Asiatische Weisheitslehren scheinen sich hier besonders gut zu eignen, weil sie vermeintlich neutral sind und sie somit jeder nach seiner Willkür gebrauchen kann. Weder das eine noch das andere ist korrekt.
Ich bin gewiss kein Fan der fernöstlichen Weltanschauungen, doch die Versuche vieler Menschen im Westen, deren Aussagen zu vereinnahmen, lehne ich entschieden ab. Es gibt weder Kultur noch Religion im Ausverkauf zu erstehen, die Schnäppchensuche nach den tollsten geistigen Angeboten verrät die Dekadenz unserer Gesellschaft.
Die ehrliche Suche nach Selbst-Bewusstsein ist jedenfalls weder Religion noch Religionsersatz.
„Glaube ganz fest an dich, dann wird alles gut.“
So oder ähnlich hören wir Tag für Tag, wenn vom erfolgreichen, glücklichen Leben die Rede ist, für das uns konkrete Personen als Vorbilder genannt werden.
„Du musst es dir ,nur‘ ganz stark einprägen, dann wird es Realität.“
„Du musst es ,nur‘ wollen.“
Das reale Leben spricht jedenfalls eine andere Sprache, und schwärmerische Märchen-Sprüche machen Menschen nur noch unglücklicher.
Insbesondere muss an dieser Stelle hinterfragt werden, was denn das berühmte „es“ sein soll?
Die totale und unveränderliche Begeisterung aller Menschen für dich und deine Gedanken, Worte und Taten?
Selbst-Bewusstsein ist konkreter:
Wenn du dir deiner Schwächen selbst bewusst wirst, kannst du konkret an ihnen arbeiten und konkrete Fortschritte erzielen. Diese wiederum stärken das Selbstvertrauen.
Wenn du dir deiner Stärken selbst bewusst wirst, stärkt das sogleich dein Selbstvertrauen.
8. Selbstverwirklichung, Esoterik, Allmacht
Selbst-Bewusstsein bedeutet nicht Selbst-Erlösung, denn Selbst-Erlösung ist unmöglich.
Selbst-Bewusstsein ist ein Teil der Realität, den du zu deinem gelingenden Dasein beitragen kannst.
Darüber hinaus gibt es unendlich viele Dinge, die nicht in deiner Hand liegen, aber Selbst-Bewusst-sein hilft dir, auch mit ihnen besser umzugehen.
Selbst-Bewusstsein bestärkt dich, deinen Teil des Ganzen auf bestmögliche Weise zu erfüllen.
Das Ganze und du sind immer zwei grundlegend verschiedene Dinge.
Du wirst niemals das Ganze sein, und das Ganze wird niemals du sein.
Was haben wir, das wir nicht erhalten hätten?
Selbst-Bewusstsein macht dich also nicht zum Herrn deines Lebens, geschweige denn jemand anderes Lebens oder noch größerer Einheiten.
Wer immer sofort alles will, dem ist nicht zu helfen.
Selbst-Bewusstsein zeigt dir deinen Platz im Ganzen und kann dich von abgehobenen Allmachtsphantasien befreien.
9. Garantie zum Glücklichsein
Glücksritter geben alles, um den eiligen Gral zu finden: das Glücklichsein.
Oberstes Maß und Ziel ist ein vergänglicher Zustand des Wohlbefindens, der regelmäßig neu definiert wird. Mit im Gepäck die ständig präsente Frage: „Macht mich das glücklich?“
Das kann ganz schön anstrengend sein.
Und macht garantiert unglücklich.
Du darfst dich frei entscheiden, wohin du schaust. Es ist kinderleicht unzufrieden zu sein, jeder kann das, immer und überall. Um zum Frieden zu kommen, bedarf es schon größerer Mühe, aber das wunderbare Ziel ist einen hohen Einsatz wert.
Selbst-Bewusstsein ist wichtiger als Glücklichsein.
Selbst-Bewusstsein ist am Anfang zumeist mit Mühe verbunden, Wachwerden braucht Überwindung.
Aber eines ist sicher: Es macht dich glücklich, nicht ständig an dein Glücklichsein denken zu müssen.
Selbst-Bewusstsein zeigt dir:
So schlecht bin ich gar nicht.
Selbst-Bewusstsein zeigt dir:
So großartig bin ich gar nicht.
10. Depersonalisation und Derealisation
Selbstverständlich hat dieses Buch nicht die Absicht, Krankheiten zu fördern oder gar zu verursachen.
Die Abgrenzung zu Krankheiten kann jedoch einige Aspekte von Selbst-Bewusstsein deutlicher machen, daher möchte ich dieses Thema ausführlicher behandeln.
Ausgangspunkt ist der Wikipedia Artikel über Depersonalisation und Derealisation, den ich auszugsweise, abgrenzend kommentiere:
„Depersonalisation oder Depersonalisierungserleben bezeichnet allgemein einen Zustand der Selbstentfremdung, bei dem es zum Verlust oder einer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsbewusstseins kommt. Betroffene erleben sich selbst als fremdartig oder unwirklich.“
Selbst-Bewusstsein führt hingegen zum Wachstum des Bewusstseins der eigenen Persönlichkeit. Bei den ersten Erfahrungen kann einem dieses neue Bewusstsein fremdartig vorkommen, doch schon bald kann man sich mit diesem neuen, stärkeren Bewusstsein anfreunden.
Es ist ähnlich wie bei anderen Elementarereignissen, zum Beispiel der Geburt des ersten Kindes.
In einem Augenblick kann einer Frau für immer bewusstwerden, dass sie nun Mutter ist.
Denselben Menschen hat sie etwa neun Monate in ihrem Leib getragen, das neugeborene Kind zum ersten Mal im Arm halten zu dürfen, besiegelt dieses neue Bewusstsein. Ich bin wirklich Mutter, mein Leben hat sich grundlegend verändert.
Immer besser in die Mutterrolle hineinzuwachsen, ist von da an eine tägliche schöne Aufgabe.
Fremdartig oder unwirklich mag auch diese Erfahrung aufs Erste sein, man kann sie aber auch positiv beschreiben: neu, unbegreiflich, himmlisch schön, transzendent, noch nie erlebt, unbeschreiblich, …
Ganz ähnlich ist es mit Selbst-Bewusstsein.
„Emotionale Taubheit: Betroffene empfinden, dass sie nichts fühlen, oder dass ihre Gefühle ,flach‘ oder unwirklich sind. Ihre Wahrnehmung von Personen oder Objekten ,lässt sie oft kalt‘, das heißt, das Beobachten eines Sonnenuntergangs, die Wahrnehmung von Schmerz oder das Berühren ihres Partners löst keine Emotionen aus.“
Selbst-Bewusstsein hingegen macht feinfühliger, aufmerksamer, hellhöriger. Ich erlebe mich selbst bewusst in dieser Situation, ich bemerke dadurch viele Dinge, die ohne Selbst-Bewusstsein in nüchterner Routine versinken.
„Veränderung der visuellen Wahrnehmung: Viele Betroffene haben das Gefühl, ,neben sich zu stehen‘, so, als würden sie ihre Umwelt aus einer veränderten Perspektive (von weit weg, von außerhalb ihres Körpers, durch eine Kamera oder wie auf einer Filmleinwand etc.) sehen.“
Selbst-Bewusstsein führt dazu, dass man sehr nahe neben sich selbst steht. Umso aufmerksamer kann man auf sich selbst achten und Positives wie Negatives deutlich wahrnehmen.
„Es kann auch sein, dass ein Gefühl der Unwirklichkeit gegenüber der Umwelt besteht. Dies wird als Derealisation bezeichnet. Hierbei werden Objekte, Menschen oder die gesamte Umgebung als fremd, unvertraut, unwirklich, roboterhaft, fern, künstlich, zu klein oder zu groß, farblos oder leblos erlebt. Viele Betroffene geben an, ihre Umwelt wie ,unter einer Käseglocke‘ oder ,in Watte gepackt‘ zu erleben. Manchmal kann dem Betroffenen die Umgebung zweidimensional erscheinen, wie ein Film.“
Selbst-Bewusstsein führt zu einem neuen Erleben der Umwelt im genau entgegengesetzten, positiven Sinn. Indem ich beginne, mich selbst neu und deutlicher wahrzunehmen, nehme ich auch meine Umwelt bewusster und deutlicher wahr.
Eingefahrene Denkmuster, Vorurteile, Scheuklappen, Tunnelblick, etc. werden auf erfrischende Weise aufgebrochen und eine unverstellte, unverbrauchte, klare Sicht auf die Umgebung wird möglich.
Freude und Angst können nahe beieinander liegen, wenn man die Dinge plötzlich so sieht, wie sie wirklich sind.
Die Umwelt erscheint jedoch alles andere als zweidimensional, sie gleicht eher der belebenden Erfahrung eines 7 D Kinos.
Man kann sich dabei leicht ausgesetzt fühlen, aber das Ausharren in der Realität führt auch hier zu gesunden Gewohnheitseffekten.
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