„Wir mit unserem Zeitgefühl interpretieren dies so, aber wir haben auch schon festgestellt, dass es da „drüben“ ein anderes Zeitgefühl gibt. Vielleicht ist es ein Zustand zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ein erhöhter Standpunkt sozusagen.“
Jochen, der Arzt meldete sich zu Wort.
„Es ist verdammt erschütternd, wenn ich als Arzt von der Polizei gerufen werde, um die Leiche eines siebzehnjährigen Mädchens zu untersuchen, das bestialisch ermordet wurde; und ich andererseits nach drei Tagen ihre Stimme auf Tonband höre.“
Er machte eine Pause, sah in die Gesichter der Freunde und fuhr fort. „Im Sommer vor drei Jahren wurde Susanne, ein Mädchen aus unserer Nachbarschaft und auch noch meine Patientin, von einem psychopathischen Killer mit achtzehn Messerstichen ermordet, sie wurde mehrfach vergewaltigt und so weiter und so weiter, mehr Details will ich nicht mehr nennen. Ich wurde zur Fundstelle gerufen und musste sie untersuchen. Ihr könnt euch vorstellen, welches Grauen mich überkam, als ich sie so im Wald liegen sah und sie als Susanne Dembrecht erkannte. Von ihren Freunden wurde sie Susi gerufen. Ich konnte die nächsten zwei Tage weder essen noch schlafen. Am dritten Tag aber habe ich mein Tonbandgerät eingeschaltet und bat um Kontakt mit Susanne. Mir lief es kalt den Rücken herunter, als ich ihre süße, etwas langsame Stimme hörte: . Ich fragte, wie es ihr geht und ob sie mir den Namen ihres Mörders nennen kann. >Susi geht gut hier< und nach ein paar Sekunden dann….
Gotthard Dimmer, also dieser Goddi war ein Polizei bekannter Spanner, der im Verdacht stand, mehrere junge Mädchen vergewaltigt zu haben, dem man es aber nicht nachweisen konnte. Ich habe lange überlegt, ob ich dem Kommissar meine Einspielung mitteilen sollte oder nicht. Ich habe es nicht getan, ich hatte nicht den Mut. Nach vier Wochen aber wurde dieser Gotthard Dimmer festgenommen und später als Mörder verurteilt.“
„Ich kann mich so schwach an den Fall erinnern…,“ sagte Dieter Schelling, „..wieder ein Beweis für die Faktizität der Stimmen…“
„Das muss man sich nur mal vorstellen. Liegt der tote Körper da ...und ein paar Tage später dann ihre lebendige Stimme,“ wiederholte sich Jochen.
Gegen halb elf brachen sie auf, jeder fuhr mit einer neuen kleinen Erkenntnis und neuem Wissen wieder nach Hause.
Fünfundvierzig Minuten später war er in Nidderau. Klara schlief schon. Er ging leise in sein Büro, machte eine Flasche Rotwein auf und trank ein Glas. Dann legte er ein Kassette ein und während er genüsslich den Wein trank, hörte er sich Carl Orff`s Carmina Burana an.
In der Zwischenzeit hatten sich viele Interessenvereine manifestiert. Überall auf der Welt versammelten sich Menschen, die ebenfalls die Wiederholung der damaligen Sendung über Jürgenson in Schweden gesehen hatten. Sie experimentierten und diskutierten über dieses Phänomen. In Düsseldorf war der größte Verein für dieses Tonbandstimmenphänomen.
Einige Monate später brachte Paul die erste Ausgabe eines Mitteilungsblattes heraus. In diesem internen Blatt konnte jeder seine Einspielungen und Erlebnisse beschreiben. Schon nach wenigen Monaten wurde dieses Blatt in Englisch herausgegeben.
*
Es ist schon eine ungeheuere Behauptung, mittels eines Tonbandgerätes beweisen zu können, dass das Leben nach dem Tod weitergeht.
Und dass es jederzeit jedem vorgespielt werden kann.
Und dass es keiner besonderen Begabung bedarf.
Manch einer, der das Leben satt hat, weil er zu viele Schicksalsschläge bekam und meint, immer nur zu den Verlieren zu gehören, könnte in Versuchung geraten, einen Strick oder 50 Tabletten zu nehmen, weil es angeblich „da drüben“ wunderschön ist.
Und ein anderer könnte mit Ruhe und Gelassenheit seinem Tod entgegensehen bei dem Gedanken, dass sein Leben so weitergeht; zwar in anderer Form und in einer anderen Dimension.
Aber beide hätten denen, die das alles nicht interessiert, eines voraus: das Gefühl, dem Geheimnis des Lebens auf der Spur zu sein.
Und deshalb sage ich aus eigener Erfahrung:
Es ist ein Phänomen, dass sich Verstorbene aus dem Jenseits melden, wenn Lebende daran interessiert sind, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Angefangen hat das alles so:
Im Jahre 1959 nahm der schwedische Maler, Archäologe und Sänger Friedrich Jürgenson (1903 – 1987) in seinem Garten Vogelstimmen auf ein Tonbandgerät auf. Als er das Band abspielte, hörte er seltsamerweise Stimmen von Verstorbenen. Er begann der Sache nachzugehen und experimentierte fortan mit seinem Tonbandgerät, machte weitere Aufnahmen und stellte fest, dass es wirklich die Stimmen seiner verstorbenen Verwandten und anderer Verstorbener waren.
1967 erschien sein Buch „Sprechfunk mit Verstorbenen“.
Dieselben Experimente machte der Lette Konstantin Raudive (1909 – 1974) Psychologieprofessor und Student von C.G. Jung. Auch er nahm ab 1965 die Stimmen von verstorbenen Menschen auf Tonband auf.
Dr. Raudive war ein Sprachgenie, er sprach lettisch, russisch, französisch, spanisch, deutsch, schwedisch und lateinisch. 1969 erschien sein Buch „Unhörbares wird hörbar“ auf der Frankfurter Buchmesse. Seine Einspielungen wurden von 2 wissenschaftlichen englischen Gremien untersucht und für paranormal erklärt: Angesichts der Ergebnisse der Tests findet etwas statt, was wir mit unseren normalen physikalischen Begriffen nicht erklären können. Die Stimmen waren Fakten, die Interpretationen blieben offen, waren nicht erklärbar. Betrug wurde durch die Tests ausgeschlossen.
In der Zwischenzeit hatte sich dieses Phänomen in alle Welt verbreitet, es gab Vereine und Interessengemeinschaften.
Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: man nehme ein Tonbandgerät, steuere die Aufnahme sehr hoch aus, setze das Mikrophon einen Meter vom Gerät entfernt und drücke auf den Aufnahmeknopf. In den meisten Fällen wird so ein Experiment mit Fragen eingeleitet, und es dauert nicht lange, da kann man nach dem Zurückspulen und Abhören Stimmen hören, die sich auf die Fragen beziehen.
Die Stimmen kommen teilweise leise oder laut, schnell oder langsam, singend oder sprechend, von metallischen Geräuschen begleitet oder in polyglotter Sprache durch. Sie bringen auch Emotionen zum Ausdruck: Hass, Zorn oder Liebe. Als damals in den 70er Jahren die Deutsche Bundespost in Schweden war und über die Einspielungen im Fernsehen berichtete, trat ein weiteres Phänomen zu Tage. Wenn Jürgenson das Bandgerät rückwärts laufen ließ, enthielt es vollkommen andere Nachrichten als beim Vorlauf. Und wenn er das Band mit einer anderen Geschwindigkeit abspielte, kamen wiederum ganz andere Nachrichten. Die Stimmen sagen: Gedanken bedeuten Sprechen, das heißt, dass der Gedanke als elektromagnetischer Impuls bereits „drüben“ ankommt, bevor der Inhalt ins Mikrophon gesprochen wird. Insofern erhalten einige Experimentatoren schon die Antworten, bevor sie die Fragen gestellt haben.
4.
Seit ungefähr dreißig Jahren träumte er immer wieder denselben Traum, er sah ein totes Babygesicht, das plötzlich die Augen öffnete und sich zur hässlichen Fratze verwandelte. Dann wachte er schweißgebadet von seinem eigenen Schrei auf.
Er erinnerte sich an eine Begebenheit in seiner Kindheit. Da gab es die Geschichte vom Flaschengeist. In seiner Fantasie hatte sich das Bild festgesetzt, dass dieser Flaschengeist sich ausdehnen könnte, um die Flasche zu sprengen. Dahinter verbarg sich eine latente Wut, eine Aggression von großem Ausmaß, die nach Befreiung schrie, die das Glas zersprengen wollte. Er hatte große, unerklärliche Schuldgefühle.
Durch diesen immer wiederkehrenden Traum entwickelten die Psychologen die These, dass Paul in der frühen Kindheit etwas Schlimmes erlebt haben musste. Er habe sie verdrängt, aber das Erlebte arbeite unbewusst weiter, wolle nach oben ins Bewusstsein steigen. Die Psyche jedoch schütze sich davor und hielt es in einer Schublade fest.
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