, Euer Gnaden«, wollte er Langenbergs Frage ausweichen.
»Das ist keine Antwort auf meine Frage, Pater.« Der Ton des französischen Rats wurde wieder schärfer, sein Gesicht strahlte Entschlossenheit aus. Jetzt brauchte Maurus Zeit, um sich zu sammeln und die richtigen Worte zu finden.
»Ich glaube Eurer Tochter«, flüsterte er schließlich. »Ich glaube ihr, weil ich das Wunder mit eigenen Augen sah«, raunte er weiter.
»Was soll das heißen?«
»Es war vor Wochen, als ich das erste Mal auf Eure Tochter traf, um mich ihr vorzustellen. Plötzlich blutete das Kruzifix, das im Zimmer hing. Außerdem…« Unsicherheit beschlich den Jesuiten plötzlich. Er wusste nicht, ob er Langenberg alles anvertrauen konnte.
»Nun sprecht schon weiter und spannt mich nicht auf die Folter«, knurrte Langenberg ungeduldig. Unsicher blickte Maurus den französischen Rat an.
»Außerdem hat sie von Dingen erzählt, die, sagen wir, sehr erstaunlich sind und die sie im Grunde gar nicht wissen kann«, gab sich Maurus einen Ruck.
»Ihr sprecht jetzo sehr kryptisch, Pater. Wäre es Euch möglich, etwas genauer zu fabulieren?«
»Das ist alles nicht so einfach!«, gab Maurus gequält zu und tupfte sich den plötzlich auftretenden Schweiß von der Stirn. »Es war vor etwa eineinhalb Jahren, da entdeckte man unterhalb des Cassius-Stiftes zu Bonn zwei geheime Grabkammern mit insgesamt drei Gräbern. Die Sache wurde absolut geheim gehalten. In einer ihrer Visionen sprach Eure Tochter genau von diesen Gräbern.«
»Was war das für eine Vision, Pater?«, wollte Langenberg genauer wissen.
»Das darf ich Euch nicht sagen, will ich das Beichtgeheimnis nicht verletzen!«
»Nun stellt Euch nicht so an. Es geht um das Leben meiner Tochter. Ich bitte Euch! Wie soll ich mir ein Bildnis von meinem Kinde machen? Doch nur mit Eurer Hilfe! Ihr wisst doch, dass ich sie nicht besuchen darf.«
»Ja, ja, das sagtet Ihr bereits.« Unbewusst nagte Maurus an seiner zur Faust geballten Hand. »Ach, was soll’s!«, rief er schließlich aus. »Eure Tochter sprach von Maria Magdalena.«
Jetzt erzählte Maurus Nikolaus von Langenberg alles, was er über Sophias Visionen wusste. Staunend lehnte sich der Diplomat in seinem Sessel zurück, um sich dann wieder vorzubeugen und einen weiteren Becher Wein zu füllen, den er hernach in hastigen Zügen leerte.
»Es ist wie bei ihrer Mutter. Mein Weib verfügt auch über Ahnungen oder das zweite Gesicht, wie man sagt. Ja, es stimmt, darum geriet sie auch unter Verdacht, Hexerei betrieben zu haben. Ich habe mich immer dagegen gewehrt, wollte nie etwas davon wissen, habe es vor mir selbst geleugnet, auch wenn ich noch so oft Zeuge solcher Offenbarungen war. Es ist schrecklich, dass es jetzo mein Kind trifft. Ich hätte es viel eher unterbinden sollen. Nun denn, ich muss gestehen, an dieser Stelle versagt zu haben, Pater.«
Maurus empfand mit einem Male Mitleid.
»Es ist keine Sünde, Dinge nicht rechtzeitig zu erkennen. Gott wird es Euch bestimmt verzeihen«, versuchte er Langenberg zu trösten.
»Gott vielleicht, Pater. Aber ich selbst kann mir das nicht verzeihen.«
Nikolaus Langenberg erhob sich und ging in der Kammer auf und ab. Schließlich blieb er stehen und sah Maurus eindringlich an.
»Wohlan, Pater. Ich werde mir etwas einfallen lassen, einen Plan, der meinem Kinde helfen wird. Ihr werdet ihn Sophia übermitteln, sobald der Plan gereift ist.«
»Soll ich Eurer Tochter denn von unserer Unterredung berichten? Ihr Grüße übermitteln?«
»Nein!«, entgegnete Langenberg entschieden. »Ein falsches Wort und alles ist verloren. Ich danke Euch, Pater, für Eure Kooperation. Gehabt Euch wohl, ich werde zu gegebener Zeit wieder Kontakt mit Euch aufnehmen. Bis dahin vergesst, dass Ihr hier wart, vergesst meinen Namen. Aber achtet auf mein Kind, nur darum bitte ich Euch.«
Maurus erhob sich und wandte sich zum Gehen.
»Darf ich Euer Gnaden noch eine Frage stellen?«
»Bitte!«
»Wenn Ihr hier incognito als einfacher Kaufmann reist, was ist eigentlich mit Eurem Diener? Er sah mir eher amtlich aus?«
Langenberg lächelte amüsiert.
»Eure Frage kommt spät, aber dennoch, ich will sie gerne beantworten: Martin weilt an meiner statt in der churfürstlichen Residenz, um dort meinen möglichen Besuch vorzubereiten.«
»Verstehe«, antwortete Maurus und verabschiedete sich. Doch auf dem Weg nach draußen musste er sich eingestehen, eigentlich gar nichts zu verstehen und Langenberg wusste darum nur zu gut.
Draußen wehte der Wind Maurus dicke Schneeflocken ins Gesicht. Auf den Straßen und Gassen Bonns hatte sich eine dichte Schneedecke gebildet, über die der Jesuit nachdenklich mit knirschenden Schritten dem Cassius-Stift entgegenstapfte.
Was würde wohl als Nächstes geschehen?
***
4 Visionen einer Nonne
4.1 Die 4. Offenbarung
Und als es das vierte Siegel auftat, hörte ich die Stimme der vierten Gestalt sagen: Komm! Und ich sah und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war: Der Tod, und die Hölle folgte ihm nach. Und ihnen wurde Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, zu töten mit Schwert und Hunger und Pest und durch die wilden Tiere auf Erden. Offenbarung 6,7.8
Freitag 13. November AD 1626 zu Bonn
»Halte durch!«, murmelte der Postreiter dem Pferd zu und tätschelte ihm den Hals. Tier und Reiter waren gleichermaßen erschöpft, strebten von Süden her kommend den Toren Bonns zu.
Die Straße war holprig und hart gefroren, die Landschaft wirkte bizarr und die Luft roch nach Rauch, den der Wind von der nahen Stadt herübertrug.
Nur noch eine Meile, dachte der Mann bei sich, nur noch eine verdammte Meile, und stieß dem langsamer werdenden Tier die Stiefelabsätze in die Flanken. Der Gaul schnaubte und der warme Atem ließ die Nüstern des Pferdes rauchenden Schloten gleichen. Abrupt blieb das Tier stehen, verweigerte dem Reiter den Dienst. Dann knickten seine Beine ein, Pferd und Reiter stürzten. »Verdammt!«, entfuhr es dem Postreiter. Ich hätte doch noch einmal das Pferd wechseln sollen, schimpfte er in Gedanken über sich selbst und haderte damit, den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen zu müssen. Der Gaul schäumte, war dem Ende nahe. Prüfend blickte er sich um, kein Hof, kein Haus weit und breit. Friesdorf lag zu weit zurück und Kessenich war westlich am Venusberg gelegen, ein Umweg.
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