Ohne dass sie darauf vorbereitet gewesen wäre, sagte ihr der Gedanke ausgesprochen zu - dass diese Hände sie häufiger und eines Tages womöglich noch an anderen Stellen berühren würden. Beinahe entsetzt stellte sie fest, dass sie sich mit Freude daran gewöhnen könnte. Welch sonderlicher, abwegiger Gedanke.
„ Vertrauen Sie mir einfach! Ist das eine derart vermessene Forderung?“
Kokettierte er oder spielte ein Wunschgedanke ihr einen trügerischen Streich?
„ Nein, natürlich nicht“, lächelte sie verlegen. „Bitte entschuldigen Sie meine Aufregung. Ich weiß, dass Sie der Beste auf Ihrem Gebiet sind.“
„ Ich gebe lediglich mein Bestes und die Medizin erzielt große Fortschritte - von denen ich profitiere. Ein Geben und Nehmen, wie in manch anderem Bereich.“
Sein zwinkernder Blick war durchdringend und abermals kam es ihr in den Sinn, dass sie nichts dagegen einzuwenden hätte, jenen anderen Bereich mit ihm zu teilen. Gleichermaßen hoffte sie inständig, dass er nicht imstande war, Gedanken zu lesen.
„ Jetzt entspannen Sie sich zunächst einmal.“
Er trat einen Schritt näher und sie ward überrascht von einer Mischung aus Erregung und Befangenheit. Wiederum hoffte sie, dass er nichts davon bemerkte. Geflissentlich begann er ihre feingliedrigen Schultern zu massieren, doch verfehlte die Wirkung gänzlich ihren ursprünglichen Zweck.
„ Sie dürfen sich nicht so verkrampfen!“, rügte er mahnend. „Denken Sie an etwas Schönes! Wohin reisen Sie gerne?“
„ Eine gute Frage...“
„ Junge Frau - es muss doch einen Ort geben, nach dem Sie sich sehnen!“, empörte er sich spitzbübisch. „An deren Erinnerungen Sie zehren und es kaum erwarten können, neue - nicht minder schöne - zu erschaffen.“
Er unterbrach seine Massage, um vorzutreten und ihr in die Augen zu sehen. Und schon wieder blickte er sie auf diese gewisse Art an. Vielsagend und geheimnisvoll zugleich.
„ Doch - ich denke einen derartigen Ort gibt es.“
Wenn er denn wirklich von einem Ort sprach.
„ Lassen Sie ihn mich wissen? Oder bildet er ein Geheimnis, welches Sie nicht mit jedem beliebigen Arzt, den törichte Neugier drängt, zu teilen vermögen?“
Emilia lächelte.
„ Igea Marina.“
Er trat hinter sie und setzte seine Massage fort.
„ Wo ist das?“
„ Im bezaubernden Italien“
„ Ist es ein schöner Ort?“
„ Atemraubend!“
„ Manches entdeckt man bisweilen schicksalhaft, gleichwohl es einem zuvor unbekannt war. Ein neues Ziel birgt das Risiko einer Enttäuschung, andererseits kann es einen überraschen - weitaus reizvoller und bereichernder sein. Kennen Sie dieses Gefühl?“
„ Gewiss! Ich reise zwar gern an vertraute Orte, aber ein Abenteuerinstinkt ist mir nicht fremd. Gewohnheit ermüdet mich schnell.“
„ Waren Sie schon einmal in Saint Tropez?“
„ Nein, bislang nicht.“
Mit Sanftmut drehte er ihren zarten Körper, sodass sie einander im Angesicht ersahen und wohlige Schauer liefen ihr den Rücken hinunter. Wiederholt war sie nicht fähig, diesen stahlblauen Augen standzuhalten; verstohlen senkte sie den Blick.
„ Na, dann wird es aber allerhöchste Zeit!", riet er überzeugend. „Glauben Sie mir, junge Frau - es gibt kein schöneres Fleckchen Erde auf dieser Welt.“
Aus irgendeinem Grund beschlich sie jenes dumpfe Gefühl, dass ihn ihre Unsicherheit amüsierte. Vermutlich gar gefiel, barg sie doch eine Art Reinheit. Etwas Unschuldiges.
Emilia Buddelin entstammte einer angesehenen Adelsfamilie und nannte ein prächtiges Anwesen außerhalb der Stadt ihr Zuhause, welches inmitten von Wäldern und Wiesen wurzelte - wie ein exklusives Gemälde eingerahmt von unberührter Natur.
Als Emilia zwanzig ward, legte man ihr eine Liaison mit einem namhaften Grafen ans Herz, den sie als Widerling wahrnahm und so beschloss sie, rebellisch wie sie war, niemals eine Bindung mit einem Mann zu erstreben, der ihrer standesgemäß war.
Emilia verlangte es nach einem Liebhaber aus einer anderen Welt. Jemand Aufregendes. Kurzum: Sie ersehnte einen ungezähmten Freigeist, der sich gesellschaftlichen Zwängen widersetzte, um von Luft und Liebe zu zehren.
Dr. Alexander Strauss entsprach diesem aus Trotz entsprungenen Wunschbild nicht im Ansatz. Nur zu perfekt passte er in das Bild von einem Mann, den man ihrer vorsah. Gebildet und manierlich. Ein Mann von Welt - gesellschaftlich geachtet.
Den ganzen Tag über, bis in späte Abendröte hinein, wirkte jene vermeintlich unverfängliche Begegnung nach. Insbesondere Alexanders abschließende Frage, die er stellte, indessen Emilia nach ihrem Büstenhalter griff.
Mitsamt frenetischem Argwohn versuchte sie dieses undefinierbare Gefühl einzudämmen, das sie nicht erwartet hatte und welches sie ebenso keineswegs wünschte zu erwarten. Emilia Buddelin wehrte sich vehement gegen ein und denselben Film, der sie verfolgte, um sich als gleich in einer Schleife zu wiederholen, doch jegliche Bemühung war schier vergebens.
„ Können wir einstweilen über die nächste Art unserer Zusammenkunft verhandeln?“
Wie ungehobelt, dachte sie noch, ehe sie verzückt Schlaf fand. So verzückt, wie man es nur sein konnte, wenn man innerhalb von Sekunden beispiellos verliebt ward.
Ich bin kein bissiger Eislöwe
„Auf in die Höhle des Löwen!“, gibt Martin die montägliche Marschroute vor, der ich schleppend nachkomme. „ Avanti - euer Eifer lässt wahrlich zu wünschen übrig. "
„Nicht schlecht, Herr Kollege!“, gluckst Chiara anerkennend. „Nur an der Aussprache müssen wir noch feilen...“
Können wir einstweilen über die nächste Art unserer Zusammenkunft verhandeln?
Ich liebe diesen Satz - und zwar aus dem Grund, weil er derart zauberhaft verschiedene Empfindungen in einer Frage vereint. Versteckt und gleichsam offensichtlich. Zuneigung, Lust, Begierde, doch auch Angst und Zweifel. Hätte der gute Alexander unverblümt ein Abendessen erbeten, wäre Emilias Zusage himmelsgleich, ihre Ablehnung aber vernichtend gewesen. Seine Art des Ausdrucks gewährte Spielraum. So konnte er durchaus eine gänzlich andere Intention gehegt haben, als schnellstmöglich die Laken miteinander zu teilen. Eine rasche Genesung zum Beispiel. Unverbindlichkeit lässt Raum für Phantasie.
Heidi Hagenbert hätte jenes Gesuch jedenfalls mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht ausgeschlagen, denn sie hegt eine unverblümte Schwäche für derartige Charmeoffensiven. Unsere äußerst idealistische Romantikerin genießt männliches Umgarnen abgöttisch, womit sich wiederum der Kreis ins uncharmante Jetzt schließt.
Wo lassen sich heutzutage noch solche Männer wie Dr. Alexander Strauss finden? Etwa im Internet? Das erscheint mir nicht plausibel. Welche Frau mit Herz will sich schon fühlen wie eine Katalogware, die nach oberflächlichen oder zweckdienlichen Kriterien ausgewählt wird? Du bist zehn Zentimeter größer als ich? Klasse! Du hast auch eine ältere Cousine? Na, wenn das mal kein Schicksal ist! Ach `ne - wir spielen beide gern Volleyball! Perfect Match - lass uns ein Liebespaar werden!
Nein - ich glaube diese Art des Kennenlernens ist nichts für mich. Einstweilen kreativer Schaffenspausen der belletristischen Nachtschicht spielte ich zwar wiederkehrend mit dem Gedanken, mir ein Profil zu erstellen, aber am Ende war ich zu misstrauisch und unmotiviert.
Der einzig verlockende Grund, welcher diesen animalischen Zirkus interessant gestaltet, steht sowieso nicht auf mich. Und auf ein stumpfsinniges Rendezvous nach Fragenkatalog kann ich guten Gewissens verzichten. Und auf die Idioten, die nur an Sex interessiert sind, desgleichen. Um den haben zu wollen, kann ich genauso effektiv mein Adressbuch im Handy öffnen. Will ich aber derzeit nicht.
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