Jedenfalls muss ich zeitiger ins Bett wandern, die herzerwärmende, möglichenfalls geringfügig kitschige Liebesromanze kostete mich eindeutig zu viel meines heißgeliebten Schlafes. Aber wann könnte ich es sonst tun? Mir verbleiben nur die Abendstunden und das Wochenende. Tagsüber muss ich Rechnungen einsortieren, sowie spekulativ auf das Wunder hoffen, dass die versprochene Fortsetzung von Andreas Einarbeitung kein Luftschloss bleiben wird. Anyways.
Freitagabende sind perfekt zum Schreiben, da sehe ich sonst meistens eh nur fern. Hiermit berufe ich offiziell den Bestseller-Freitag ein! Und falls es mich unter der Woche nicht aushaltbar unter den Fingern jucken sollte, werde ich einfach darauf Acht geben, den Stift oder die Tastatur rechtzeitig beiseite zu legen. Die maximale Schreibzeit wird mithin auf Mitternacht festgelegt - danach ist Schluss.
Überdies sollte ich mir überlegen, welche der beiden Geschichten ich zuerst vervollständigen mag? Die mordende Hausfrau im seidenen Negligé oder Dr. Alexander Strauss? Zwei differenzierte Genres samt unterschiedlichen Schreibstilen. Die Erzählung des Psychothrillers lebt von kurz gehaltenen Sätzen und teils vulgärem Ausdruck, der Liebesroman hingegen besticht durch eine romantische Handlung, verpackt in blumiger, altmodischer Sprache.
In Anbetracht des Höllenspaßes, die mir sowohl die Mords- als auch Herzarbeit bereitet, kann und will ich mich nicht entscheiden. Waghalsig beschließe ich eine parallele Schreibarbeit, je nach Stimmungslage. Und dann werde ich ja sehen, welches Buch zuerst ein genugsames Ende heimsuchen wird. Und dann begebe ich mich auf Verlagssuche. Und dann werde ich reich und berühmt.
„Schön, dass ihr pünktlich seid“, begrüßt uns meine Chefin lobend. „Und das an einem Montagmorgen. Ich bin hellauf begeistert!“
„Wir können es halt kaum erwarten, wieder arbeiten zu dürfen…“
Sollte Francescas Landsmännin eine Zusage von Spaduna erhalten, werde ich sie - um es mit ihrem Wortschatz zu umschreiben - aller Voraussicht nach derbe vermissen. Unser Büro, der beiden wortkargen Roboter inbegriffen, erwacht jedes Mal zum Leben, sobald Chiara hineinplatzt. Ihre Lebensfreude ist ansteckend und das vorlaute Mundwerk garantiert Unterhaltung. So wie augenblicklich.
„Alles in Ordnung mit dir?“, werde ich unfreiwillig als Ablenkungsmanöver missbraucht. „Wieso schaust du so ängstlich drein?“
Interessant wie meine fidele Chefin mich wahrnimmt. Na ja, besser ein scheues Reh als ein wandelndes Faultier, wie welches ich mich gerade in Wirklichkeit fühle.
„Nichts eigentlich.“ Außer dass ich tierisch müde bin - ein fesselnder Bestseller schreibt sich nicht von alleine.
„Allora! Es besteht absolut kein Anlass, um nervös zu sein!“, versucht Francesca mich unnötigerweise zu beruhigen. „Martin zeigt mir die Bankenliste und Andrea informiert mich über unsere Forderungen, damit ich jederzeit auf einem aktuellen Stand bin.“
„Ok!“
„Künftig wird das dann deine, beziehungsweise Chiaras Aufgabe sein. Aber wie gesagt - das ist kein Grund, um Panik zu generieren!“
„Ok!“, entgegne ich abermals kurz und bündig.
„Wunderbar! Zuweilen werde ich zwar dazu genötigt, ein wenig zu schimpfen, aber bis jetzt hat noch jeder unversehrt mein Büro verlassen. Ich bin kein bissiger Eislöwe!“
Innerlich muss ich schmunzeln - verwies Martins Appell nicht exakt auf jene Analogie? Gut, bezüglich des Ortes ist eine Abweichung existent. Anstelle des südlichen Afrikas mit seiner Vielzahl an gewaltigen Höhlen führt der Ausflug in eisige Kälte. Sollte mir der Weihnachtsmann begegnen, werde ich ihn fragen, warum ich nie das bekomme, was auf meinem allseits bekannten Wunschzettel verzeichnet ist. Traumjob. Potenter Mann. Louboutins. Nada! Vielleicht klappt`s ja mit dem Bestseller.
„Angst ist demnach gänzlich fehl am Platz! Falls Probleme auftreten, werden wir gemeinsam eine Lösung erörtern“, besänftigt Francesca mich erneut, obzwar dazu nach wie vor keine Notwendigkeit besteht. „Ich bin auf ganzer Linie handzahm.“
„Ok!“, nicke ich zustimmend.
„Schön! Wer fängt an? Martin?“
Iron Man lässt sich nicht zweimal bitten. Zügig präsentiert er Zahlen und Fakten, trotz der entwarnenden Ansprache ziemlich kleinlaut. Vermutlich nicht ganz unberechtigt, denke ich angesichts der aufgesetzten Freundlichkeit seitens unserer mit Vorsicht zu genießenden Chefin. Als Nächstes ist Andrea an der Reihe. Auch sie startet gehemmt. Bereits vor dem Meeting fiel mir ihre Anspannung auf - meine sportliche Vorarbeiterin konnte nicht länger als fünf Minuten still sitzen bleiben und ein Kaffee-Inhalieren jagte das nächste. Die Summe der Forderungen schoss beachtlich in die Höhe und dieser Tatbestand findet gegenwärtig verunsicherte Rechtfertigung. Francesca muss sich sichtlich zusammennehmen, um nett zu bleiben. Moment mal - Stopp! Entspricht meine Wahrnehmung tatsächlich der Realität oder zeigt die dauerhafte Gehirnwäsche des lieben Kollegiums erste Erfolge?
Nachdem die Audienz beendet ist, sind meine zurückhaltenden Genossen jedenfalls wie ausgewechselt. Umgehend mutieren sie zu den gewohnt selbstsicheren, austeilenden Mitmenschen, welche ich mittlerweile nur allzu gut kennen lernen durfte.
Lautstark geht Chiara einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen nach und selbst „das in die Wange kneifen“ wird in der lebhaften Vorführung nicht unterschlagen. „ Das machst du supi! Du kümmerst dich so blendend um unsere Forderungen. “
Die Reaktion des Publikums ist gespalten. Martins Grinsen wirkt gemeißelt.
„Sie hat sich nur wegen dir zusammengerissen“, mahnt Andrea dagegen ernst. „Es gibt Tage, da rastet sie wegen einer fälligen Forderung von hundert Euro aus.“
„Wie gesagt, schizo ist sie!“ diagnostiziert Chiara neuerlich das Krankheitsbild mitsamt einem schelmischen Grinsen. „Pah - Eislöwen ! Gibt es die überhaupt?“
„Quatsch, nicht dass ich wüsste - mir sind nur Eisbären und Eismöwen ein Begriff.“
Andrea kennt sich aus im Reich der Tiere. Ich selbst bin mir unsicher. Existieren auf unserem Planeten Eislöwen? Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor.
„Ha - ich weiß, wie sie darauf kam!“, verkündet Iron Man mit stolz geschwollener Brust. „Es gibt ne Eishockeymannschaft, die so heißt. Dresdener Eislöwen!“
Derartiges kann auch nur ein Mann wissen.
„Egal, auf jeden Fall haben wir einen neuen Spruch für die Liste!“
Nicht zum ersten Mal nehme ich ahnungslos als gleich gedankenvoll Notiz von dieser ominösen Liste. Schon bei meiner Brechattacke erwähnte das leutselige Kollegium etwas in der Art.
„Ich kann euch nicht ganz folgen!“, bringe ich Verwirrung zum Ausdruck. „Von was für einer Liste redet ihr da eigentlich ständig?“
Die drei Anwesenden tauschen erstaunte Blicke aus, indes der Vierte im Bunde eisern durch Abwesenheit glänzt. Arme Andrea - muss sich alles selbst beibringen.
„Sag jetzt nicht, dir hat noch niemand von der Liste erzählt?“, fragt Martin geschockt, ehe er mit flacher Hand Staub auf seinem Schreibtisch aufwirbelt.
Verneinend schüttele ich den Kopf.
„Das gibt`s ja nicht - wir werden ganz schön nachlässig…“ Scheint wohl sonst das Erste zu sein, wovon neue Mitarbeiter in Kenntnis gesetzt werden.
„Kann mich jemand aufklären?“
„Nichts lieber als das“, erledigt das Muskelpaket die Sache selbst. „Also: Kerstin führt eine Liste, auf der wir sämtliche Versprecher der Hexe festhalten. Sogar die Schleimer machen mit. Warte, ich hole sie!“
Von Tatendrang getrieben, stürmt mein trainierter Kollege hinaus, ehe er Minuten später in Begleitung von der in Erd-Töne gehüllten Kollegin aus dem Kreditoren-Büro zurückkehrt. „Wir haben schon vier Seiten voller Sprüche!“
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