1 ...6 7 8 10 11 12 ...25 „Der Mann in meinen Träumen ist es!“ Seufzend rieb sich Marie die Schläfe. „Das klingt alles wirr, oder?“
„Och, weißt du, so lange du Stefan los bist, ist mir alles recht.“
Marie lächelte und trug Teller und Tasse in die Küche. „Ich werde heute mein Zimmer fertig einräumen“, rief sie ins Wohnzimmer.
„Soll ich dir helfen?“
„Nein, brauchst du nicht. Es fehlen nur noch die Napoléonsachen.“ Ihr Blick wich verlegen zu Boden und sie errötete leicht. „Das möchte ich alleine machen.“
Anna lächelte in sich hinein. „Da will ich auch nicht helfen.“ Sie stellte das Geschirr neben die Spüle und und ließ Wasser einlaufen. „Verschwinde! Ich mach das schon!“
In Windeseile stellte Marie ihre Sachen ab. „Danke!“. Sie umarmte Anna kurz und rannte aus der Küche.
8. November (Frühjahr 1790)
Anna erwachte durch ein leises Klopfen an der Tür. „Ja?“, murmelte sie verschlafen.
Sie hörte die Tür knarzen und Maries Stimme: „Darf ich reinkommen? Du musst das lesen!“
Sofort war Anna hellwach. „Ist etwas passiert?“
„Nein. Ja. Ich weiß nicht. Lies es. Ich möchte deine Meinung hören.“
Veränderung
Meer. Salzige Luft füllte meine Lungen und ich sog gierig den Duft ein. Kreischende Möwen übertönten ab und an das sanfte Rauschen der Brandung. Ich öffnete die Augen und da lag es vor mir. Ruhig glitzerte es in der Sonne. Sie stand noch nicht sonderlich hoch, versprach aber einen heißen Tag.
Rechts von mir erstreckte sich der Strand scheinbar endlos. Links ragte eine massive Festungsanlage empor. Dahinter lag eine Stadt.
In diesem Moment läuteten die Kirchenglocken und ich wusste, wo ich war: Korsika. Genauer: Ajaccio, Napoleones Geburtsstadt.
Meine Füße versanken im Sand und ich streifte die Schuhe ab. Strümpfe trug ich keine, aber ein langes Kleid, das mit einem breiten, über den Brüsten gekreuzten Tuch auf Taille gebracht war. Schnürbrust oder Mieder fehlten. Mein Haar bedeckte ein im Nacken verknotetes Kopftuch. Ich öffnete den Knoten, schloss für einen Moment die Augen und genoss den warmen Sand zwischen den Zehen und den kühlen Wind im Haar.
„Marie? Marie Seurant?“
Das Blut rauschte laut durch meine Adern und wisperte seinen Namen: Napoleone.
Freudestrahlend drehte ich mich um und breitete die Arme aus. Ein Lächeln erhellte sein Gesicht und er beschleunigte seine Schritte. Die nackten Füße versanken leicht im Sand, das weite Hemd und offene Haar flatterten im Wind.
Sobald er vor mir stand, nahm er meine Hand und hauchte einen Kuss darauf. „Du bist es wirklich!“
„Ja.“
„Ich wusste, dass ich dich wieder sehe!“ Seine geflüsterten Worte ließen mein Herz flattern und ich begann zu lachen. Aus Verlegenheit, aus Freude, vor Glück!
„Es ist schön, hier zu sein!“ Ich entzog ihm meine Hand und drehte mich ein paar Mal im Kreis.
Er stimmte in mein Lachen ein und wenige Sekunden später lag ich in seinen Armen. Keine Ahnung, wie es dazu gekommen war. Unsere Gesichter berührten sich fast, sein Blick verfing sich in meinem und ich hörte auf zu denken. Sein heißer Atem streifte meine Wange, doch er küsste mich nicht.
Er sah mich nur an, als wolle er in meine Seele blicken. Ich wagte nicht, zu atmen, aus Angst, er könnte das Zittern bemerken, dass mich erfasst hatte. Mit geschlossenen Augen erwartete ich seinen Kuss – der nicht kam.
Stattdessen ließ er mich los und fasste meine Hand. „Ich werde dich meiner Familie vorstellen“, sagte er in einem Tonfall, als gäbe es nichts Wünschenswerteres auf der Welt.
Der Familie? Dieser Horde undankbarer Hyänen, von denen er sich sein ganzes Leben lang nicht lösen würde?
„Du siehst nicht begeistert aus.“
Da hatte er völlig recht. Ich war nicht begeistert. „Na ja, ich bin nicht auf einen Besuch bei deiner Familie vorbereitet.“
„Was gibt es da vorzubereiten? Ich habe ihnen alles über dich erzählt.“
Er schien das für etwas Gutes zu halten.
„Mama brennt darauf, dich kennenzulernen!“
Aber wollte ich sie kennenlernen? Nach allem, was ich über Letitia Buonaparte wusste, war ich mir da nicht sicher. „Sie wird dich mögen! Wenn wir uns beeilen, sind wir vor ihnen wieder im Haus.“
„Wo sind sie?“
„In der Messe.“ Er lächelte verlegen. „Ich dachte, ich könnte die Zeit sinnvoller nutzen.“
„Indem du am Strand spazieren gehst?“ Ich zwinkerte ihm zu.
„Nun, ich ...“ Er lächelte verlegen. „Ehrlich gesagt, ja.“
„Ich langweile mich auch immer ganz entsetzlich im Gottesdienst.“
Jetzt zwinkerte er mir zu. „Lass das unser Geheimnis bleiben. Für meine Familie habe ich wichtige Erledigungen zu machen, die unsere Besitztümer betreffen.“ Er reichte mir seinen Arm und grinste übers ganze Gesicht. „Ich zeige dir das Haus Buonaparte!“
Nach wenigen Metern erreichten wir die Uferstraße. Ich schlüpfte in meine Schuhe, doch Napoleone ging einfach weiter, als hätten wir den Strand nicht verlassen.
„Bist du so zum Strand gelaufen?“ Mich wunderte, dass er weder Jacke, noch Schuhe trug.
„Ich dachte nicht, dass mich jemand sieht.“ Er hielt an und nahm mir das Kopftuch aus der Hand. „Das solltest du tragen.“ Geschickt wand er den Stoff und knotete ihn im Nacken. Seine Fingerspitzen berührten wie zufällig meine Schulter und ein warmes Kribbeln durchlief mich. „Jetzt kannst du dich in der Stadt sehen lassen.“
Das Haus lag nicht weit vom Strand entfernt und keine Menschenseele befand sich auf den Straßen. Dieser Teil der Stadt sah völlig anders aus als Auxonne. Die Häuser waren größer, in gutem Zustand und zwischen ihnen standen stämmige Palmen. Einige hatten kleine, liebevoll angelegte Vorgärten.
Als hätte er meine Gedanken gelesen sagte er: „Etwas ganz anderes als Frankreich, nicht wahr?“
Ich nickte. „Ich staune über den Platz, den ihr hier habt.“
„Oh, da gibt es auch andere Gegenden. Aber du hast recht. Hier im Viertel kann man es sich leisten.“
Seine Betonung des Wortes 'man' ließ mich aufhorchen. Seit dem Tod seines Vaters litt die Familie unter Geldproblemen.
„Und hier ist es! Das Haus Buonaparte.“
Ich musste einen kleinen Aufschrei unterdrücken, den im Wesentlichen sah das Haus genauso aus, wie heute. Fast quadratisch erhoben sich die drei Stockwerke mit dem flachen Dach. An einigen Stellen bröckelte der gelbe Putz von den Wänden, was ihm einen gewissen Charme verlieh. Im Gegensatz zu heute gab es keine direkten Nachbarn und so sah es aus, als läge das Haus in einem kleinen Park. „Es ist wunderschön!“
„Meinst du?“, fragte er skeptisch. „Es müssten einige Renovierungsarbeiten durchgeführt werden, für die uns das Geld fehlt. Aber es bietet ein Dach über dem Kopf.“
Wir traten in den weiträumigen Flur. Rote, achteckige Fliesen auf dem Boden, gelb getünchte Wände und weiße Türrahmen: Genau so hatte ich es mir vorgestellt.
Er führte mich in einen eleganten Wohnraum. Vergoldete Möbel, ein Kristallleuchter und ein Marmorkamin zeugten von dem ehemaligen Reichtum der Familie. Bücherregale bedeckten jedes Fitzelchen freie Wand.
„Sieh dich um. Ich werde mich schnell umziehen und dann warten wir auf meine Familie.“ Seine Hand strich sanft über meinen Arm. Die Berührung hinterließ eine leichte Gänsehaut. Mit einem Lächeln registrierte er meine Reaktion und verließ das Zimmer.
Die Bücherregale zogen meine Aufmerksamkeit auf sich. Ablenkung war gut! Hier fanden sich alle großen Denker der letzten 2000 Jahre: Homer, Platon, Machiavelli, Voltaire und viele mehr. Das musste die Sammlung seines Vaters sein. Carlo Buaonaparte hatte großen Wert auf Bildung gelegt und dieses Wissen an seine Kinder weitergeben wollen.
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