Außerdem gab ihnen ein Traum, der immer denselben Inhalt hatte, ein Rätsel auf.
Aber seine Mutter, als sie noch lebte, berichtete ihm, er habe eine normale, liebevolle Kindheit gehabt. Es gäbe nach ihrem Wissen kein Erlebnis, das solch schlimme Alpträume auslösen könne.
Ab und zu kam ihm der Gedanke, dass er vielleicht deshalb enormes Interesse an Verstorbenen hatte, dass er deswegen über das Tonband in ihre Welt eindringen wollte.
Auch Klara beobachtete diese Erscheinung mit großer Sorge. Sie war zwar immer anwesend, wenn er von Alpträumen gebeutelt schreiend aufwachte, konnte ihn zwar auch beruhigen, aber wirklich helfen konnte sie ihm nicht.
Auch seine frühere Verlobte Anne bekam selbst Todesängste, wenn sie ihn so schreien hörte.
Paul dachte an Hypnosesitzungen, die ihm Aufschluss geben könnten, verwarf aber den Gedanken wieder. Spukschloss Seele, sagte er sich. Keiner weiß genau, was in den inneren Tunneln des Unterbewusstseins vor sich ging.
Abgesehen davon, ist und bleibt das Leben ein Rätsel, dachte er. Und da er ein Mensch war, der sich nicht damit zufrieden gab, einfach da zu sein, wollte er wissen, was nach dem leiblichen Tod kam.
Da verfolgte er eines Tages eine Fernsehsendung, als ein deutsches Team nach Schweden fuhr und diesen Jürgenson besuchte. Er war wie elektrisiert, einen Blick in jene Welt zu werfen, von der niemand etwas wusste, viele aber daran glaubten, oder glauben wollten, dass es sie gibt.
Paul war davon überzeugt, dass es sie gibt, diese Sphäre der Geistigkeit nach dem Tod. Er war fest davon überzeugt, dass es hier auf dieser Welt keine Sinnlosigkeit gibt, dass alles seinen Sinn hat, und sei er noch so grausam. Er konnte anderen Menschen einen Trost geben, wenn sie jemanden verloren haben oder wenn sie an ihren eigenen Tod dachten. Und dieser Trost bestand in ganzen vier Worten: das Leben geht weiter. Die Stimmen, die er und viele seiner Freunde auf dem Tonband festhielten, waren ein Anscheinsbeweis.
Raudives Einspielungen wurden von 2 wissenschaftlichen englischen Gremien unter strengsten Bedingungen untersucht und für paranormal erklärt: Angesichts der Ergebnisse der Tests findet etwas statt, was wir mit unseren normalen physikalischen Begriffen nicht erklären können. Die Stimmen waren Fakten, die Interpretationen blieben offen. Betrug wurde durch die Tests ausgeschlossen.
Auch für Paul gab es nur eine einzig mögliche Interpretation, nämlich dass es die Verstorbenen sind, die sich manifestieren. Wer anders sollte es denn sein? Wer anders als die uns bekannten Toten konnte sich mit Namen und Informationen melden und sich dadurch zu erkennen geben!?
Paul erinnerte sich. Im Ladengeschäft in Frankfurt passierte im Frühjahr eines der zeitübergreifenden Phänomene. Paul saß im vierten Stock in seinem Büro. Zu dieser Zeit wurde unten auf der Strasse das Pflaster herausgerissen und erneuert. Dadurch drangen die Geräusche der einzelnen Maschinen, Kräne und Motoren und Arbeiterstimmen auch zu ihm hinauf. Er ließ sich trotzdem nicht davon abhalten, auch dort in seinem Büro Tonbandstimmeneinspielungen zu machen.
Es war am 22. August 1976, einem regnerischen Tag, als er das Band einschaltete und ins Mikrophon sprach: „Kann ich Konstantin Raudive sprechen?“
Konstantin Raudive, 1974 gestorben, war einer der ersten Tonbandstimmen-Forscher neben dem Schweden Friedrich Jürgenson , also eine Koryphäe und ein Avantgardist der Forschung.
Paul spielte drei Stimmen ein. Erst hörte er eine Männerstimme: >Konstantin Raudive<, dann eine Flüsterstimme mit Betonung auf und dann: .
Er trug die Einspielung mit den genauen Daten, Datum, Uhrzeit, Bandlaufnummer und Bandnummer in sein Buch ein.
Er tippte diese Einspielung in die Schreibmaschine und ließ sie in der nächsten Ausgabe seines Mitteilungsblattes als Erlebnisbericht veröffentlichen. Der Text lautete wie folgt.
„Am 22. August 1976, um 12.45 Uhr machte ich in meinem Büro in Frankfurt/Main Einspielungen. Unten auf der Strasse befand sich eine Baustelle mit ihren diversen Geräuschen. Ich rief Konstantin Raudive an. Kurz darauf brachen 3 Stimmen ein: 1) , eine dunkle Männerstimme. 2) eine Flüsterstimme: mit der Betonung auf Ko und 3) eine Männerstimme: < ja ich bin da>. Es blieben auf Grund der lauter werdenden Baustellengeräusche weitere Einspielungen ergebnislos.“
Das Mitteilungsblatt erreichte nun auch ausländische Forscher und Experimentatoren, die die Erfahrungen der Kollegen zur Kenntnis nahmen und auch selbst Mitteilungen machten, die veröffentlicht wurden.
Im September 1976 bekam Paul Post. Er öffnete den dicken Umschlag und entnahm ihm einen Brief und eine kleine Kassette. Der Absender war der Engländer Antony Hall aus Bridlington in Nordengland. Darin schrieb er, dass er am 23.August 1976 um 18. Uhr eine Einspielung gemacht hatte (Dialogexperiment, das heißt direkte Antwort) und den Inhalt zunächst nicht einordnen konnte. Er wollte Kontakt mit Konstantin Raudive, und eine sehr laute und deutliche Stimme brach durch: >Muss Raudive an der Baustelle warten oder wartet<. Er konnte mit dieser Aussage zunächst nichts anfangen. Nachdem er später in besagtem Mitteilungsblatt des Interessenvereins Pauls kurzen Bericht gelesen hatte, wusste er Bescheid. Konstantin Raudive nahm Bezug auf eine damalige Einspielung in Frankfurt unter den störenden Baustellengeräuschen.
Paul staunte. Er ging in die Küche und brühte sich einen neuen Tee auf. Dann legte er die Kassette in sein Radiofach und drückte auf Play. Er hörte die englisch sprechende Stimme von Antony Hall und dann eine sehr laute und deutliche Stimme inmitten von kratzenden Radiogeräuschen: < Muss Raudive an der Baustelle warten>!
Da wollte er am 22.August 1976 in Frankfurt Kontakt mit Raudive haben, und am dreiundzwanzigsten August meldet sich dieser tote Raudive an der Nordostküste Englands bei einem anderen Mensch und verweist auf die Baustelle, an der er warten musste.
Das würde er in der nächsten Versammlung in Wiesbaden vorspielen, es war einfach phänomenal! Das Dialogexperiment, also die direkte Antwort ist wie ein Telefongespräch. Antony Hall spricht ins Mikrophon und hört sofort die Antwort aus dem Radio; und alles wird aus Gründen der Nachprüfung auf Tonband aufgenommen.
Sie hatten sich an einem Freitagabend bei einem guten Essen im italienischen Restaurant >Da Nino< wieder über die Stimme von Sarah unterhalten. Für Klara war es ein immerwährendes Thema geworden, obwohl sie stets mit sehr gemischten Gefühlen daran dachte. Paul trug das Argument vor, man solle diesen damaligen Freund ihrer Schwester irgendwie ausfindig machen.
„Das wird schwer. Ich weiß nur noch, wie der Ort hieß, in dem wir Urlaub gemacht hatten, es war eine kleine private Pension in der Nähe von Bern, Ostermundigen hieß er. Wir sind fast jedes Jahr dorthin gefahren. Meine Eltern und die Wirtsleute hatten sich im Laufe der Zeit angefreundet.“
Sie stocherte mit der Gabel auf dem Salatteller herum.
„Außerdem war es billig.“
„Die Wirtsleute gibt`s wahrscheinlich nicht mehr, oder?“
„Die sind Jahre später gestorben.“
„Und dieser Äppli, du erinnerst dich an ihn?“
„Ja, er war ein reizender Junge, ein, zwei Jahre älter als Sarah. Auch ich hab mich in ihn ein bisschen verliebt. Aber Sarah war richtig verknallt in ihn. Er kam fast täglich mit dem Fahrrad nach Ostermundigen, und die beiden trafen sich heimlich. Meine Eltern durften nichts wissen davon. Ich verstehe, dass es andere Beweise geben muss, damit die Sache richtig untermauert ist. Aber ich glaube nicht, dass wir ihn aufstöbern können.“
„Gibt es Briefe von ihm?“
„Ich weiß nicht. Ich habe damals, als ich das Haus verkaufte, alle persönlichen Sachen in einen Koffer gepackt. Ich konnte sie nicht wegwerfen, konnte sie aber auch nicht mehr sehen, das tat so weh, verstehst du?“
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