Feinde und Offensiven
Obwohl du in der neuen Firma ziemlich weit unten beginnst, prüfen erst mal alle, ob du ihnen gefährlich werden kannst. Das ist wie in der Politik: Ein SPD-Mann findet seine persönlichen Feinde nie in der CDU. Denn deren Mitglieder können ihn auf der Karriereleiter nicht überholen. Solch ein widerliches Verhalten ist nur bei den eigenen Leuten denkbar. Der große Kampf findet also innerhalb einer Partei und weniger zwischen den politischen Fronten statt. So ist es auch in der Wirtschaft.
Als du noch bei der Konkurrenz warst, hättest du mit etwas mehr Intelligenz deinem jet-zigen Betrieb nur in seiner Gesamtheit schaden können. Nun bist du für jeden einzelnen Mitarbeiter im Kampf um gute Posten ein Widersacher. Für dich spricht, dass dein Ex-Unternehmen pleite macht. Aber das reicht nicht aus, deine neuen Kollegen von deiner Harmlosigkeit zu überzeugen. Du bist mal wieder in einer schwierigen Position. Dein jetziger Chef erwartet von dir Ideen. Dafür hat er dich eingestellt. Bei allen anderen Mitarbeitern wirst du nur punkten, wenn du überhaupt keine Ideen hast, nichts verändern willst und auch sonst in keiner Weise positiv auffällst.
In deren Erwartungsprofil passt du natürlich haargenau hinein. Es ist aber wichtig, dass der Chef das nicht gleich merkt. Noch setzt er Hoffnungen in dich. Irgendwie musst du die Probezeit überstehen. Am besten, du sagst möglichst wenig. Es ist günstig, wenn du den Bescheidenen mimst, der sich alles erst einmal gründlich ansehen will. Gucken darfst du, reden nicht. Deinen Kollegen wird das gefallen. Und beim Chef gehst du schweigend vielleicht sogar als großer Denker durch. Reden kann dagegen sehr entlarvend sein. Es ist unverzeihlich, in der Probezeit dummes Zeug zu schwätzen. Später bist du besser geschützt.
Allmählich kriegst du mit, was der Chef so für Vorstellungen hat. Die musst du dir zu eigen machen. Es bleibt dann fast unbemerkt, wenn du selber über keine Ideen verfügst. Im Gegenteil: Es ist sogar riskant, wenn du welche hast. In den schriftlich verankerten Werten des Unternehmens wird zwar auf Kreativität größtes Augenmerk gelegt. Damit ist aber keineswegs gemeint, Gedanken zu entwickeln, die sich wesentlich von denen des Chefs unterscheiden. Nur so können schließlich alle gemeinsam an einem Strang ziehen, was ebenfalls ein wichtiger Punkt auf der Werte-Skala ist.
Der Chef beurteilt die Befähigung seiner Untergebenen danach, inwieweit sie verstehen, was er will. Oft weiß er das allerdings selbst nicht so genau. In solchen Fällen startet er eine Offensive. Das Wesentliche daran ist, dass sich eigentlich nichts verändert. Es gibt Produktoffensiven, Qualitätsoffensiven, Marketingoffensiven Kommunikationsoffensiven und allgemeine Offensiven. Der Fußballtrainer Otto Rehhagel fügte noch die kontrollierte Offensive hinzu. Du solltest deinen Chef nie vor versammelter Mannschaft fragen, ob es sich bei seiner neuesten Offensive um eine kontrollierte handelt. Er fühlt sich dann nicht ernst genommen. In seinem Schlachtplan kämst du folglich nicht mal mehr als Gefreiter vor.
Mach es wie deine neuen Kollegen. Die wissen, wie sie sich bei Verkündung einer neuen Offensive zu verhalten haben: nicht grinsen, sondern ernst dreinschauen und weitermachen wie bisher. Merke: Alle Offensiven verlaufen alle im Sande. Sie sind nichts anderes als Zuckungen einer übernervösen und ratlosen Unternehmensleitung. Der Chef glaubt, dass er mal wieder mit kämpferischen Worten gegen den Alltagstrott anrennen muss. Der Chef glaubt so manches.
Störe ihn dabei nicht, sammle lieber Punkte. Erkläre alles, was du tust und sowieso getan hättest, zum Teil der Offensive. Deine Kollegen werden zwar über dich lachen. Doch wenn es später darum geht, die nächste Sprosse der Karriereleiter zu erklimmen, wird denen das La-chen schon vergehen. Die Offensive dürfte sich dann als sehr erfolgreich erweisen. Nicht für das Unternehmen, aber wenigstens für dich.
Mit deiner Offensivetauglichkeit würdest deinen neuen Kollegen gern die schönsten Posten wegschnappen, aber die kontern dich clever aus. Sie wählen dich kurzerhand in den Be-triebsrat. Dieses Gremium steht in der Gunst des Chefs ganz weit unten. Deshalb hast du dich auch lange hin und her gewunden, aber letztlich ist es dir nicht gelungen, so viel Ehre aus-zuweichen. Jetzt erwarten alle von dir, dass du für sie kämpfst. Sie denken dabei ganz stark an eine Gehaltsoffensive. So was hattest du auch vor. Allerdings wolltest du individueller vorgehen, nicht so sehr mit Blick auf die Gesamtbelegschaft.
Das kannst du dir jetzt abschminken. Es bleibt dir nichts anderes übrig, als Argumente zu sammeln, mit denen sich die Armut der Belegschaft eindrucksvoll beweisen lässt. Das ist nicht schwer, doch gleichzeitig prallst du auf die Armut des Chefs. Der würde euch ja so gern was geben. Aber wie das Leben so spielt, es ist nichts mehr da. Im Gegensatz zu deinem alten Pleite-Direktor hat der neue seine Schäfchen ins Trockene gebracht und das Unter-nehmen an einen Investoren-Fonds verhökert. Er ist jetzt selbst nur Gehaltsempfänger und Diener einiger Herren in Nadelstreifen. Die sind so vornehm, dass sie am liebsten nirgendwo erwähnt werden.
Jetzt kannst du wieder etwas lernen. Investitionen bezahlt man am besten mit dem Geld fremder Leute. Die Nadelstreifen-Gurus sind darauf regelrecht spezialisiert. Wenn du die Ge-winne einer Firma in die eigene Tasche lenken willst, musst du den Kauf der Firma noch lan-ge nicht aus der eigenen Tasche bestreiten. Die Streifigen haben einfach einen Kredit aufge-nommen und damit den Chef ausbezahlt. Der hat das Geld schnell in Sicherheit gebracht. Wenn du nun denkst, dem Fonds könnte die Kreditrückzahlung irgendwelche Sorgen berei-ten, dann irrst du sehr. Denn die neuen Eigentümer haben das Unternehmen zum Schuldner bestimmt. Die Firma zahlt aus ihrem Gewinn erst den Kredit zurück, dann macht sie die Fonds-Leute noch reicher.
Deshalb ist für euch Deppen nichts im Topf, obwohl ihr tagein-tagaus rackert. Genau ge-nommen, aber nur mal so rein philosophisch betrachtet, seid ihr die Investoren und nicht die feinen Herrn vom Fonds. Denn ihr zahlt, auch durch Lohnverzicht, mit eurer Arbeit den Kredit ab. Außerdem muss das Unternehmen neben dem Gehalt vom Chef die noch fetteren Bezüge einiger Fonds-Herren, die sich als Vorstände eingenistet haben, erwirtschaften. Du begreifst, dass die Gehaltsoffensive längst stattgefunden hat. Ihr von der Belegschaft wart nur nicht dabeigewesen.
Ja wo wart ihr denn die ganze Zeit? Erst schlafen und sich dann hinterher aufregen, das ist nicht in Ordnung. Ihr seid schlicht zu langsam für die Marktwirtschaft. Jetzt hilft euch die Wut nicht weiter und schon gar nicht die Idee, den feinen Herren in ihre gut betuchten Hintern zu treten. Revolutionen sind in Deutschland verboten. Und zwar streng. In Frank-reich mag das noch angehen. Die Franzosen haben ein überschäumendes Temperament. Wenn denen etwas nicht gefällt, dann zünden sie Autos an, werfen mit Steinen und prügeln sich mit der Polizei. Sie kidnappen auch mal einen Manager und sperren ihn ein. Dann hüpfen sie voller Freude umher und liegen sich in den Armen. Aber am Ende setzt sich sogar bei denen immer die Polizei durch.
Wir dagegen gründen im Fall größter Wut eine Behörde. Denn nur sie kann unseren Ärger ordentlich verwalten. Niemand tritt, niemand spuckt, niemand außer der Polizei sperrt ein. Selbst der dickste Hintern ist gesetzlich geschützt. Als Betriebsrat hast du da ganz schlechte Karten. Und deine Kollegen sind stinksauer auf dich, weil du so gar nichts in Bewegung setzt. Normalerweise wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen, an einen Rücktritt zu denken. Leider ist das nicht so einfach. Für die Belegschaft wärst du ein Versager, beim Chef bis du sowieso schon unten durch. So wie du zwischen allen Stühlen sitzt, bräuchtest du eigentlich wieder einen neuen Job. Aber woher willst du den nehmen? Du bist schließlich kein gescheiterter Minister.
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