Nachdem ihr das Renten-Desaster gründlichst durchgefühlt habt, kommt ihr zur praktischen Übung des Verkaufsgesprächs. Dazu werden Rollen verteilt, ihr probt, wie man erfolgreich jagt. Die wichtigste Aufgabe besteht darin, sympathisch zu wirken. Das ist wie in der Politik. Sympathie wiegt schwerer als Inhalt. Also muss auch der Tiger freundlich und knuddelig erscheinen. Die Kunden dürfen niemals vermuten, dass er beißt. Das Komische ist: Vor allem die Frauen haben vor Mäusen mehr Angst.
Du machst dich also auf zum gespielten Kundenbesuch. Eine schwabbelige Frau in viel zu kurzen Hosen und vor Fett überquellendem T-Shirt lässt dich in die Wohnung. Es stinkt gewaltig nach Katzendreck, das Tier selbst haart sich gerade auf dem Ceramfeld des Küchenherdes. Im Flur verstreut liegt alte Wäsche, am Sofa und den Sesseln im Wohn-zimmer hat der Liebling seine Krallen geschärft und reichlich Fäden gezogen. Die Sitz-flächen weisen Flecke auf. Du überlegst, ob sie schon getrocknet sind. In einer Ecke des Raumes wartet eine Spinne in ihrem Netz auf Beute. Der Hausherr kommt gerade unrasiert und mit einer zerknüllten Zeitung vom Klo und blickt dich Störenfried lustlos an. Er trägt Unterhemd und eine viel zu weite alte Anzughose, die nur von Trägern gehalten wird.
Um dieses stinkende Pärchen wäre es nicht schade, wenn ein Tiger es frisst. Aber der Tiger bist du. Und die Jagd gilt nicht dem Pärchen, sondern seinem Geld. Großkatzen sind schlau, sie schleichen sich lautlos an. Das heißt lächeln, lächeln, lächeln. Wenn du jetzt nicht lächelst, ist alles vorbei, die Beute gerät außer Reichweite. So wie ein Politiker seinen Wählern nie sagen darf, dass er sie für Idioten hält, so wenig sollte ein Verkäufer Kritik am Kunden üben. Verkaufen heißt loben. Dazu gehören keineswegs nur Worte, sondern auch die Gestik und Mimik. Alles muss übereinstimmen. Du kannst die Leute nicht für ihren guten Geschmack loben, gleichzeitig aber die Nase rümpfen und angewidert dreinschauen. Ab jetzt ist alles gefährlich und kann geschäftsschädigend sein.
Also lobst du erst einmal die schöne Wohnlage, die sich das Schmuddel-Paar ausgesucht hat: Wenn auch die Fassaden bröckeln und die Motorgeräusche tausender Autos durchs Fenster dringen, so ist doch die Anbindung äußerst verkehrsgünstig. Hier wohnen Menschen, die klug genug sind, auf bezahlbare Mieten zu achten. Da bleibt sicher Geld für Wichtigeres übrig. Du kennst stinkvornehme Leute in teuren Wohnvierteln, die müssen schon bei den Brötchen sparen. Jetzt lächelt die dicke Frau, der Mann guckt nicht mehr ganz so abweisend.
Sinn für Tiere haben Sie auch. Nur gute Menschen lieben Tiere. Du hast zu Hause eben-falls eine Katze, weiß mit schwarzen Flecken, dein Ein und Alles. Die darf natürlich überall hin. Jetzt freut sich die dicke Frau, der Mann lächelt.
Weiter darfst du jetzt nicht gehen und keinesfalls behaupten, dass du auch eine dreckige Wohnung hast, rät der Fürst. So etwas schweißt nicht zusammen. Achte darauf, was die Leute selbst sagen. Nehmen wir an, der Frau ist aus irgendeinem Grund ihr Aufmachung peinlich. Dann wunderst du dich. Warum denn? Darf man sich in der eigenen Wohnung nicht mehr sportlich kleiden? Oder sie schämt sich wegen der zerkratzten Möbel. Na, da sollte sie erst mal deine Katze kennenlernen. Die Unordnung? Ach was! Das schlimmste Zimmer, das du je gesehen hast, ist das von deinem Sohn. Jetzt ist die dicke Frau dankbar, der Mann fühlt sich bestätigt.
Auf den brauchst du ohnehin nicht einzugehen. Männer genieren sich nie. Aber die Zei-tung ist interessant. Steht da wieder was zur Rente drin? Keine guten Zeiten, was? Der Mann sieht das genauso. „Alles Murks, diese Politik.“ Mit diesem Urteil stimmst du voll überein. Es ist Gott sei Dank noch möglich, etwas von dem Murks zu reparieren, wenigstens auf privater Ebene. Man kann das Pech noch meiden. Dafür ist „Pechmeider“ ja da, dafür bist du da. Du hast schon vielen dankbaren Menschen geholfen.
Das Pärchen nickt erfreut und ist offen für dich. Du bist sympathisch. Der Tiger hat die Beute in den Krallen und kann zubeißen. „Gut gemacht!“, brüllt der Fürst.
Wenn etwas betrüblich ist im Leben, dann der oft gravierende Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Beim Üben des Verkaufsgesprächs hast du zwar nachgewiesen, dass du dich wie ein richtiger Tiger selbst in einem stinkenden Umfeld erfolgreich anschleichen kannst. In der Realität hilft dir das leider nicht weiter. Denn es ist nicht Dreck, der einen Kunden eklig macht, es sind seine dreckigen Fragen. Manche Leute spielen sich auf, als ob sie alles wüssten und alles wissen müssen.
Aber auch an diese Personen sollst du verkaufen, selbst diese Menschen bedürfen dei-ner Liebe. Es ist leider so, dass sich niemand seine Kunden aussuchen kann. Das hatte sogar Walter Ulbricht festgestellt, der bis 1971 als Erster Sekretär des SED-Zentralkomitees der oberste Sozialismus-Verkäufer in der DDR war. Von ihm stammt der Ratschlag an seine Getreuen, den Sozialismus mit den Menschen aufzubauen, die da sind. Der Vertrieb von Finanzprodukten ist ebenalls nur an reale Personen möglich. Und das sind, wie schon Ulbricht erleben musste, oft schwierige Kunden. Deshalb lässt Fürst Pechmeider auch noch das Gespräch mit Herumnölern trainieren.
Ihr nehmt mal an, ihr sitzt bei einem Klugscheißer im Wohnzimmer. „Solche Leute“, sagt Pechmeider, „erkennt ihr daran, dass sie sich die Unterlagen des angebotenen Immobilien-Fonds genau anschauen.“ Der Mann ist ein Provokateur, deshalb will er wissen, warum die schriftlichen Angaben zur Anleger-Rendite viel verschwommener sind als die mündlichen. Ruhig bleiben! Natürlich sind die Abschlussgebühren das einzig Sichere an dem Vertrag. Das müsst ihr aber nicht hinausposaunen. Um Himmels Willen, kein Wort darüber, wie wenig ihr über die Zukunft wisst. Die ganze Zunft der Banker, Finanz- und Versicherungsmakler hat keinen blassen Schimmer von dem Scheiß, der in einigen Jahren sein wird. Während sich Meteorologen immerhin für einige Tage im voraus Prognosen zutrauen, wissen Börsianer oft nicht einmal, was die nächste Stunde bringt. Auch über dem Schicksal von Immobilien-Fonds liegt ein dicker Nebelschleier.
Was lehrt euch das? Haltet den Schnabel, wenn es um die Zukunft geht, prahlt mit der Vergangenheit, rät Fürst Pechmeider. Bisher läuft der von dir angebotene Fonds recht gut. Das darfst du reinen Gewissens behaupten, denn es gibt ihn noch nicht lange. Also, der Fonds hat sich bewährt. Ist es falsch, an Bewährtem festzuhalten? Dagegen kann der Klugscheißer nichts sagen, da bleibt ihm die Spucke weg. Störrisch, wie er ist, rafft er sich aber gleich wieder auf. Er findet deine Empfehlung dämlich, für den Kauf des Immobilien-Fonds einen Kredit aufzunehmen. Da fallen doch Zinsen an, die den versprochenen Gewinn schmälern.
„Achtung!“, brüllt der Fürst. „Jetzt ist eure zweite Provision, die von der Bank, in Ge-fahr.“ Glücklicherweise hat die Regierung aber den Vertriebsleuten geholfen, indem sie den Immobilienerwerb steuerlich begünstigste. Der Klugscheißer kann also seine Zinsen steuer-lich geltend machen. Pech hast du nur, wenn bei ihm nicht genug Steuern anfallen. Grauen Mäusen, die nicht genug verdienen und daher wenig Steuern zahlen, kann der Staat auch keine steuerliche Entlastung schenken. Hier droht das Verkaufsgespräch zu scheitern, denn hier wäre auch für dich nichts zu holen. Manche Intellektuelle sind ziemlich arm. Das zeigt, dass es sich nicht um wirklich Kluge, sondern eben um Klugscheißer handelt.
Der gute Steuerzahler-Kunde indes bäumt sich noch mal auf. Angesichts der vage for-mulierten Aussagen zur Rendite befürchtet er, nicht nur die Zinsen, sondern auch die Inflationsrate könnte seinen Gewinn auffressen. Jetzt bitte nicht für den Kunden sichtbar auf-schrecken, sondern stattdessen die gerichtsfest nichtssagende Formulierung im Vertragstext mündlich noch mal in eine ganz fette Rendite verwandeln. Schließlich kommst du von „Pech-meider“. Und bei dem liegt das Innovative stets im Mündlichen. Nun zeigst du die Pyramide. Vor so einem großen Bauwerk kapitulieren sogar die Intellektuellen. Die Bevölkerungs-Pyramide wird zur Provisions-Pyramide.
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