Einen Tag oder auch nur eine Stunde oder Minute später fassen diese Menschen ihre Erfahrungen in etwa so zusammen:
„Das ist jedenfalls nicht das, wonach ich suche, denn diese Sache kostet mich zu viel Anstrengung, und vollkommen glücklich macht sie mich auch nicht. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Also lasse ich es bleiben und schaue mich woanders um.“
Selbst-Bewusstsein hat immer auch mit Anstrengung, Aufmerksamkeit, Überwindung und ähnlich schönen Dingen zu tun.
Erleuchtung zum Nulltarif ist es jedenfalls nicht.
Macht nichts, denn Gratis-Erleuchtung gibt es sowieso nirgendwie und nirgendwann.
Weder im Lampengeschäft noch sonst irgendwo.
2. Eine Castingshow gewinnen
Oh, sie sind ja so beliebt und unfassbar wichtig:
Castingshows.
Riesenbühne, Ganz-gewaltige-Promi-Jury, ein zappeliges Menschlein, das hypernervös das Rampenlicht betritt.
Hallo, wer bist denn du?
Also ich bin der/die, die schon immer mal ganz etwas Besonderes sein wollte, aber dann waren da noch all diese furchtbar dramatischen Ereignisse in meinem Leben, aber heute bin ich nun endlich hier, und deshalb muss ich jetzt unbedingt dieses Lied singen, diesen enormen Dance-Act performen, oder sonst irgendwie extrem entertaining, bewegend, spe-ziell und nervend sein. Noch schnell ein Kameraschwenk zu den ebensolchen Eltern, Partnern, BegleitpersonInnen, und los geht’s.
Die ersten Takte, die größten Nöten, gaaanz große Gefühle, maaagische Momente und triiiefender Pathos, kreischende Zuschauer, gerührte Jury, …
Ja, es gibt tatsächlich immer wieder großartige Darbietungen von ganz normalen Menschen wie du und ich in Castingshows. Faszinierend. Bewegend. Wow.
Diese Menschen können auch uns inspirieren:
Das Beste aus sich herausholen, Talente zum Blühen bringen, sich selbst etwas zutrauen, Präsenz zeigen.
Das Ganze kann jedoch schnell zum Götzen werden, insbesondere in unserer von Erlebnissucht durchtränkten Gesellschaft. Du bist heute unser Superheld, morgen jedoch ist das ganz große Gefühl wieder vorbei, und wir suchen uns den nächsten Kandidaten zum Niederknien.
Das Ganze hat jedoch auch Vorteile:
Erfolg, Hype, Kick, … sind keine Dauerzustände, weil das ohnehin nicht zum Aushalten wäre.
Nach dem soeben Gesagten, fällt es nun hoffentlich leichter, die nüchtern-fröhlichen Fakten zu erfahren:
Dieses Buch hat nicht den Zweck, Selbstbewusstsein zu vermitteln, damit sich die Leser und Leserinnen schon möglichst bald trauen, die endlosen Warteschlangen der Castingshow-Kandidaten zu verlängern.
Dieses Buch soll helfen, Selbst-Bewusstsein zu erleben.
Und das ist mehr als jede Castingshow, das ist der ultimative Golden Buzzer, right now, right here.
3. Unglaublich reich und erfolgreich werden
Der Mangel an Selbst-Bewusstsein und der daraus folgende Mangel an Selbstvertrauen hat mittlerweile eine ganze Industrie entstehen lassen, in der es mindestens so viele Ein- wie Ausgebildete gibt:
Consulting.
Dieses Phänomen hat weitere Arbeitsplätze entstehen lassen für Menschen, die sich mit diesem Phänomen beschäftigen und Bücher mit phänomenalen Titeln veröffentlichen, z.B.:
„Versuch, das unglaubliche Wachstum des Beratungsmarktes zu erklären“
„Guter Rat ist (un)modern: Die Ratlosigkeit der Moderne und ihre Ratgeber“
„Systemische Organisationsberatung: Eine Konfrontation von Theorie und Praxis“ oder auch
„Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Managementberatung – Kunst, Handwerk oder Geschäft mit der Angst“.
Dabei ist doch alles ganz einfach:
Unter einer Beratung, Konsultation kann man ein Gespräch verstehen, in dem ein Teilnehmer Informationen weitergibt, um damit das Wissen des Empfängers zu vergrößern. Größeres Wissen kann gesteigertes Selbstbewusstsein zur Folge haben.
Bleiben noch die Fragen: Wer berät die Berater?
Und: Warum ist das alles sooo teuer?
Dieselben Fragen stellen sich beim Coaching, denn Dilettantismus und schamloses Ausbeuten scheinen auch hier weit verbreitet zu sein. Im Artikel über Selbstvertrauen sagt Wikipedia dazu:
„Organisatoren von Motivationsseminaren scheinen die Bedeutung von Langzeitarbeitslosigkeit als potenzielle Einnahmequelle erkannt zu haben. Mit teilweise dubiosen Praktiken versuchen sie, das Selbstwertgefühl gedemütigter Langzeitarbeitsloser zu steigern.
Die Effektivität solcher „Motivationsseminare“ bleibt – trotz teilweiser Förderung durch Arbeitsämter – jedoch fraglich. Ohnehin entbehrt jeglicher wissenschaftlichen Grundlage, dass eine Steigerung des Selbstwertgefühls unmittelbar Einsetzbarkeit und Erfolg auf dem Arbeitsmarkt steigere. Vielmehr scheint es eher ein Versuch zu sein, die Verantwortung des Einzelnen für sein Schicksal ins Gewissen zu rufen, anstatt externe Faktoren für Arbeitslosigkeit heranzuziehen, wie zum Beispiel Rationalisierung, Outsourcing oder Automatisierung.“
Dieses Buch hat nicht die Absicht, arme Menschen ärmer zu machen, sondern möchte Selbst-Bewusst-sein als wertvolle, kostenlose Hilfe vorstellen.
4. Selbst-Bewusstsein als Mittel zum Zweck
Selbst-Bewusstsein genügt sich selbst, denn es hat einzigartige, unersetzbare Bedeutung.
Viele schöne Dinge können die Folge von Selbst-Bewusstsein sein, und es ist durchaus legitim, sie als Anreiz für die Suche danach zu sehen.
Zum Vergleich: Vollwertige Ernährung ist ebenfalls ein hohes Gut, und ein wichtiger Anreiz besteht darin, dass sie die Gesundheit fördert. Aber vollwertige Ernährung ist in sich sinnvoll und hat vielerlei Vorteile, man sollte sie nicht als Mittel zu nur einem bestimmten Zweck missverstehen.
Wenn man Selbstbewusstsein anstrebt und dazu Selbst-Bewusstsein als Hilfe heranzieht, kann es leicht passieren, dass der eigenständige, hohe Wert des zweiteren aus dem Blick gerät.
Anders ausgedrückt:
Es ist auf jeden Fall sinnvoll, Selbst-Bewusstsein einzuüben, weil es bisher unbekannte und unvorstellbare Möglichkeiten eröffnet.
Genieße dabei jedoch ohne Hintergedanken, was dir geschenkt wird, wirklich wichtige Dinge sind zu kostbar, um verzweckt zu werden.
5. Selbst-Bewusstsein als Besitz
Unsere materialistische Welt bringt immer wieder große Schätze an Unsinn hervor, wenn es um nicht-materielle Güter geht, immerhin hat dies aber auch hohen Unterhaltungswert.
Da möchte man am liebsten einfach mal auf den Bestellbutton drücken und geistige Dinge sammeln, doch vieles hier auf Erden lässt sich nicht mit Geld kaufen, dazu zählt erfreulicherweise auch das Selbst-Bewusstsein.
Es geht eben nicht um Selbst-Bewusstsein besitzen, sondern Selbst-Bewusst-Sein.
Wir haben nicht etwas, wir sind etwas, wir sind wir selbst. Und das ist unendlich mehr.
Dein eigenes Bewusstsein ist ausschließlich für dich reserviert. Niemand braucht dir neidig zu sein, weil für jeden sein je eigenes Bewusstsein verfügbar ist.
In materiellen Dimensionen hat immer irgendjemand mehr Geld, mehr Erfolg, mehr Bewunderer, etc. als du. Und gleichzeitig hat immer irgendwer weniger Geld, Erfolg, Bewunderer, etc.
Dein Selbst-Bewusstsein hingegen nimmt niemand etwas weg, sondern gibt allen etwas.
6. Religion oder Religionsersatz
In unserer egomanischen Welt ist das unabhängige Ego für viele das höchste Gut.
„Ich brauche keinen Gott, keinen Staat, kein Gesetz, ich bin mein eigener Gott, mein eigener Staat, mein eigenes Gesetz.“, sagte ein berühmter feiger Mörder.
Was auch immer das sterile Scherz-Ich fördert, wird als Mittel zum Zweck zumindest mal ausprobiert, erlaubt ist, was mir nützt.
Völlig ungeniert wird dabei auch versucht, philosophische und religiöse Schätze zu vereinnahmen, was immer in tragisch-komischer Blamage enden muss.
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