Emma nickte strahlend. Beinahe wäre sie dem Arzt vor Begeisterung um den Hals gefallen. Da sich so etwas aber nicht schickte, verabschiedete sie sich mit einem artigen Knicks und machte sich auf den Heimweg. In Gedanken traf sie bereits ihre Vorbereitungen. Das größte Problem war in der Tat normalerweise die Toilette. Es gab nur ein Plumpsklo, und das war im Stall, den sie ohnehin bisher nicht wieder betreten durfte. So hatte sie sich daran gewöhnt, auch tagsüber ihren Nachttopf zu benutzen und hielt immer frisches Wasser, Seife und ein eigenes Handtuch bereit, um alle möglichen Angriffe böser Krankheitskeime schon im Keim zu ersticken. Emma kicherte. Nettes Wortspiel.
Zu Hause angekommen, erklärte sie ihrer Mutter die Lage. Die blickte kurz auf und meinte:
"Das ist ja mal eine gute Nachricht. Morgen ist es soweit. Früh um sechs kommt Schlachter Schweinebart und um sieben Tierarzt Tegge zur Fleischbeschau. Du kannst mir hier bei den Gläsern helfen."
Emma nickte und ging in die neben der Küche gelegene Speisekammer, um von dort ein beachtliches Sortiment leerer Einweckgläser zu holen. Auf dem Herd dampfte bereits heißes Wasser in zwei großen Kochtöpfen. Emmas Mutter zog an zwei Griffen, die an der Längsseite unterhalb der Platte ihres Esstisches angebracht waren. Auf wundersame Weise teilten sich Beine und Leisten des Tisches zu einer verborgenen Konstruktion, in der zwei große, flache, runde, emaillierte Schüsseln steckten. Dann griff sie sich die dicken Topflappen und trug einen der Töpfe mit heißem Wasser vom Herd herüber.
"Vorsicht, heiß!"
Sie leerte ihn in eine der Schüsseln, tat etwas Seifenpaste dazu und einen kleinen Schwall kaltes Wasser aus einem bereit stehenden Eimer. Sie rührte ein paarmal darin herum, um etwas Schaum zu schlagen und wandte sich an Emma.
"So, jetzt gib mir die Gläser rüber."
Emma reichte sie ihr nach und nach. Die Mutter wusch die Gläser in dem heißen Spülwasser sorgfältig aus und stellte sie kopfüber in die zweite Schüssel zum Abtropfen. Als diese gut gefüllt war, griff Emma zu einem Geschirrtuch, trocknete sie ab und stellte sie auf das große Küchenbuffet. Ihre Mutter, die ganz rote Hände vom heißen Wasser hatte, holte ein großes Tablett, stellte die fertigen Gläser darauf und balancierte damit in die gute Stube. Den großen Tisch dort nutzten sie nur an Festtagen und wenn Besuch kam. Und für Großaktionen wie diese. Emmas Mutter leerte das Schmutzwasser aus der einen Schüssel mit Schwung in den Hof. Die Hühner und Enten, die dort gerade nach Körnern pickten, rannten empört flatternd, gackernd und schnatternd nach hinten in den Garten. Mit sauberem Wasser ging der Abwasch weiter, bis alle verfügbaren Gefäße nur so blitzten.
Emma und ihre Mutter schauten auf den Haufen Gläser, der in der Stube mittlerweile nicht nur den Tisch bedeckte, sondern auch jede freie Fläche des Wohnzimmerschrankes.
"Hm, wir haben diesmal vier Schweine. Die Gläser werden nicht ganz reichen. Geh doch mal zu Tante Thea. Frag sie, ob sie uns noch zehn Gläser leihen kann."
Emma nickte, band sich die große, bei der Arbeit ziemlich feucht gewordene Schürze ab, griff sich einen Korb und machte sich auf den kurzen Weg, für den sie zum Glück die Krücken nicht mehr brauchte.
Im Jahr zuvor hatten Emmas Eltern drei Ferkel vom Großbauern gekauft, um sie zu mästen. Eines davon war leider gestorben. Fleisch und Wurst von nur zwei Schweinen waren ihnen übers Jahr zu knapp geworden. Sie mussten am Ende einiges teuer zukaufen. So hatte der Vater dieses Mal vier Ferkel gekauft, die nun aber wider Erwarten alle gesund geblieben waren und angesichts des reichhaltigen Futters eifrig an ihren Rundungen gearbeitet hatten. Heute waren sie dicke, runde Prachtschweine, die nur darauf warteten, von Gourmets entdeckt zu werden.
Tante Thea, für deren noch kleine Familie zwei Schweine zur Versorgung ausreichten, hatte genug Gläser übrig und versprach Emma, morgen früh als Helferin zur Stelle zu sein.
"Emma, aufstehen!"
Jemand rüttelte an Emmas Schulter. Ein Traumland voller bunter Handpuppen hielt sie gerade in seinem Bann. Erst als der Ruf lauter wurde und das Rütteln energischer, lösten sich ihre Traumbilder allmählich auf und entließen sie zurück in die Realität.
"Ich hab grad so schön geträumt", murmelte sie schlaftrunken, kämpfte sich mühsam aus Decke und Kissen hoch und rieb sich die Augen.
"Keine Zeit zum Träumen", raunzte ihre Mutter, "der Schlachter kommt gleich. Wenn du noch Frühstück willst, musst du dich beeilen."
Emma schüttelte sich und stand auf, während ihre Mutter schon wieder Richtung Küche davon walzte. Typisch, dachte sie, da wache ich einmal nicht von allein auf, weil ich hundemüde bin, und was passiert? Ich werde angeraunzt. Eilig erledigte sie die Morgentoilette und zog sich an. Ihr Blick fiel auf Theas Bett. Leer. Sie schien schon auf zu sein. Ungewöhnlich. Und auch wieder nicht, denn Thea war genauso neugierig wie Emma und ein Energiebündel dazu.
Auf dem Küchenherd standen alle verfügbaren großen Töpfe mit Wasser, das bereits kurz vorm Siedepunkt war und Dampfschwaden in den Raum verströmte. Als hauchfeiner Nebel legten sie sich auf die ihr vertrauten Gegenstände, verschluckten sie manchmal fast ganz, und erschwerten das Atmen.
Emma machte sich schnell ein Brot und schob es sich in den Mund, während sie schon ihrer Mutter zur Hand ging, die erneut den Tisch ausgezogen hatte und nun alle möglichen Gerätschaften bereit stellte.
Aus dem Hof hallten schwere Schritte. Emmas Mutter trocknete sich die Hände und ging durch die Hintertür die drei Stufen abwärts in den Stall, der sich direkt an die Wohnräume anschloss. Schlachter Schweinebart, nicht zum ersten Mal hier tätig und mit den Örtlichkeiten wohl vertraut, hatte mit seinen Gummistiefeln gleich den Weg durch den Garten genommen, stand nun auf dem bereits frei geräumten Platz, der heute zuerst Zentrum seines Schaffens sein sollte, und legte sein Handwerkszeug, das in einem geräumigen Köcher und einer großen Tasche steckte, vorsichtig in einer Ecke ab.
"Moin!"
Sein Blick wanderte zu den vier wohlgenährten Hausschweinen.
"Das sind ja man ein paar Prachtschweine! Zwei davon sind also heute dran."
"Ja, die zwei hier vorne", bestätigte Emmas Mutter, und wies auf die zwei Tiere im ersten Koben, die heute früh kein Futter mehr erhalten hatten und entsprechend missmutig Protest quiekten, während ihre Artgenossen einen Koben weiter laut vernehmlich schmatzten. Wie konnten sie auch ahnen, dass ihre Gedärme bald schon für anderes gebraucht wurden, dass sie in wenigen Stunden schon mit Teilen ihrer selbst gefüllt sein würden, nämlich mit Wurstgemisch verschiedenster Art.
"Na, dann wollen wir mal."
Schweinebart war ein Mann, der seinem Namen Ehre machte. Er war groß und massig, mit einem bulligen Stiernacken und einem sorgfältig gepflegten Bierbauch, der jetzt gerade so unter einer großen, dunkelgrünen Gummischürze verschwand. Ein akkurat gestutzter Backenbart kaschierte notdürftig sein ausgeprägtes Doppelkinn, das jedes seiner Worte wie auch seine Bewegungen schwingend und hüpfend begleitete.
Er rückte die Leiter an der Dielenwand zurecht und prüfte die Temperatur des Wassers in der großen Zinkwanne, die etwas abseits der Leiter stand. Er nickte und wandte sich zum ersten Koben, entriegelte dessen Verschlag, trat ein, packte ohne Umstände eines der Schweine an Ohr und Schwanz und schob es mit einem kräftigen Ruck Richtung Ausgang. Überrascht quiekte das Schwein laut auf, erhielt aber gleichzeitig einen Hieb mit einer Gerte auf sein Hinterteil, dass es zwei Sätze vorwärts schoss und sich auf dem glatten Dielenboden fand. Schweinebart war dem Tier schnell gefolgt und hatte den Verschlag hinter sich geschlossen.
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