Er deutete einen Diener an und ging hinüber zum Sofa. Als ich kurz darauf fertig angezogen ins Zimmer trat, saß er da und las das SZ-Magazin, das seit einer Ewigkeit in meiner Wohnung lag. Das mit dem »Sagen-Sie-jetzt-nichts: Austen Lux« Interview. Herr Bär sah mich über seine Brille hinweg an. Ich wusste, dass er wusste, wer sie war, wie Vater zu ihr gestanden hatte, dass diese Zeitung schon über ein halbes Jahr alt war und dass ich normalerweise keine irdischen Dinge wie Zeitschriften aufhob. Aber er sagte kein Wort, sondern erhob sich höflich, nahm Tasche und Akten unter die Arme, um mir dann auch noch den Rollkoffer abzunehmen und folgte mir zur Wohnungstür.
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»Scheiße, Austen, siehst du scharf aus!«, verkündete Danni, als ich direkt von meiner Abenteuerfahrt nach der Beerdigung vor ihrer Wohnungstür stand. Ich wusste, dass sie zwei Stunden später ihren Dienst als Nachtportier würde antreten müssen, aber nach diesem seltsamen Tag war mir sehr danach, mich etwas von ihr berieseln zu lassen. Sie wusste wohl, dass ich ein Trauergewand trug, dass ich die letzten Tage fix und fertig vor mich hingedöst hatte.
Aus alledem machte sie keine große Sache. Sie lobte unentwegt mein Aussehen, quasselte über die Dinge, die sie gerade beschäftigen, von ihren Kindern, zeigte mir Shopping-Errungenschaften. Sie fragte mehr als zweimal, ob ich mich mit Adele und Joschua voll autorinmäßig hatte unterhalten können, ob sie vielleicht mehr lesen sollte, um mich als Freundin zu halten, und strich mir immer mal über den Unterarm. Außerdem erzählte sie irgendwas davon, dass es Bianca und Benjamin in den letzten Tagen zu bunt getrieben hätten mit ihren ständigen Eifersüchteleien, und sie deswegen ihre Nummer für sie gesperrt hatte. »Notfalls erwirke ich eine einstweilige Verfügung, ist mir scheißegal, ob ich dann Überstunden machen muss, damit meine Kinder was zu beißen haben. Solche Psychos will ich nicht mehr in meinem Leben haben!«
Ich war in dem Moment nicht imstande, ihren entschlossenen Tonfall einzuordnen, denn sowas in der Art hatte sie schon häufig angedroht. Mir war nicht bewusst, wie ernst es ihr dieses Mal war.
Ich gluckte einfach nur auf ihrem Sofa, stierte im Zimmer umher und lauschte ihr mit einem Ohr. Mein Blick heftete sich wie so oft an den Artikel über mich im SZ-Magazin, den Danni gerahmt und aufgehängt hatte. »Scheiße siehst du da hammergeil aus«, hatte sie damals befunden und ich ihr recht gegeben. Die schwarz-weißen Bilder zeigten mich und mein mageres Gesicht und Körper in hautenger Kleidung kurz nach der Vollendung meines vierten Buches »WEITER WEG«.
Ich sah viel älter aus, hatte mein dereinst langes, chemisch geglättetes Haar zu einem strengen Knoten aufgesteckt und reagierte auf die Fragen mit koketten wie auch überlegenen Körperhaltungen. Mein Antlitz lag nach der Anstrengung des Schreibens über meine Trennung in herberen Falten als normal, die sich erst Wochen später legten, und die ich den Visagisten zu überschminken verboten hatte. Sie waren meine Kriegsnarben. Offenbar hatte das landesweit viele Frauen beeindruckt, ich sah einen Teil meiner Mission erfüllt: Trage dein Lebensalter mit Stolz. Obwohl ich erst 29 war, wirkte ich so abgemagert und ausgelaugt, dass ich gut und gerne auf 45 hätte geschätzt werden können. Nach dem Interview gönnte ich mir einen Trip quer durch Norwegen mit Woolf an meiner Seite. Wir wanderten durch die Wälder und Täler, fischten in blaugrauen Gewässern, kraxelten auf feuchten Gebirgsketten umher und genossen die Abgeschiedenheit.
Danach fuhr ich mit Danni für eine Woche auf eine Schönheitsfarm, ehe ich strahlend schön und gestärkt zur Buchpremiere erschien und die Welt mit meiner wiedergewonnenen Jugend erschütterte. Und meinen Exfreund, was mir in dem Moment leider am wichtigsten war.
Die Türglocke riss mich aus meiner Erinnerung und Danni aus ihrem Geplapper. Das war ihr Kollege Ralf, mit dem sie die Nachtschicht zusammen durchstand, und der sie nun abholte. Danni hatte mich die ganze Zeit vollgetextet, wohl wissend, dass es genau das war, was ich gebraucht hatte. An der Tür drückte sie mich dann zärtlich und hauchte in mein Ohr: »Geht’s dir besser, Schätzchen?«
»Ja, ich danke dir, Liebelein.« Ich lächelte müde.
Zu Hause schlief ich ein, ohne mein Trauerkleid abgelegt zu haben, und wachte erst auf, als Duft nach starkem Kaffee die Wohnung erfüllte.
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