Ich muß hier jedoch bemerken, daß die Geistlichen mit dem kleinen Mann nur in seiner eigenen Sprache redeten. Blos wenn sich Mr. Osborne mit Bruder Ezra - wie der kleine Mitonare bei der Taufe genannt worden - allein befand und gerade nichts Wichtiges zu verhandeln hatte, sprach er Englisch, um ihm diese Sprache geläufiger zu machen und seine etwas schwere Zunge an die fremden Worte besser zu gewöhnen.
Bruder Ezra antwortete auf das Befriedigendste; als jedoch die drei Männer in das Haus traten, sah sich Mr. Osborne erstaunt und vergebens nach seiner Pflegetochter um, die ihn sonst stets zuerst begrüßt hatte. Er frug rasch, fast ängstlich nach dem Mädchen. Mitonare hätte aber in diesem Augenblick eben so gern seinen ganzen Katechismus aufgesagt - ihm sonst die schrecklichste aller Religionsübungen - als vor Bruder Rowe zu erzählen, was mit Pu-de-ni-a vorgegangen sei, und welcher Gast sich indessen auf der Insel eingefunden habe. Er wußte ja am besten, in welcher Achtung die Feranis bei dem frommen finstern Manne standen, und sollte er jetzt erzählen, was hier unter seinen eigenen Augen /77/ geschehen und was er selber geduldet hatte? denn jetzt kam es ihm auf einmal wunderbarer Weise vor, als ob das ein entsetzliches Verbrechen gewesen wäre.
Durch sein Schweigen wurde der alte Mann aber nur noch besorgter; er glaubte jetzt wirklich, es sei dem Mädchen, das er fast wie sein eigenes Kind liebte, etwas widerfahren, und als nun auch Bruder Rowe dazutrat und Mitonare zum Sprechen aufforderte, konnte er natürlich nicht mehr zurückhalten. Der Angstschweiß stand ihm auf der Stirn, aber die ganze Sache kam nach und nach zu Tage, und erst als er mit sämmtlichen Factas geendet hatte, fing er an den jungen Ferani zu loben, der ein wahres Muster von einem Menschen sei und sogar als Ferani in seine Kirche gekommen wäre - und so andächtig zugehört hätte, als ob er jedes Wort davon verstände. Er erwähnte auch des Versprechens, das ihm Pu-de-ni-a abgenommen, was er ja auch als Hauptentschuldigung für sich ausstellte, und Mr. Osborne, der den Charakter des Mädchens kannte, athmete leichter, als er dies hörte.
Bruder Rowe's Züge hatten sich aber indessen mehr und mehr verfinstert. Schon als er hörte, daß ein von einem Walfischsänger entsprungener Matrose auf der Insel geblieben und nicht wieder von seinem eigenen Schiff mit fortgenommen sei, horchte er hoch auf, und als es nun gar herauskam, daß es ein Franzose sei, der schon in aller Geschwindigkeit ein Liebesverhältniß mit der Adoptivtochter des Geistlichen angesponnen habe, sah man es ihm ordentlich an, daß er sich Mühe geben mußte, seinen Groll und Zorn zu bemustern. Vergebens waren jetzt Bruder Ezra's Loblieder, die er dem jungen Franzosen sang, vergebens selbst Mr. Osborne's Einwurf, daß man jedenfalls erst einmal den jungen Mann sehen und sprechen wolle. - Er war Matrose eines Walfischfängers und Franzose - also Katholik, und ein richtiger Missionär der Südsee-Inseln haßt nichts auf der Welt herzlicher, als diese beiden Individuen.
Sein Urtheilsspruch war auch ohne Weiteres gefällt - ehe das Uebel tiefer fraß, mußten schnelle Maßregeln dagegen ergriffen werden und er wollte jetzt selbst ohne Weiteres zu dem Häuptling hinübergehen und mit diesem /78/ dazu besprechen. Der Häuptling oder König brauche dem Fremden nur zu gebieten, die Insel zu verlassen, so müsse er dem Befehl Folge leisten, und Gelegenheit habe er jetzt gerade am besten in dem kleinen Schooner, der in einigen Tagen wieder mit ihm nach Tahiti zurück sollte. Weigerte er sich aber, dem Befehl Folge zu leisten, so war nichts einfacher, als ihn als Gefangenen mit fortzunehmen und an den französischen Konsul in Papetee auszuliefern. - Diese Inseln standen unter englischem Schutz, und es war ihnen von der englischen Regierung versprochen, sie gegen jede Aufdringlichkeit, besonders von französischer Seite, zu schützen.
In dieser Hinsicht wußten sie sich also vollkommen auf gesetzlicher Bahn, und außerdem verstand es sich von selbst, daß man einen katholischen weggelaufenen Matrosen so rasch wieder hier los werden mußte, wie irgend möglich. Daß der die Pflegetochter des Geistlichen heirathen wollte, verdiente natürlich nicht einmal eine Antwort.
Mr. Osborne ersuchte ihn allerdings, den Fremden wenigstens erst rufen zu lassen und mit ihm zu sprechen, daß sie mit eigenen Augen sähen, zu welcher Klasse von Menschen er gehöre. - Bruder Rowe's Entschluß war aber gefaßt, nämlich direct zum König der Inseln zu fahren und von diesem die Ausweisung des Fremden zu verlangen. - Da er außerdem, durch seinen langen Aufenthalt zwischen diesen Inseln als Missionär, sich daran gewöhnt hatte, unbedingt zu befehlen, indem seine Stimme für das Wort und den Willen des Herrn galt - ja da er die feste Ueberzeugung hatte, daß alle diese Tausende von Insulanern nur durch ihn und die wenigen anderen Geistlichen einer ewigen Qual entrissen und der Seligkeit zugeführt seien, ihm also mehr als ihr Leben, ihr ganzes einstiges Heil danken mußten, so verstand es sich wohl von selbst, daß er auch die weit geringere Leitung ihrer weltlichen Angelegenheiten wenn auch nicht gerade führen, doch in die Bahn leiten konnte und durfte, die e r als die richtige bestimmte.
Er beorderte jetzt ohne Weiteres - denn ihre Mahlzeit hatten sie schon an Bord eingenommen - zwei Eingeborene, ihn in einem kleinen Boot, das er schon mehrfach dazu be-/79/nutzt hatte, um die Insel herum zu rudern; es fiel ihm nicht ein, den langen Weg zu Fuß zu gehen. - In diesem wurde ein schmales Sonnendach aufgespannt, und eine Viertelstunde später schoß das kleine, scharfgebaute Fahrzeug, von den kräftigen Armen der Insulaner getrieben, pfeilschnell über das spiegelglatte Binnenwasser, von der Strömung jetzt noch überdies begünstigt, hin und war in kurzer Zeit um die nächste vorragende Landspitze verschwunden.
René und Sadie hatten indessen mit freudigem Staunen die rasche Abreise des finstern Mannes gesehen, die sie irgend einer Ursache in seinem geistlichen Wirken zuschrieben, und sie beschlossen nun auch ohne Weiteres hinunter zu Mr. Osborne zu gehn, ihm Alles zu erzählen und ihn um seinen Segen zu bitten.
Mitonare war indessen, nur erst einmal der beengenden Gegenwart des bodder Au-e enthoben, nicht müßig gewesen, Mr. Osborne den jungen Fremden von der besten Seite zu schildern. Natürlich lag in diesem Lobe ein großer Theil Eigennutz verborgen, denn es mußte ja auch einzig und allein seine Entschuldigung sein, daß er Prudentia's Umgang mit ihm überhaupt geduldet hatte. Solcher Art war er denn noch emsig dabei beschäftigt, und Mr. Osborne saß gar ernst und sinnend vor ihm in seinem Lehnstuhl, den rechten Ellbogen auf die Lehne und das graue Haupt in die rechte Hand gestützt. Es schien ihm recht weh und trüb um's Herz zu sein.
Da traten die beiden jungen Leute in die Thür, und Sadie blieb erst einen Augenblick schüchtern in der Ferne stehen; als er aber den Blick zu ihr aufhob und sie in das liebe, ehrwürdige, jetzt so kummerschwere Antlitz schaute, da flog sie wie in alter Zeit auf ihn zu, barg ihr Gesicht an seinem Herzen und rief:
„Mein lieber, lieber Vater!"
„Mein liebes, liebes Kind!" sagte der alte Mann und küßte das fest an ihn angeschmiegte Haupt des schönen Mädchens – „was habt Ihr denn hier unter der Zeit meiner Abwesenheit für böse, böse Streiche getrieben?"
Es lag eine so innige Zärtlichkeit in dem Ton, mit dem er diese Worte sprach, und nur ein so leiser - von jedem Ver-/80/dacht freier Vorwurf, daß sich Sadie nur fester gegen seine Brust preßte, aber ihre Hand zurück nach René ausstreckte, diesen herbei zu rufen und zu ihrem Vater zu bringen.
Der alte Mann, der wohl auf den ersten Blick sah, daß er keinen gewöhnlichen Matrosen vor sich habe, grüßte den sich ihm jetzt offen und vertrauensvoll nähernden jungen Mann freundlich, winkte ihm einen Stuhl zu nehmen, den Mitonare indessen mit großer Bereitwilligkeit herbeigebracht halte, und bat dann René, was er ihm zu sagen habe, ihm ohne jeden Umschweif, mit jedem Vertrauen zu eröffnen. Er habe Prudentia als sein Kind angenommen und von klein auferzogcn, als ihre Eltern gestorben waren und die kleine Waise allein zurückgelassen hatten, und hege dieselben Gefühle noch jetzt für das erwachsene Mädchen, als ob sie seine eigene, leibliche Tochter sei. Er wolle auch nur ihr Glück, möchte das aber gesichert wissen, da es keins der gewöhnlichen Mädchen der Eingeborenen sei, sondern eine fast europäische Erziehung genossen habe und dabei auch vielleicht jetzt tieferfühle, besonders andere Ansichten über die Ehe habe, als sie in diesen Gruppen bei ihren Landsmänninnen wohl meist gefunden würden.
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