Solche Orientierungsschwierigkeiten sind mir neu - bisher brachte mein junges Leben zwischenmenschliche Verflechtungen jeglicher Art zwanglos zu Stande - aber hier bedrängt mich das zermarternde Gefühl, frühzeitig Flagge bekennen zu müssen. Francesca oder die anderen? Die anderen oder Francesca? Beim besten Willen - ich kann nicht einschätzen, welche dieser weitreichenden Entscheidung die richtige sein wird. Und eigentlich sollte ich aufhören über Derartiges nachzugrübeln.
Aus Trotz gönnen meine Filterplörre und ich sich eine Pause. Weder Rechnungen noch Mahnungen sind des Weglaufens befähigt und wenn es mir schon nicht gelingt, den Frust zu unterdrücken, so kann ich mindest versuchen, ihn sinnvoll und ertragreich zu kanalisieren.
Verärgert stelle ich fest, dass sich mein Notizbuch in der Handtasche befindet und jene im potentiellen Feindgebiet liegt - Anfängerfehler! Wenn es allerdings in diesem beispiellosen Unternehmen an etwas nicht mangelt, dann zweifellos an Stift und Papier. Bereits in der zweiten Schublade der überschaubaren Küche werde ich fündig. Möge das Messer gewetzt werden.
Also, wo war ich beim letzten Mal stehen geblieben? Ach ja - als meine verzweifelte Hausfrau lüstern auf den Schutz der Dunkelheit wartete und sich zum Zeitvertreib an ihren prallen Brüsten ergötzte.
Ja, so war es. So und nicht anders, kein Grund es schön zu reden. Ihr Mann fasste sie nicht mehr an. Irgendwann beschloss sie ein Ende und den feindseligen Entschluss fasste sie, als ein gewisses Maß erreicht war. Er es zu stark ausgereizt hatte. Sie einmal zu oft abwies. Schroff und unterkühlt. Von nun an durfte er diesen in Würde alternden Körper nicht länger ficken - selbst wenn er gewollt hätte.
Ja, es war ein Umstand zugegen, der sich einfach nicht abstreiten ließ, denn hier ging es um Kontrolle und das Gefühl, dass er sie hatte, erstickte sie fast. Besser man selbst hatte die Kontrolle. Das begriff sie früh - das lehrte man sie schmerzhaft.
Die Enthaltsamkeit machte ihr anfangs zu schaffen. Ihr fehlte die nestelnde Wärme, welche ein Mann zu geben fähig war, den sie einen Funken begehrte. Ja, das war eine Sache, die sich ebenfalls nicht abstreiten ließ - sie musste lernen, es sich selbst zu besorgen und zwar so effektiv, dass es den körperlichen Akt mit einem Schwanz kompensierte.
Ihr Körper war lange Zeit eine Waffe. Eine starke, wenn nicht gar die stärkste. In jedem Fall die verlässlichste. Ihr umtriebiger Fahrschein. Meistens für eine schlaflose Nacht, die es gehörig in sich hatte. Vereinzelt für ein paar folgende.
Sie waren alle so leicht verrückt zu machen, dass es sie erdrückend langweilte - war es doch immer bloß das Gleiche. Schema Routine. Sie wusste genau, was zu tun war. Ja, auch das war unbestreitbar. Ihr Körper führte zum Erfolg. Anstrengungslos. Das war also die jämmerliche Bestätigung, die das Leben für eine wie sie vorsah.
Sie brauchte nicht viele Liebhaber, um die Banalität zu durchblicken. Den Männern ging es um die nutzbringende Hülle, die befleckt werden musste. Dominieren und vergelten. Irgendwann galt Gleiches umgekehrt.
Eine Zeitlang trieb sie es wahllos mit jedem Dahergelaufenen und in den keinesfalls seltenen Fällen, dass ihr die Optik nicht genugsam zusagte, erregte sie sich an ihren eigenen Vorzügen. Daran, wie schnell sie immer feucht wurde. Ihre Nippel hart. Das waren ihre Minuten. Sie war ihr eigener Star. Der gleißende Mittelpunkt.
Diese Männer waren so irrelevant, dass sie Gesichter zeitnah vergaß. Namen sowieso. Wiederum barg das alles etwas Positives, denn bei jenen bedeutungslosen Geistern verspürte sie nicht den Drang, sie mit einem Messer aufzuschlitzen. Das hatten andere verdient.
Ja, so manches Mal verschenkte sie ihren Körper zu leichtfertig, doch nicht von Dauer, denn die Langeweile ermüdete sie eines Nachts vernichtend, den Genuss ihrer eigenen Reize konnte sie besser ohne männlichen Beistand verrichten. Und dann entdeckte sie da diese andere Art der Befriedigung. Erfüllender als jeder Fick mit einem Mann und befriedigender als jeder Ritt mit ihr selbst.
Ihr Körper. Ihr Herz. Ihre Seele. Niemand sonst durfte Macht über diese Sockel erringen. Beziehungsweise über das, was davon noch häppchenweise übrig war. Der Fehler wird ihr nicht wieder unterlaufen, das wusste sie zu verhindern. Es war längst beschlossene Sache. Einige mussten sterben, ob sie nun schlagartig einsichtig waren oder nicht.
Nachdenklich trank sie den letzten Schluck Tee, der inzwischen kalt war. Der süßliche Apfel-Geschmack dominierte trügerisch. Ihr Hintern. Zu oft gewaltvoll gefickt. Sie wollte diese Fragen längst ausradiert haben, doch so simpel war die menschliche Rasse nun mal nicht gestrickt - nicht getrost schwarz und weiß.
Hätte dieser Reifungsprozess gestoppt werden können? Wären die Dinge anders gekommen, angenommen einfühlsamere Schwänze hätte ihre Muschi bespritzt? Würde sie weniger Hass empfinden, wenn man sie durchweg gut behandelt hätte? Oder suchte sie am Ende bloß vorgeschobene Gründe, um gewissenlos töten zu können?
Als sie den schweren Vorhang der beigen Leinen-Gardine zur Seite schob, bemerkte sie, dass die Zeit langsam reif schien und zu Erleichterung gesellte sich Wollust. Endlich wird es dunkel, dachte sie lächelnd. Endlich wird es dunkel.
„Hey - wollte mal schauen, ob alles in Ordnung ist?“, klopft es an offener Küchentür. Hektisch verstecke ich die Notizen hinterm Rücken. Keine Mühe dagegen gebe ich mir, meinen Frust zu verbergen. „In Ordnung ist was anderes…“
Wenigstens hat sie bemerkt, wie angefressen ich bin und ist mir nachgekommen. Wenn auch mit geraumem Abstand. Dennoch kann Andrea froh sein, dass sie dem weiblichen Geschlecht zugehörig ist und diese Küche über kein Damaststahlmesser verfügt.
„Komm mal wieder runter. Was ist denn los mit dir?“
„Ich will aber nicht wieder runterkommen!“ Lieber will ich mich hochschaukeln. „Du nimmst dir null Zeit, um mich einzuarbeiten. Ich hab mir diesen Debitoren-Mist hier nicht ausgesucht, aber jetzt stecke ich halt mittendrin in der Nummer - also würde ich auch gerne was lernen, anstatt alle Klischees einer dummen Praktikantin zu erfüllen!“
Meiner fitnessbewussten Kollegin entgleitet ein wegweisendes Stöhnen. Pragmatisch und rational wie von ihr gewohnt, kontert sie wahrscheinlich mit einem altklugen Spruch à la: Das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert!
„Mensch Heidi - tut mir echt leid!“, werde ich eines Besseren belehrt. „Ich weiß nur selbst nicht, wie ich den nächsten Monatsabschluss hinkriegen soll! Genau genommen zwei, denn die Anlagen kleben mir ja noch zusätzlich an der Backe...“
Für den Moment waltet eine Atempause - begleitet von einem tiefen Seufzer.
„Ein Ding der Unmöglichkeit! Und von Inspektor Gadget habe ich keine Hilfe zu erwarten. Sorry, aber ich weiß grad echt nicht, wo ich mir aus meinem Sixpack noch die Zeit für dich rausschneiden soll. Und Francesca rastet aus, wenn die Abschlüsse nicht rechtzeitig fertig werden…“
Erstaunt nehme ich jene ehrlichen Worte, die aus Andrea heraussprudeln, zur Kenntnis. Nicht getrost schwarz und weiß. In meinem Egoismus war mir nicht bewusst, wie sehr sie selbst unter Druck steht. Jedenfalls nicht in dem Ausmaß.
„Ok - ich verstehe ja, dass du wenig Zeit hast“, befördere ich meinen genervten Ton in galantere Gefilde. „Aber wenn du mir einige Sachen zeigen würdest, könnte ich dir zumindest bei einem der beiden Abschlüsse helfen...“
„Du hast ja Recht!“, lenkt sie verständig ein. „Ich gelobe Besserung!“
„Wirklich?“
„Ja - versprochen! Weißt du was?“ Vielversprechend kneift Andrea mir ein Auge zu. „Wir marschieren jetzt hoch in den Vertrieb - dort oben ist es nämlich echt nett. So kommen wir zwei Miesepeter mal auf andere Gedanken und ich wollte dich eh längst vorgestellt haben. Danach setzen wir die Einarbeitung fort. Versprochen ist versprochen!“
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