»Ich denke schon. Da hätte ich auch von allein draufkommen können. Vielen Dank für den Tipp.«
»Gern. Also sehen wir uns nicht heute Nachmittag?«
»Nein, ich glaube, nicht.«
Auf dem Heiligengeistfeld war der Aufbau des Frühlingsdoms voll im Gange, als Moritz ankam. Überall herrschte rege Betriebsamkeit. Die DOM-Meile war vollgestellt mit Transportfahrzeugen, und Mitarbeiter, die wie fleißige Bienen hin und herhuschten, luden die einzelnen Teile der Fahrgeschäfte von LKWs und Containern und beförderten diese an den richtigen Platz. Als Orientierung dienten der DOM-Plan und die mittels Sprühfarbe erstellten Markierungen, die der Platzmeister schon Wochen zuvor auf den Asphalt gesprüht hatte.
Denn die Fahrgeschäfte konnten sich nicht einfach irgendwo hinstellen, sondern die Standorte waren im Vorfeld festgelegt worden. Per Brief waren die Schausteller über ihren Standplatz und ihre Einfahrtszeit informiert worden. Von den etwa fünfhundert Anfragen war nur die Hälfte angenommen worden. Einen Anspruch auf einen bestimmten Platz gab es nicht, egal, wie lange die Schausteller schon auf dem Hamburger DOM gastierten. Es wurde nach der Devise verfahren: Ähnliche Geschäfte sollten weit auseinander stehen, und Buden derselben Sparte sich nicht überschneiden. Auch die Tiefe der Attraktionen entschied über den Stellplatz.
Unter den Schaustellern gab es immer wieder welche, die mit ihrem zugewiesenen Platz unzufrieden waren, weil sie befürchteten, dort weniger Umsatz zu machen. Es konnte sogar vorkommen, dass einzelne Schausteller ihre Teilnahme deshalb absagten.
Überall hörte man Metall aufeinander prallen. Es wurden Schrauben arretiert und bunte Planen befestigt. Selbst Kräne kamen zum Einsatz.
»Weiter rechts, nein, mehr zur Mitte!« lauteten die Kommandos.
»Könnt ihr noch Hilfe gebrauchen?«, sprach Moritz einen der Arbeiter an.
»Was? Nein, wir sind vollzählig. Frag mal den Platzmeister. Der ist darüber informiert, wer mit Aushilfen arbeitet.«
»Und wo finde ich den?«
»Wenn er nicht gerade unterwegs ist, in seinem Büro im zweiten Stock des DOM-Referats. Das liegt auf der Westseite vom Millerntor-Stadion.«
»Danke.«
Moritz erhielt keine Antwort, weil der junge Mann schon wieder mit seiner Arbeit beschäftigt war. Der Platzmeister hatte dann tatsächlich einen Tipp für ihn.
»Versuchs mal bei dem Weber. Dem gehört das „Breakdance“. Soviel ich weiß, hat der nur drei feste Angestellte. Dazu nimmt er meistens drei Aushilfen.«
»Können Sie mir sagen, wo er sein Fahrgeschäft aufbaut?«
»Hier, siehst du?« Der Platzmeister deutete auf den Plan. »Unweit des Fünfer Olympia Looping. Du solltest dich gleich auf den Weg machen. Der Sattelauflieger müsste in der nächsten halben Stunde ankommen. Komm, ich begleite dich. Ich muss noch mal nach dem Riesenrad sehen. Ob da alles seinen Gang geht.«
Als Moritz und der Platzmeister wenig später zu der bewussten Stelle kamen, rangierte der Inhaber des Fahrgeschäfts gerade einen der drei LKW-Anhänger auf die richtige Position. Seine Mitarbeiter wiesen ihn dabei ein. Zuvor hatten sie schon mit Maßbändern den Stellplatz ausgemessen. Zum Schluss wurde der Kran aufgestellt, und nach dem Ausladen konnte der Aufbau beginnen.
»Braucht ihr eventuell noch Hilfe?«, sprach Moritz einen der jüngeren Burschen an.
»Da musst du den Chef fragen.«
»Ja, du hast Glück. Mir ist einer der Hilfsarbeiter ausgefallen«, sagte Gunnar Weber, ein blonder Mittfünfziger mit Dreitagebart. »Willst du nur mit aufbauen oder länger bei uns bleiben?«
»Wenn das geht, bleibe ich bis zum Ende des Doms, mache beim Abbau mit und fahre auch gern mit in die nächste Stadt.«
»Holla, du legst ja ein Tempo vor. Zunächst wollen wir erst mal sehen, wie du dich machst. Du siehst zwar etwas spillerig aus, aber aus Erfahrung weiß ich, dass Burschen dieser Art über erstaunliche Kraftreserven verfügen. Halte dich am besten an Malte. Der ist schon länger bei mir. Das ist der muskulöse Bursche mit den dunklen Haaren, die wie ein Staubwedel aussehen.«
»Alles klar. Und vielen Dank.«
Am Ende des Tages war das Fahrgeschäft zu etwa sechzig Prozent aufgebaut. Die restlichen vierzig sollten am nächsten Tag folgen. Moritz schlief im sogenannten Mannschaftswagen mit Waschraum, WC und Dusche, voll ausgestatteter Küchenzeile, mehreren Schränken und einem SAT/-Antennenanschluss für Fernsehgeräte. Die Mitarbeiter teilten sich jeweils zu zweit eine Schlafkabine mit Doppel- oder Stockbetten. Nur Malte hatten einen eigenen Campingwagen, und natürlich der Chef, der mit seiner Frau, Doreen, einen luxuriösen Wohnwagen bewohnte.
Colin, ein hagerer Blonder mit grünen Augen, der nur gut ein Jahr älter als Moritz war, teilte sich mit ihm eine Kabine. Erschöpft von der harten Arbeit lagen sie am späten Abend im Bett und konnten dennoch keine Ruhe finden.
»Machst du das schon länger hier?«, fragte Moritz.
»Etwas über ein Jahr. Zunächst als Aushilfe wie Noah und Simon nebenan, aber nach dem dritten Jahrmarkt hat mich der Chef fest übernommen.«
»Und dieser Leander und Malte, wie sind die so?«
»Leander ist eigentlich ganz in Ordnung. Abgesehen davon, dass vor ihm kein Rock sicher ist. Na, und Malte trägt die Nase etwas höher, seitdem er seinen eigenen Campingwagen hat. Er ist allerdings auch am längsten dabei.«
»Wie läuft das eigentlich mit dem Essen hier? Ich meine, Würstchen und Kartoffelsalat am Mittag und Burger mit Pommes am Abend wird es ja nicht immer geben.«
»Nein, normalerweise kocht die Chefin, und nicht mal schlecht, wie du feststellen wirst. Nur an den Auf- und Abbautagen gibt es nur eine schnelle Mahlzeit.«
»Frau Weber sieht mit ihren roten Haaren verdammt gut für ihr Alter aus«, meinte Moritz.
»Diese Meinung behältst du lieber für dich, wenn du hier alt werden willst«, sagte Colin. »Der Chef ist verdammt eifersüchtig. Einige waren schneller wieder draußen als sie gucken konnten. Demnach stehst du auf ältere Semester?«
»Das habe ich nicht gesagt, aber reife Frauen haben schon ihre Vorzüge.«
»Dann solltest du dich an Ludmilla halten. Die hat schräg rüber ihre Schießbude und ein Faible für junge Knaben. Sie lässt so ziemlich jeden rüber. Dennoch ist sie mit Vorsicht zu genießen. Es wird gemunkelt, sie habe sich die Bude untern Nagel gerissen, nachdem ihre Schwester ihren Mann umgebracht hat.«
»Was denn, sie ist die Schwester einer Mörderin?«
»Das steht fest. Aber der Alte war auch nicht ohne. Mirko war ein Bär von einem Kerl. Dem saß die Hand ziemlich locker, egal ob vor Publikum oder nicht. Olga hat so manche Blessur oder leuchtendes Veilchen davongetragen. Eines Tages hat es ihr gereicht, und sie hat ihn mit kochendem Wasser übergossen. Seine Verbrennungen waren so schwer, dass er daran krepiert ist. Als sie in der nächsten Saison wieder auftauchte, haben sich alle gewundert, weil sie Olga im Kitchen glaubten, bis sie merkten, dass es sich um die Schwester handelt. Ludmilla sieht Olga nämlich zum Verwechseln ähnlich.«
»Na, vielen Dank. Ich habe keine Lust, gegrillt zu werden.«
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