Emma erledigte ihre Arbeit und fand sogar noch Zeit, den für den morgigen Sonntag geplanten Pflaumenkuchen anzurühren und in den Ofen zu schieben, bevor der Vater und die beiden Brüder von der Feldarbeit zurückkehrten.
"Hm, das duftet ja gut!" rief ihr Vater ihr schon von der Haustür entgegen.
"Ach, Emma! Bist du ganz allein?"
"Ja, Mama ist zu einer Geburt."
"Na, gut," seufzte ihr Vater ergeben, "da kann man nichts machen."
Er und die Jungs wuschen sich gründlich Hände und Gesicht, nahmen erschöpft am Abendbrottisch Platz und langten heißhungrig zu. Während der Vater sich nach dem Essen noch ein wenig auf die Bank im Garten setzte, um zu rauchen, schleppten sich seine Söhne zu ihren Betten, um wenigstens ein paar Stunden zu schlafen, bevor sie sich schon vor den ersten Sonnenstrahlen des nächsten Tages gemeinsam mit dem Vater erneut auf den Weg machen mussten.
Willi, der Älteste ihrer Brüder, wurde im September sechs Jahre alt und würde im nächsten Frühjahr eingeschult werden, der kleine Bruder Fritz war viereinhalb und würde den Vater noch länger begleiten.
So klein sie waren, so nützlich waren sie auf dem Feld, im Frühjahr, wenn die Saaten sorgfältig auszulegen waren, oder im Herbst, wenn die Nachlese anstand, damit auch ja keine Kartoffel, keine Zucker- oder Futterrübe und möglichst auch keine Ähre mit wertvollem Korn auf dem Acker liegen bliebe. Bei einem großen Feld lohnte sich diese Arbeit, da konnte leicht noch eine ganze Kiepe voller Feldfrüchte zusammenkommen, selbst wenn die Erwachsenen vor ihnen schon gute Arbeit geleistet hatten.
Und entlohnt wurden sie auch für ihre Arbeit. Normalerweise bekamen Kinder und Frauen halb so viel wie ein Mann. Da Fritz aber noch sehr klein war und manchmal nicht recht bei der Sache, und auch Willi eigentlich noch zu jung zum Arbeiten, bekam ihr Vater für sie beide zusammen einen halben Lohn. Was sollte er auch tun? Am Rockzipfel ihrer Mutter behinderten sie diese bei der Arbeit. Da nahm er sie besser auf dem Feld unter seine Fittiche, soweit und solange das eben möglich war.
Für Emma gab es während der Erntesaison so viel zu tun, dass sie am Ende eines langen Tages bleischwer ins Bett fiel, sofort einschlief und sich am nächsten Morgen doch nicht richtig ausgeruht fühlte. In der Schule fielen ihr manchmal die Augen zu und sie hatte Mühe, dem Unterricht zu folgen. Allerdings war sie nicht die einzige, der es so erging. Und Herr Rothe, der sonst so gestrenge Lehrer, kannte die Ursache ihrer Erschöpfung und klopfte höchstens mit dem Stock laut auf sein Pult oder an die Tafel, um die Aufmerksamkeit seiner Schülerinnen zurückzugewinnen.
An einem frühen Samstagmorgen Ende September war Emma trotz ihrer Erschöpfung tapfer auf dem Weg zur Schule. Seit sie wieder ohne Krücken gehen konnte, nahm sie vorzugsweise ihren geliebten Schleichweg entlang der Wiesen. Hier fühlte sie sich der Natur noch näher. Nein, es ging ihr nicht um den Fortschritt der Vegetation übers Jahr. Das Wachsen und Reifen von Feldfrüchten, das Aufgehen und Verblühen der zahllosen Blumenarten, ja selbst das Brunftverhalten der verschiedenen Haus- und Nutztiere im zyklischen Rhythmus übers Jahr, waren ihr wohl vertraut, denn sie war in diese Welt hineingeboren und wie selbstverständlich in sie hineingewachsen.
Wenn sie diesen Weg nahm und über die Wiesen schaute, die von hier kilometerweit bis an den großen Fluss führten, öffnete sich mit dem Blick in die Weite auch ihr Herz. Sie konnte es nicht erklären, aber sie fühlte sich hier leichter, atmete freier und konnte hüpfen vor Freude. Selbst im Sommer, wenn die heißen Tage aufgrund der hohen Luftfeuchte drückend schwül wurden, so dass sich die Glieder der Arbeitenden bleischwer anfühlten und so mancher sich nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte, fand Emma die Luft hier immer noch erfrischend und die Ruhe wohltuend.
Das satte, dunkle Grün des Grases, hier und dort gesprenkelt mit Kräutern, wilden Blumen und Sauerampfer, den Emma gelegentlich für die Zubereitung einer Suppe sammelte, glitzerte in der Morgensonne. Unzählige Tautropfen entfachten ein wahres Feuerwerk, dessen Bild sich mit jedem Schritt, den Emma tat, und mit jedem neuen Blickwinkel, anders gestaltete. Und knapp darüber, tatsächlich eine gute Handbreit darüber schwebend, zeigten sich die ersten Nebel des Herbstes. Sie hingen dort wie Geister, sich nach oben hin mit der Sonnenwärme verflüchtigend, aber immer noch gespeist aus dem feuchten Wiesengrund, bis die Sonne hoch genug stehen und genug Wärme entwickeln würde, um sie aufzulösen. Emma spürte den Zauber dieser leuchtenden Herbsttage, deren Nebel etwas zu verbergen schienen. Sie atmete tief durch, um noch einmal diese frische Luft zu spüren und setzte ihren Weg zur Schule fort.
Sobald sie wieder eine bewohnte Straße erreicht hatte, gesellten sich Mitschülerinnen zu ihr, drei, vier, fünf Mädchen, etwas jünger und etwas älter als sie, die zusätzlich zu ihren Schulranzen einen Korb trugen.
"Schau mal, Emma, unser Apfelbaum hat wieder viele schöne Äpfel gemacht!"
Gertie, ein pausbäckiges, siebenjähriges Mädchen mit wippenden blonden Zöpfen, hüpfte neben Emma her.
"Und du? Hast du gar nichts mit?"
Emma lachte.
"Doch, doch! Also, nein, nicht jetzt jedenfalls. Aus unserem Garten gibt es einen schönen großen Kürbis. Der ist aber zu schwer für mich, den hat mein Vater schon heute früh zur Kirche gebracht. Und morgen bringe ich noch frische Blumen mit zum Gottesdienst."
"Wieder die schönen Federastern?" fragte Gertie mit einem sehnsüchtigen Blick, der Bände sprach hinsichtlich ihrer Leidenschaft für genau diese Blumen.
Emma wusste das und schmunzelte.
"Aber natürlich. Rosa, hellblau und weiß, alle Farben sind da und wir werden irgendwas Schönes daraus machen. Wenn du morgen auch etwas früher kommst, kannst du mir dabei helfen."
"Au ja!"
Gertie strahlte und hüpfte vor Begeisterung noch schneller als sonst, kehrte aber um, als sie feststellte, dass ihr die anderen Mädchen nicht so schnell folgten, konnte sich aber nicht bremsen und zog den Anderen erneut davon, so dass sie am Ende, als sie alle ihr Ziel erreicht hatten, den Weg fast dreimal zurückgelegt hatte, wie ein Hund beim Auslauf, nur, dass ihre Nase nicht am Boden hing, um Spuren auszuschnüffeln. Die Hundezeitung überließ sie dann doch lieber den Vierbeinern.
Als die Mädchen das Kopfsteinpflaster der Kirchgasse unter ihren Pantinen hatten und den üblichen Tanz um die Misthaufen und die Sprünge über die Güllebäche vollführten, schien ihnen der Gestank nicht ganz so übel wie sonst.
"Gottseidank!" meinte Emma, "es wird kühler, da stinken die Haufen nicht mehr ganz so doll. Und die Fliegen sind nicht ganz so verrückt."
Das Gebrumme der dicken, bläulich schimmernden Schmeißfliegen war tatsächlich deutlich leiser und es schwirrten nur vereinzelte Exemplare um ihre Köpfe. Zu Hause hatten sie alle Fliegenfänger, die reichlich zum Einsatz kommen mussten, um diese von ihren Lebensmitteln fernzuhalten.
Gertie hatte ihre schön gewachsenen, rotbackigen Äpfel sorgsam mit einem Tuch bedeckt, wie die anderen Mädchen auch, die etwas zu dem großen Fest beisteuern wollten. Jeder im Dorf freute sich darauf und die Mädchen waren stolz, bei dessen Vorbereitung helfen zu dürfen. So blieb die Schule heute links liegen und sie steuerten direkt die Kirche an, deren Portal bereits offen stand, damit alle Helfer und alle guten Gaben Eingang finden konnten.
Sie gingen durch den Mittelgang bis zum Ende der Bankreihen. Dort, auf dem freien Platz vor den Stufen zum Altar, hatten die Jungs des Dorfes bereits gestern unter Anleitung ihres Lehrers Brandes einiges vorbereitet. In der Mitte stand ein kleiner Handleiterwagen, sorgfältig geputzt und mit Wachs schön poliert. Darum herum gruppierten sich kleine, flache Holzkisten, die in Stufen ansteigend zum Handwagen führten, auf denen hier und dort kleine und größere Körbe standen, die nun allmählich mit Früchten vom Feld und aus den Gärten gefüllt werden sollten. Blumenvasen auf dem Altar und am Eingang der Kirche sollten den festlichen Rahmen des Tages betonen. Den Höhepunkt jedoch bildete die aus extra lang geschnittenen Getreidegarben geflochtene Erntekrone, die direkt auf der Plattform vor dem Altar stand. Die Mädchen traten näher und umrundeten das gute Stück, das Emma um Haupteslänge überragte.
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