Welchen Wert für die Entwärmung die Verdunstung hat, kann daraus abgenommen werden, dass ein Gramm Wasser, um gasförmig zu werden, 560 Wärmeeinheiten bindet, oder absorbiert.
Professor Voit und ich haben mit Hilfe des großen Respirationsapparates, welcher zum Attribut der Hygiene an der Universität München gehört, und der ein großmütiges Geschenk des höchst seligen Königs Max II. von Bayern ist, an Menschen und Tieren die in 24 Stunden ab dunstenden Wassermengen bestimmt, und konstant gefunden, dass bei gesteigertem Stoffwechsel, es mochte die Steigerung von größerer Nahrungsaufnahme, oder von vermehrter Muskelanstrengung herrühren, stets mehr Wasser unter sonst gleichen Verhältnissen verdunstet wurde. Wir haben den Menschen bei Ruhe und Arbeit darauf untersucht und gefunden, dass er durch Atem und Haut an einem Ruhetage z. B. oft nur 900 Grammen Wasser in 24 Stunden verdunstet hat, an einem Tage mit anstrengender Arbeit hingegen 2000 Grammen, wodurch einmal 504 000, das andere mal 1 120 000 Wärmeeinheiten dem Körper durch Verdunstung abgenommen wurden.
Das erklärt auch, wie es kommen kann, dass selbst bei der anstrengendsten Arbeit unser Blut nicht heißer, ja gar nicht selten sogar etwas kühler wird. Letzteres hat man in neuerer Zeit namentlich bei Bergbesteigungen mehrfach konstatiert. Professor Lortet in Lyon hat bei einer Besteigung des Montblanc in Mund und Achselhöhle während des Steigens eine geringere Wärme gehabt, als die normale, welche sich erst beim Ausruhen wieder einstellte. Auf so hohen Bergen begünstiget schon der Nachlass des Atmosphärendruckes den peripheren Kreislauf, auch liefert die Anstrengung viel mehr Wasser zur Verdunstung auf die Oberfläche, und dieses verdunstet auch wieder schneller da oben als im Thale, entsprechend dem geringeren Luftdrucke. Auch Luftschiffer klagen in bedeutenden Höhen sehr regelmäßig über große Trockenheit im Munde. Ähnliches haben Professor Voit und ich bei den Versuchen gefunden, welche wir gegenwärtig in Verbindung mit Professor Recknagel speziell zum Studium der Wärmeökonomie anstellen, für welchen Zweck wir den Respirationsapparat auch in ein Kalorimeter für einen Menschen umgewandelt haben. Namentlich bei sechsstündiger anstrengender Arbeit kommt der Mensch in der Regel kühler aus dem Apparate, als er hineingegangen, oder als er nach sechsstündiger Ruhe heraus kommt. Eine Bedingung ist, dass die Ventilation des Apparates kräftig sei. Gewöhnlich strömen bei diesen Versuchen in der Stunde 50 000 Liter oder 50 Kubikmeter Luft durch den Apparat. Bei geringerer Ventilation würde weniger Wasser verdunsten können, und dem entsprechend weniger Wärme auf diesem Wege abfließen.
Sie sehen, welch wirksames Mittel der Entwärmung unserm Körper durch Entwickelung des peripheren Blutkreislaufes und gesteigerte Wasserverdunstung zu Gebote steht, wenn die anderen Wege nicht genug abführen, aber auch, wie gefährlich dieses Mittel werden kann, wenn es in Tätigkeit gesetzt wird oder bleibt, sobald auch auf den anderen Wegen beträchtliche Wärmemengen abfließen. Wenn man erhitzt mit feuchter Haut plötzlich in einen kalten Raum tritt, wo die Abstrahlung der Wärme sich sofort steigert, wo auch viel Wärme an die kalte Luft durch Leitung abgegeben wird, erleidet man teils so abnorme Wärmeverluste, teils so gewaltsame plötzliche Änderungen im Kreislaufe, dass man darnach krank wird. Die sogenannten Erkältungskrankheiten sind zahlreich und manche sehr schmerzlich und gefährlich. Wenn wir hingegen so große Wechsel nicht schnell oder grell, sondern langsam vornehmen, setzen sich die drei Abflusswege von selbst wieder in ein Gleichgewicht. Unser Organismus ist ein treuer und kluger Diener, er hilft sich selbst und seinem Herrn, wenn wir ihm nur etwas Zeit lassen, und ihn nicht allzu sehr misshandeln. Ich werde bei der Ventilation noch eigens auch von der Zugluft sprechen.
Auch der dritte Weg des Wärmeabflusses durch Leitung, durch Erwärmung des uns von allen Seiten umgebenden Mediums, der Luft, ist von großer Wichtigkeit, und muss unter Umständen oft bis zu einem beträchtlichen Grade für die beiden anderen Wege eintreten. So lange unser Körper wärmer ist, als die ihn umgebende Luft, wird diese überall, wo sie ihn berührt, wärmer, im nämlichen Augenblicke aber wird sie auch leichter und wird von der umgebenden kälteren und schwereren Luft verdrängt, die sich gleichfalls wärmt, um von einer nachfolgenden kälteren Schicht wieder verdrängt zu werden. Jeder Mensch, welcher in der ruhigen Luft eines Zimmers steht, verursacht an seinem Körper einen aufsteigenden Luftstrom, wie jeder Zimmerofen tut, sobald er geheizt wird. Wenn man zwischen Rock und Weste ein empfindliches Anemometer bringt, so beobachtet man in der Regel, dass dieser aufsteigende Luftstrom so lebhaft ist, dass er sogar die kleinen Windflügel des Instrumentes dreht. Wir halten die Luft in diesem Saale für ruhig, jeder glaubt ganz windstill zu sitzen, und doch ist die in diesem Raume befindliche Luft in tausendfacher Bewegung und beständiger Unruhe nach allen Seiten hin, wir sind nur so glücklich, Nerven zu haben, die davon nichts empfinden, und deshalb behaupten wir mit derselben Zuversicht, es rühre sich nichts, wie ein Schwachsichtiger die Gegenwart eines Gegenstandes verneint, welchen er nicht sieht, der aber auch für ihn zu sehen ist, sobald er ein Fernglas anwendet. — Wer jetzt im Augenblicke alle Bewegungen der Luft in diesem Saale sehen oder fühlen könnte, der müsste rasend werden. Das deutlichste Bild geben die Riechstoffe in der Luft. Wenn an irgendeiner Stelle ein sehr intensiver Geruch entwickelt wird, wenn z. B. Leuchtgas ausströmt, in wenigen Sekunden wird es im ganzen Saale wahrgenommen. Unsere Nerven sind glücklicherweise so organisiert, dass sie die Luft als bewegten Körper erst zu fühlen anfangen, wenn ihre Geschwindigkeit schon 1 Meter in der Sekunde erreicht. Bei einer Geschwindigkeit von 1/2 oder 1/3 Meter in der Sekunde glauben wir noch absolute Ruhe, völlige Windstille wahrzunehmen. Den meisten Menschen erscheint das unwahrscheinlich, weil der Beweis nicht in unserer unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung liegt, welche uns sogar zum entgegengesetzten Glauben bestimmt, sondern nur in Schlussfolgerungen aus anderen Beobachtungen ruht; davon aber kann sich Jedermann jeden Augenblick in der ruhigen Luft eines Zimmers überzeugen, dass unsere Nerven Geschwindigkeiten der Luft von 1/2 Meter in der Sekunde noch gar nicht wahrzunehmen im Stande sind. Es ist ganz der gleiche Fall, ob die Luft stillsteht und z. B. meine Hand mit einer bestimmten Geschwindigkeit in derselben bewegt wird, oder ob meine Hand stillsteht, und die Luft darüber bewegt wird. Wenn ich nun meine Hand ausstrecke, und sie in der Luft dieses Saales binnen einer Sekunde einen Weg von einem halben Meter machen lasse, so macht diese Geschwindigkeit auf meine Nerven nicht den geringsten Eindruck; um einen Widerstand oder eine vermehrte Abkühlung zu spüren, muss ich die Hand viel schneller bewegen.
Ich benutze die Gelegenheit, um Sie gleich auf die durchschnittliche oder mittlere Geschwindigkeit der Luft im Freien aufmerksam zu machen, ein Gegenstand, welcher von den Wenigsten richtig beurteilt wird, ohne dessen richtige Erkenntnis man aber nie eine richtige Vorstellung von dem eigentlichen Unterschiede zwischen dem Aufenthalte im Freien und im Zimmer bekommt. Die Bestimmung der Luftgeschwindigkeit erfolgt durch Anemometer, auf deren nähere Beschreibung ich nicht eingehen kann. Die Geschwindigkeit der Luft im Freien wechselt bekanntlich sehr, wird aber von den Meteorologen in unserm gemäßigten Klima im Mittel zu 3 Metern in der Sekunde angegeben. Die Luft macht also durchschnittlich 10 bis 11 Kilometer Weg in einer Stunde, 7 .24 km. = 1 deutsche Meile. Denken Sie sich diese Geschwindigkeit auf einen Querschnitt oder Rahmen angewendet, in welchen etwa ein Mensch passt, nicht ganz 2 Meter hoch und etwas über 1/2 Meter breit, dass er eben einen Quadratmeter Fläche misst, so können Sie leicht berechnen, wie viel Kubikmeter Luft im Freien bei mittlerer Geschwindigkeit über einen Menschen hinziehen, wenn Sie Querschnitt mit Geschwindigkeit multiplizieren, nämlich
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