Mit der unbedeutendsten Arbeit gab die Erde hier das Hundertfache des ihr anvertrauten Samens zurück, und René glaubte in seinem Leben kein schöneres, herrlicheres Land gesehen zu haben, als diese kleine Insel. Oh wie gern hätte er jetzt zu dem Mädchen von ihrer künftigen Heimath gesprochen, aber als ob sie fühle, daß solche Gedanken in ihm aufsteigen möchten, lenkte sie ihn rasch und geschickt wieder davon ab, zeigte ihm und pflückte für ihn die verschiedenen saftigen Früchte, und führte ihn zuletzt an den Strand hinunter, wo in einer natürlichen kleinen Bai ein schmales langes Canoe /65/ lag. Dies bestiegen sie und fuhren hinaus in das spiegelglatte und krystallhelle Binnenwasser, das durch die außenherum- laufenden Riffe vor jeder eindringenden See geschützt wird, und so still und friedlich in nie gestörter Ruhe liegt, als diese schönen Inseln bis jetzt selber im weiten Ocean lagen.
René hatte früher noch nie die Bildung dieser Korallenbäume, tief unter dem klaren Wasser, gesehen, und er traute seinen Augen kaum, als sich an mehreren Stellen, zu denen ihn Sadie jetzt selber hinruderte, in Farbenspiel und Form eine ganz neue, nie geahnte Welt vor ihm eröffnete. Er konnte sich nicht satt sehen an den mit Zauberschnelle wechselnden Gruppen und Bildern, und Sadie hatte eine ordentlich kindische Freude darüber.
„Nun Dir das so gefällt," sagte sie endlich lächelnd, „will ich Dich auch zu meinem Korallengarten bringen und Dir meine kleinen Gold- und Silberfischchen zeigen; die darfst Du mir aber nicht mit der Hand oder dem Ruder scheu machen, denn es sind gar furchtsame kleine Dinger." Und während sie noch sprach, lenkte sie das Canoe weiter den Riffen zu, über die tiefe, dunkelblau daliegende Seitenfahrt, in der selbst große Boote die ganze Insel umsegeln konnten, bis wieder in flacheres Wasser hinein, wo dunkelbraune und röthlich graue Korallenbäume an vielen Stellen selbst bis zur Oberfläche des Wassers emporragten, und dann wieder, von dünnen, feineren Zweigen und Armen durchwachsen, verhältnißmäßig tiefere Stellen zwischen sich ließen oder sie umgaben.
Ueberall wimmelte es hier von kleinen blauen, gelben, weißen, rothen, gestreiften und gefleckten Fischchen; in Schaaren und einzeln schwammen sie herum, oft als ob ein Blitz zwischen sie eingeschlagen hätte, auseinander schießend, wenn sie irgendwo nur Gefahr zu entdecken glaubten, aber dann auch gleich wieder, wie über ihre unbegründete Furcht beschämt, sich sammelnd und die erst unterbrochenen Spiele auf's Neue beginnend.
René wollte hier mit dem Canoe kurze Zeit still liegen, dem wunderlichen Treiben da unten zuzuschauen, aber Sadie ließ ihn nicht - „Nur noch kurze Strecke," bat sie, „dann sollst Du Dich satt sehen an all' den Herrlichkeiten der Tiefe." Und das Ruder stärker einsetzend, trieb sie das
/66/ leichte Fahrzeug rasch durch die vorn am Bug leicht aufkräuselnde Fluth einer Stelle zu, wo ein starker Korallenzweig eben über die Oberfläche des Wassers vorragte. Hier hielt sie plötzlich an, und den Zweig erfassend, rief sie René zu, den Stein, der vorn, an einem Bastseil befestigt, im Bug liege, hier hinaus und oben auf die Koralle zu werfen. René that dies, und sie brachten dadurch das Canoe förmlich vor Anker, das nun mit der schwachen Strömung, so weit es das Bastseil gestattete, still liegen blieb. Eine kleine Werre konnte René aber noch nichts unter sich erkennen; das Wasser war noch nicht ruhig genug und die kleine Fischwelt da unten durch das plötzliche Erscheinen des Bootes gestört worden. Sadie aber legte den Finger auf die Lippen, und sie sahen wohl ein paar Minuten schweigend nieder.
Die Korallenbäume schienen hier einen vollkommen dichten Kranz zu bilden, der, von unten aufsteigend, erst nach außen ein wenig abneigte und sich dann an manchen Stellen bis selbst zur Oberfläche des Wassers gerade emporhob. Der innere Raum mochte vielleicht zwanzig Fuß im Durchmesser halten, und das Ganze glich fast einer aufgebrochenen Riesenblume, die aus ihrem innersten Kelch bunte zackige Fasern ausschickte.
Aber die Blume lebte - hier und da, tief unten aus dem Kelch heraus, kamen ein paar kleine Fischchen aufgeschossen, als wenn sie recognosciren wollten, ob die Gefahr vorüber sei - das dunkle Canoe, das mit seinem Schatten auf dem Wasser lag, machte sie vielleicht noch mißtrauisch - aber nicht lange mehr. - Sic verschwanden wieder, und gleich darauf quoll es aus allen Winkelchen und Spalten herauf in Schaaren und Massen - alle Farben wild und bunt durcheinander, auf und nieder fahrend, herüber und hinüber schießend.
„Eita, eita!" rief da Sadie „iti iti iti" - und zu gleicher Zeit warf sie kleine Krumen indessen zerbröckelter Brodfrucht auf die Oberfläche des Wassers. Im Nu lebte dies, von allen Seiten schossen sie herauf, fünf, sechs manchmal eine etwas größere Krume fassend und damit niedertauchend, andere an einem etwas zu großen Stück herumstoßend, ohne im Stande zu sein es zu bewältigen, und wieder /67/ andere sich mit dem kleinsten begnügend und wohl dabei fahrend.
Mit der wiederkehrenden Ruhe waren aber auch, und zugleich mit den kleinen wunderniedlichen Bewohnern dieses eigenthümlichen Aufenthaltes, dessen Feinde zurückgekehrt. - Zwei große dunkelbraune Fische, mit breiten Mäulern und tückisch blitzenden Augen, wohl ganze zwölf Zoll lang, für die kaum fingerlangen zierlichen Dinger aber natürlich entsetzliche Ungeheuer, kamen an den äußern Rand der Blume, deren Spalten zu schmal waren, um sie durchzulassen. Die kleinen Dinger schienen auch recht gut zu wissen, daß ihnen der Feind hier im Innern nichts anhaben könne, ausgenommen er kam von oben herein, und dann waren sie auch wie der Blitz in ihren Schlupfwinkeln 7.
Manchmal wagte sich wohl, selbst dicht hinter oder über den Feinden, ein leichtsinniges Fischchen hinaus in's Freie, gerade als ob es das Ungeheuer verhöhnen wolle; ehe dieses aber nur im Stande war sich nach ihm umzuwenden, obgleich das oft rasch genug ging, war jenes schon wieder zwischen die zackigen Palissaden hineingeschlüpft, und erzählte nun wahrscheinlich den anderen da drinnen seine Heldenthaten.
So trieben sie hier draußen, in den Wundern dieser für René jedenfalls neuen, fast zauberhaften Welt, bis die Sonne groß und glühend in das Meer tauchte und Stern nach Stern am reinen Himmel auffunkelte, und Sadie erzählte dem ihr gegenübersitzenden Freund von dem stillen Frieden dieses Landes und dem glücklichen Leben, das die Bewohner desselben führen könnten - wären nicht oft böse Menschen da, die sie störten und kränkten, und Leidenschaften in ihnen weckten, die ihnen in früheren Zeiten fremd gewesen.
René hätte die Nacht hindurch diesen lieben weichen Tönen lauschen mögen, aber das junge Mädchen lenkte endlich, trotz seinen Bitten noch nicht heimzukehren, das Canoe zum Lande zurück, und jetzt zwar gerade der Wohnung des kleinen Mitonare zu, der sie schon am Ufer empfing und etwas ungeduldig erwartet zu haben schien. Er that auch an Sadie mehrere Fragen in ihrer Sprache, die das Blut in ihre Wangen trieben; aber sie antwortete ihm endlich lächelnd
/68/ darauf und verschwand wieder wie gestern mit einem freundlichen Kopfnicken gegen René.
Dem kleinen Mitonare schienen aber heut Abend eine Menge von Dingen im Kopf herum zu gehen. - Beim Abendbrod, das sie sehr frugal aus etwas Brodfrucht und Cocosmilch und einigen Bananen hielten, war er einsilbig und sah René immer, wenn er sich unbeobachtet glaubte, von der Seite an; nach dem Essen aber, und als gerade der Mond draußen über die das Haus umgebenden Palmen aufstieg, fasste er den jungen Mann bei dem Arm, führte ihn hinaus an den Strand unter einen stattlichen Tuituinußbaum und nahm ihn hier, durch ein wenig Aufregung im noch mehr gemißhandelten Englisch als gewöhnlich, in's Gebet. René mußte tüchtig aufpassen, daß er den Zusammenhang verstand, denn sich an einzelne Worte zu halten, hatte er lange aufgegeben, der Name Pu-de-ni-a aber, der mehrfach vorkam, ließ ihn wohl ahnen, was der kleine Mann eigentlich meinte, und er wollte ihm jetzt über das ganze Verhältniß zu dem Mädchen klaren und offenen Aufschluß geben; er hatte ja nichts, weshalb er sich zu schämen brauchte, hätte ihn eben der kleine Mitonare nur zu Worte kommen lassen. Sowie er aber nur den Mund aufthat, rief dieser ihm sein verhinderndes aita aita dazwischen, und redete dann nur noch lauter und heftiger, und er mußte ihn jetzt wohl schon gewähren lassen, bis er es von selber müde werden würde.
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