Mallorca
Die Erkundung einer Insel in vier Tagen
Oliver Sonntag & Axel Hilger
Imprint
Mallorca
Oliver Sonntag & Axel Hilger
published by: epubli GmbH, Berlin
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Konvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de
Madina Mayurqa
Zu jener Zeit, in der Christoph Kolumbus aufbrach, um den westlichen Seeweg nach Indien zu finden, besuchte ein englischer Kapitän eine Insel im Mittelmeer. Dieser Seebär war sehr beeindruckt von der Sittenstrenge der einheimischen Bevölkerung. Wieder zurück in London erzählte er begeistert einem Jeden, der es hören wollte, von seinem Inselbesuch. Auch der berühmte Lordkanzler Heinrichs VIII., Thomas More (latinisiert und wohl auch bekannter: Thomas Morus), erfuhr von der Geschichte. Als dieser große Mann seinen Roman von einem idealen Ort für die Menschheit aufschrieb, machte er die Erzählung des Kapitäns und Landsmannes zu seiner eigenen. Die große Vision von einer besseren Welt, Utopia, spielt auf einer Insel – auf Mallorca!
Für die historische Genauigkeit dieser Anekdote können wir uns selbstverständlich nicht verbürgen. Aber es gibt sicher eine schlechtere Reputation, als die Vorlage für Thomas Morus'„Utopia“ gewesen zu sein. Die Geschichte der Insel fängt natürlich viel früher an und ist alles andere als utopisch. Seit ungefähr 6000 Jahren gibt es Belege für menschliche Besiedlung. Naturgemäß sind es seefahrende Völker, die um 2200 v.Chr., wohl vom östlichen Mittelmeer her, die Insel erreichten und in natürlichen wie künstlichen Höhlen hausten. Gute 600 Jahre später finden wir schon kleine Ortschaften mit Häusern aus Stein, die sogenannten Talayot-Siedlungen. Zu dieser Zeit besteht bereits ein eifriger Handel mit anderen Völkern. Phönizier/Karthager und Griechen verkauften und tauschten jede Menge Waren an Mallorcas Küsten. Beeindruckend sind auch die berühmten mallorquinischen Steinschleuderer. Diese waren wegen ihrer Zielgenauigkeit derart beliebt, dass sie selbst die Römer gerne in ihr Heer eingliederten. 123 v.Chr. eroberte Rom die Insel (nicht nur wegen der Steinschleuderer), wodurch sich die römische Kultur auf Mallorca verbreiten konnte.
Im 5. nachchristlichen Jahrhundert herrschten die Vandalen auf dem Eiland. Diese Germanen waren sicher besser als ihr Ruf. Alle Welt kennt sie nur als Synonym für Verwüstung und schlechtes Benehmen (Vandalismus). Wir denken nicht, dass andere Völkergruppen jener Zeit unbedingt mehr Etikette hatten und behalten die bärtigen Mannen doch lieber als Namensgeber für das schöne Andalusien (Vandalusien) im Gedächtnis!
Die germanische Herrschaft wird durch das zur Weltmacht aufsteigende Byzanz abgelöst. Ab 534 gehört Mallorca offiziell zum Oströmischen Reich, bleibt sich aber weitestgehend selbst überlassen. Nicht viel später beginnt die in der Geschichte an Schnelligkeit und Umfang einmalige Eroberung der Welt durch die Araber, bzw. durch die arabisierten und vom Islam geeinten Völker. Nach kurzer Gegenwehr unterstützt durch die Franken, fällt die Insel 902 gänzlich an die Muselmänner. Diese verbreiten aber nicht nur Angst und Schrecken, sondern bringen auch kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung für die Region. Nach einem 1203 vollzogenen Wechsel der Berber-Dynastien (Almohaden lösen die Almoraviden ab), endet im Jahre 1229 die arabische Herrschaft auf Mallorca.
Der neue starke Mann der Insel ist Jaume I., König von Aragonien („Jaume“ ist die katalanische Version des königlichen Namens, wir werden ihn für das ganze Buch gebrauchen. Ebenso hätten wir auch das spanische oder kastilische „Jaime“ oder gar das deutsche „Jakob“ benutzen können. Aber auf Mallorca ist die gebräuchlichste Variante „Jaume“). Testamentarisch teilt er sein Reich unter seinen beiden Söhnen auf. Pedro III. erhält Aragonien, Valencia und die Grafschaft Barcelona. Jaume II. bekommt Gebiete in Nordspanien, Südfrankreich und eben das Königreich Mallorca. Die Selbstständigkeit währt jedoch nicht lange. 1315 wird schon der letzte König, Jaume III. geboren. Im selben Jahr stirbt der berühmte mallorquinische Philosoph Ramon Llull. Auf letzteren gehen wir an entsprechender Stelle natürlich noch ausführlicher ein. Im Konflikt mit Aragonien unterliegt Jaume III., Pedro IV. in der Schlacht von Llucmajor, womit das souveräne Königreich Mallorca 1349 endet.
Das 14. und 15. Jahrhundert sind geprägt von Judenpogromen, Aufständen von Bauern und Handwerkern gegen ihre unmenschlichen Lebensbedingungen und auch die erste unrühmliche Ketzerverbrennung fällt in diese Epoche. Anfang des 16. Jahrhunderts beginnt die Ära der Habsburger. Der Deutsche Kaiser Karl V. regiert gleichzeitig als Carlos I. von Spanien. Seine Regierungszeit ist von großer Härte geprägt. Die anhaltenden Aufstände werden brutal niedergeschlagen. In diese Zeit fallen auch die Befestigungen der Städte und die Errichtung von Wachtürmen an der Küste zum Schutz vor den Piraten. Man nennt diese imposanten Bauwerke „Torres“ (spanische Wort für „Turm“). Es gab sie als Signal-, Wach- und Verteidigungstürme. Ein Wachturm war beflaggt und der Signalturm hatte eine Feuerstelle, um sich mit anderen Turmbesatzungen verständigen zu können. Wir werden auf unseren Touren noch einigen dieser steinernen Riesen begegnen.
Im Spanischen Erbfolgekrieg steht der Sonnenkönig einer großen europäischen Allianz gegenüber. Es geht um den frei gewordenen spanischen Thron, welchen Ludwig XIV. gerne mit seinem Enkel besetzen möchte. Mallorca ergreift in diesem Konflikt Partei gegen Frankreich. Da dieses letztlich aber siegt, hatte die Insel auf die falsche Karte gesetzt. Der Frieden von Utrecht beendet den Krieg und der Bourbone Philipp V. ist endgültig König von Spanien. Dies geschieht im Jahre 1713, dem Jahr, in welchem Junípero Serra auf Mallorca, genauer in Petra, zur Welt kommt. Als Missionar gründet er unter anderem die Stationen San Diego, Los Angeles und San Francisco. Als Provinz des spanischen Zentralstaates wird die mallorquinische Sprache und Kultur diskriminiert.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist es wieder ein Franzose, welcher die Welt erschüttert. Napoleon kommt über Europa, was ganz sicher nicht nur negativ ist. Sein Code Civil (oder auch Code Napoleon) ist bahnbrechend für das Abendland und heute noch äußerst gegenwärtig im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Aber wie so manche anfänglich löbliche Idee endet auch die von Napoleon im Größenwahn. Die durchaus fortschrittlichen Ansätze des Kaisers ignorierend, beginnt 1808 der spanische Unabhängigkeitskampf gegen Napoleon Bonaparte. Infolgedessen kommen 40 000 Flüchtlinge vom Festland nach Palma, was zu einigen Beschwerlichkeiten geführt haben dürfte. Ein Jahr später werden 9000 französische Kriegsgefangene auf der zu Mallorca gehörenden Insel Cabrera interniert. Dies ist eine sehr dramatische Geschichte, auf die wir vor Ort noch gründlicher eingehen werden.
Das Ergebnis dieses aufkommenden Nationalbewusstseins war die äußerst liberale „Verfassung von Cadiz“. Jene ist vorbildhaft für das nach Verfassungen dürstende Europa des 19. Jahrhundert. 1814 folgt die Restauration der Monarchie, womit die obige Form der garantierten Rechte leider wieder unerwünscht war. Es schließt sich die liberale Revolution von 1820 an, welche unter anderem mit französischer Hilfe niedergeschlagen wird. 1833 besteigt Isabel II. den spanischen Thron. Kurz darauf besuchen George Sand, die Mutter aller emanzipierten Damen (Zigarette und Männerhosen!) sowie das von aller Welt geschätzte Musikgenie Frederic Chopin die Balearen-Insel. In dem literarischen Werk „Ein Winter auf Mallorca“ ist dies unterhaltsam nachzulesen. Auf jene Episode gehen wir später selbstverständlich auch noch näher ein. Wir werden das berühmte Kloster und einiges mehr besuchen.
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