Andrea zwinkert mir zu: „Ich sag nur: die Liste!“
„Komm, erzähl! Was war es? Bier? Wein?“ Chiara ist so lustig.
„Oder was Hartes? Ramazotti?“ Martin ebenfalls.
„Sehr witzig!“ In meinem ganzen Leben werde ich niemals wieder Ramazotti anrühren, aber diese Anekdote ist nicht jugendfrei und es ist frühmorgens.
„So, liebe Leute - genug der Flachserei!“, bereitet Andrea dem spaßigen Unterfangen ein Ende, ehe ihr starres Augenmerk Heidi Hagenbert anvisiert. „Ich habe mir heute viel Zeit für dich eingeplant! Ab an die Arbeit!“
Die Ankündigung meiner Vorarbeiterin verblüfft. Sehr sogar. Gleichermaßen verspüre ich pulsierenden Tatendrang. Sollten die neu gewonnen Erkenntnisse Anwendung finden, bevor ich sie vergesse? Ist der glorreiche Tag gekommen? Darf ich endlich meine allererste Rechnung buchen?
Eine Taube macht noch keinen Sommer
Putzen ist die verlässlichste Möglichkeit, um gute Laune zu erlangen. Das habe ich irgendwo einmal gelesen und die Erklärung klingt so simpel wie logisch. Unmittelbar im Anschluss erfolgt ein sichtbares Erfolgserlebnis, zudem werden durch die körperliche Anstrengung Glückshormone ausgeschüttet - ähnlich sportlichen oder sexuellen Aktivitäten.
Die Formel verspricht Erfolgspotenzial, nur steht beim Putzen immerwährend eine mühsame Hürde im Weg. Konnte ich mich erfolgreich aufraffen, mutiere ich zum Wirbelwind, der am wirbeligsten mit Shania tobt. Singend und tanzend. Verrückt sein. Vergessen, dass ich eine Lady bin.
Gute Laune dank Putzen - das gelingt tatsächlich verlässlich. Nicht verlässlich hingegen will es gelingen, sämtliches Begehren, das aufgrund von Engpässen unter der Woche auf der Strecke blieb, komprimiert an zwei Tagen unter einen Hut zu bringen.
Obgleich der Tagesablauf des Samstags einer straffen Planung unterlag, raste er wie ein ICE an mir vorbei. Nach erfolgreicher Vernichtung von Staub und Dreck, eilte ich beseelt in den Supermarkt. Frische Milch landete doppelt im Einkaufs-Korb. Àde fiese Kaffeesahne - es war nicht schön mit dir! Sobald die Einkäufe ordnungsgerecht verstaut waren, tönte ich meine Haare und das erfrischende Haselnussbraun ließ mich fühlen wie neugeboren. Dem Hoch folgte ein exzessiver Schminkprozess sowie die Befriedigung meiner zweiten Passion, die in einer schwarzen Lederleggins, einem ockerfarbigen Schößchen Top und einer langen Kette resultierte.
Gegen acht trudelten Sophie und Valeska in strahlender Sauberkeit ein - mitsamt einem Geschenk, das schmeichelhafte Aufmunterung gewähren sollte. Es ist ein schönes Gefühl, die besten Freundinnen der Welt zu haben, sagt ein stolzer Rachegeist angesichts der neugewonnenen Befähigung allerorts und jederzeit mordend umherstreifen zu können. Prost!
Mit zwei Flaschen prickelnden Proseccos intus brachen wir auf zu unserer Lieblings-Bar Manila - in der angeheiterten Hoffnung, einen netten Mann kennen zu lernen. Jedenfalls war das meine Absicht, Sophie und Valeska sind in festen Händen. Wir haben getrunken, getanzt und gelacht. Tja, und ehe man sich versieht, schreiben wir Sonntagabend. Ich sag`s ja: wie ein ICE. Ach ja, und zwischenzeitlich habe ich natürlich auch Nahrung aufgenommen.
Apropos. Ein wenig Zeit verbleibt mir noch und jene gilt es, weiterhin zu genießen. Zur Krönung meines rasanten Wochenendes brutzelt ein Nudelauflauf im Backofen vor sich hin, der darauf wartet, alsbald verzehrt zu werden.
Unter der Woche koche ich selten, die Kantine nehme ich regelmäßig in Anspruch und abends esse ich dann meist nur Körner-Brot mit variierendem Aufschnitt oder mal einen bunten Salat. Eigentlich ist diese Verschwendung meiner Talente ein unhaltbarer Zustand, es liegt mir jedoch fern, neuerliche Schwarzmalerei zu betreiben und unerfüllte Berufungen zu bedauern, zumal ich vergangene Woche zunehmend wertvolle Erfahrungen sammelte hinsichtlich der viel wundervolleren Offenbarung, welche das Geschick für mich vorsah.
Und was machst du so? Ich bin eine Debitorenbuchhalterin. Nun ja, eine Taube macht noch keinen Sommer. Das mahnte Francesca ausdrücklich an binnen ihres einstündigen Besuches mitsamt dem dienlichen Zweck, dass meine Vorarbeiterin ausführlichen Rapport über unsere Fortschritte liefern sollte. Die Fortschritte eines Freitagnachmittages wohlbemerkt.
Was soll`s! Mittelmaß und Heidi Hagenbert - nicht in diesem grauen Leben. Francescas Besuch hinterließ schließlich nicht nur Desillusionierung, denn er brachte ingleichen Ottos Lieblingsfarbe hervor. Braun entspreche der betörenden Farbe ihrer Knopfaugen. Ein Frevel, wer behauptet, Romantik existiere ausschließlich in Historik-Romanen. Von wegen! Männer dieser Zeit, nehmt euch ein Beispiel an Otto Horst. Der weiß noch, wie`s geht! Anyways.
Francescas lustiger Versprecher beleuchtet die Tatsachen, wie sie sind. Andrea meinte, wir wären erst bei einem Zehntel von all dem, was eine Debitorenbuchhalterin beherrschen sollte. Wie man zum Beispiel eine Rechnung bucht, verbleibt ein mir entsagtes Phänomen. Dafür lernte ich, wie Zahlungseingänge verbucht und ausgeziffert werden. Buchhaltungskram eben. Unheimlich spannend und aufregend. Verflucht nochmal! Mittelmäßig zu sein, bereitet einfach zu viel Vergnügen!
Mithin Zeit für ausschweifendes Selbstmitleid und wenn ich einmal dabei bin, weshalb nicht auf ganzer Strecke? Wenn ich nämlich so in mich gehe, wäre es bedeutend schöner, diesen Auflauf mit jemandem teilen zu können, aber erneut kein netter Mann gestern. Wieso ist es fast allen Zeitgenossen meines kolossalen Bekanntenkreises vergönnt, glücklich verliebt zu sein? Wann kommt Heidi Nett zum verdienten Zug?
Schlummernde Liebe verlangt sehnsuchtsvoll und zentnerweise gegeben zu werden, nur will sie kein männliches Wesen empfangen. Jedenfalls keiner derer, die ich in letzter Zeit in Betracht zog. Einzig mein klingelndes Telefon verhindert einen Absturz in den Viehtransport.
„Hi Süße, wie geht es dir?“, erfragt Helene, derweil im selben Moment die Eieruhr piept.
„Warte kurz. Ich muss eben was aus dem Ofen holen.“
Es duftet bereits lecker, mein selbstgekochtes Essen enthält beziehungsweise erhält eine sättigende Portion Liebe. So stelle ich mir den Idealfall einer funktionierenden Beziehung vor.
„So, da bin ich wieder“, melde ich mich zurück. „Störe dich nicht an meinem Schmatzen. Wie geht es dir? Wie gefällt dir München?“
„München ist genial! Du musst mich mal besuchen kommen.“
„Auf jeden Fall. Sehr gerne. Wie ist der Job?“
„Suuper viel Arbeit, aber es macht einen Höllenspaß. Alle sind suuuper nett und die Bezahlung ist der Hammer - dafür mache ich gern mal eine Stunde länger. Und bei dir?“
Fast hätte ich mich verschluckt. Ich kann nur eine einzige Übereinstimmung verzeichnen und dieser Umstand sensibilisiert das Bewusstsein meines jämmerlichen Praktikantendaseins. Dröhnend schrillt neuer Selbstmitleidalarm.
Nach Abschluss des Studiums nahm griechische Gelassenheit eine dreimonatige Auszeit zwecks eines sonnigen Heimaturlaubes. Danach ergatterte sie mit ihrer ersten Bewerbung den erhofften Traumjob in vermeintlicher Traumstadt, was sich beides bewahrheitet. Wenn da nicht dieses stechende Gefühl in meiner linken Brust wäre, würde ich mich aufrichtig für Helene freuen. Ihr sei alles Glück der Welt gegönnt - unter einer Prämisse! Ich will gefälligst auch ein Stück vom Kuchen! Und zwar eins mit süßen Kirschen! Und Sahne obendrauf!
„Das freut mich“, versuche ich, Neid zu verbergen.
„Oh, das klingt aber nicht so.“ Mist - hat nicht funktioniert.
„Doch, tue ich! Ehrlich. Entschuldige, es ist nur - ach, bei mir ist es halt leider nicht so rosig…“, entgegne ich geknickt, „…weder die Arbeit noch mein Praktikantengehalt sind der Rede wert.“
„Du machst schon wieder nur ein Praktikum?“
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