Brigitte merkte nach einigen Spielrunden, dass sie im Gegensatz zu Dominik einen Chip nach dem anderen verlor und ihr Stapel stetig kleiner wurde. Dominiks Häufchen dagegen blieb konstant. Sie konnte kaum glauben, dass er immer gewinnen sollte. Um ihm auf die Schliche zu kommen, beobachtete Brigitte dann genauer, wie er seine Jetons platzierte und durchschaute so sein System. Das war wieder typisch für Dominik.
Jetzt noch auf die gleiche Methode umzustellen wäre unsinnig gewesen. Brigitte hätte genau in der Art wie Dominik, mit rot und schwarz, setzen können. Aber der riesige Vorsprung den Dominik mittlerweile besaß, würde unverändert bleiben, so dass das keinen Sinn ergab. Brigitte vertraute deshalb lieber auf die Gunst, die Anfängern nachgesagt wird, und setzte ihren drittletzten Chip auf die Zahl 21, ihr Geburtsdatum.
Der Croupier sagte für jeden am Tisch gut verständlich sein berühmtes „Rien ne va plus“, -nichts geht mehr, als keine weiteren Einsätze gemacht werden durften und die Kugel kullerte und sprang. Die kleine, schwere Kugel rollte und rollte. Brigitte starrte genau wie bei den vorherigen Spielen voller Spannung und Hoffnung auf den weißen Ball, der sich entgegengesetzt der Drehrichtung des Tellers bewegte. Brigitte fixierte die Kugel so mit ihren Augen, als ob sie selbst unter Hypnose stand und diese mit ihrem Willen beeinflussen könnte.
Langsam zog das Kügelchen seine Bahnen enger. Es kreiste immer tiefer und näherte sich allmählich den Zahlenmulden, von denen es in einer liegen bleiben würde. In dem großen Saal war es ganz still. Gespräche wurden kaum geführt und wenn, dann nur im Flüsterton, weil jeder der Anwesenden auf seine Zahl oder Karte beharrte. Das Geräusch, das die rollende und dann springende Kugel verursachte, war klar zu vernehmen. Brigitte sah und hörte nichts anderes, als ihre Kugel, die ihre Zahl zeigen musste.
Die ungeheure Spannung, unter der Brigitte stand als sich das Ende des Spiels abzeichnete, strotzte jeder Beschreibung. Da sie nun auch den Trick von Dominik durchschaut hatte, wollte sie unbedingt gewinnen. Brigittes Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Bei jeder vorherigen Runde hoffte Brigitte in ungeahntem Maße, dass ihre Zahl fallen würde, auf die sie setzte. Bis jetzt ohne Erfolg. Nun, da sie wusste, dass sie bedingungslos verlor, wenn nicht ihre Zahl kam, steigerte sich ihre Spannung um ein weiteres.
Die Roulettekugel näherte sich nun den Grübchen, und sprang bei der Berührung mit dem ersten kreuz und quer durch den Kessel über den Teller. Nach vier, fünf Sprüngen, die von einem hellen „Klick-Klicke-di-klick“ begleitet wurden, blieb das Kügelchen in einer der Zahlenlücken still liegen. So kreiste es die letzten Runden in der sich ausdrehenden Scheibe mit. Brigitte verfolgte die Drehbewegung des elfenbeinenen Rundes mit stierem Blick, um vorzeitig die Zahl zu erkennen, die das Kügelchen zeigte. Die Geschwindigkeit war allerdings für ihr ungeübtes Auge zu schnell und die vorbei fliegenden Zahlen verwischten so zu einem undeutlichen Durcheinander.
Nach großer Anstrengung konnte Brigitte die Zahl endlich lesen, als der Teller fast stillstand. Die Zeitspanne von dem Punkt ab, an dem die Kugel entschied, welche Zahl gewann, bis zum Erkennen der Nummer, kam ihr wie eine kleine Ewigkeit vor. Da sagte der Croupier sie auch schon gut verständlich an: „Siebzehn“, schon wieder verloren!
Der Casinoangestellte schob routiniert und emotionslos die verlorenen Chips mit seinem Werkzeug zur Bank und die Gewinne zu den entsprechenden Personen hin. Brigitte sah ihrer kunststoffenen Scheibe enttäuscht hinterher. Dominik gewann wieder, wie schon die ganze Zeit über einen Jeton, während er einen anderen dafür opferte.
Bei der nächsten Runde würde Brigitte ihren vorletzten Chip setzen. Dominik schaute bereits demonstrativ triumphierend auf ihr schwindendes Kapital. Sein siegessicheres Grinsen erwiderte Brigitte mit einem kalten Lächeln, das ihr Missfallen verbergen sollte. Dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach dieses kleine Duell verlieren würde, ärgerte sie schon. Doch sollte das von Dominik unbemerkt bleiben. Brigitte zeigte sich davon ungerührt und behielt ihre Gefühlsregung für sich.
Wiederum platzierte Brigitte ihren Einsatz auf die einundzwanzig. Die Lotterie ging erneut von vorne los. Ein neues Spiel, neues Glück! Wie schon neunmal zuvor dieselbe Spannung, dieselbe Hoffnung und wohl auch bald dieselbe Enttäuschung. Brigitte fand sich innerlich mit ihrer Niederlage ab. Wenn ihr das auch auf die Stimmung schlug.
Die Kugel spielte wiederholt ihre unbestechliche Rolle. Brigitte verfolgte ihr Rollen und Springen diesmal fast resignierend. Das Bällchen beendete sein Werk, blieb liegen und Brigitte glaubte ihren Augen und Ohren nicht trauen zu können, als sie sah und hörte, dass der Spielgott ihr hold gewesen war.
Die Kugel war tatsächlich in das Loch mit der Nummer einundzwanzig gefallen. Der Croupier verkündete die Gewinnzahl simultan, als Brigitte sie selbst erkennen konnte, mit derselben Monotonie, wie all die anderen Zahlen davor. Für Brigitte aber war es eine mit Tusch und Paukenschlag begleitete Ansage. Bedeutete das doch noch ihren Sieg gegen Dominik.
Damit übertraf sie Dominik bei Weitem. In Folge ihres Treffers wurde Brigitte das Fünfunddreißigfache ihres Einsatzes ausbezahlt. Somit wuchs ihr Stapel Jetons im Handumdrehen um weit mehr als das Dreifache gegenüber dem von Dominik an. Und das alles mit einem Schlag und ihrer vorletzten Chance. Das war knapp aber ehrlich gewonnen.
Dominik brach sein stilles Schmunzeln abrupt ab. Ihm froren glatt die Gesichtszüge ein, als er tatenlos mitansehen musste, wie seine Brigitte von der Bank drei große Stapel Chips zugeschoben bekam. Mit dieser plötzlichen Wende der Kapitalverhältnisse rechnete er absolut nicht. Das war die Überraschung des Tages für ihn.
In dieser Situation war es Brigitte möglich frech zu werden. Durch den Haupttreffer wehte Wind in ihre erschlafften Segel, der sie voran trieb und somit neuen Mut gab. Brigitte ging ab sofort in ihrer Taktik mit Dominik konform. Sie setzte je einen Chip auf rot und je einen auf schwarz. Zusätzlich forderte Brigitte ihr Glück aber weiterhin mit einer einzelnen Zahl heraus.
Auf rot und schwarz setzte Brigitte nur, um Dominik zu zeigen, dass sie seine Masche durchschaute. Da sich diese beiden Farben in dem Spiel aufhoben, genau wie bei Dominik Pair und Impair, hätte sie ebenso gut weiter nur auf eine Zahl setzen können. Brigitte verlor bei jeder Runde den Chip, der auf der Einundzwanzig lag. Die beiden anderen verhielten sich wie die zwei von Dominik und brachten keinen Verlust ein.
Da Brigitte nun aber über fast die vierfache Menge an Jetons als Dominik verfügte, war ihr Vorsprung zu ihm eminent. Sie konnte rechtzeitig die verlierende Zahl weglassen und dann stetig jede weitere Runde als unentschieden für ihr Konto fortführen. Sie brauchte vor Dominik lediglich einen Chip im Vorteil zu sein um damit ohne Zweifel gewinnen zu können. Der Abstand von einer Spielmarke bliebe unverändert, denn auch wenn die Null fiele würden beide, sie und Dominik, all ihre gesetzten Chips verlieren. So dass irgendwann, wenn die Null oft genug gekommen wäre, Dominik seinen letzten verlöre und Brigitte noch einen letzten besäße.
Insgeheim hoffte Brigitte natürlich, dass sie ein weiteres Mal den Hauptgewinn erzielen würde. Solange sie noch zusätzlich auf eine Zahl setzte, bestand zumindest die Möglichkeit dafür. Es war ein unglaublich gutes Gefühl gewesen, als der Croupier ihr den Gewinn zuschob. Das hätte Brigitte gerne noch einmal erlebt.
Als Dominik nach ein paar weiteren Durchgängen den Wink mit dem Zaunpfahl von Brigitte erkannte, erhob er sich, nahm seine gesamten Chips und ging um den Tisch herum zu seiner Frau. Wieder lächelnd schloss er sie in den Arm, küsste sie auf die Stirn und sagte achselzuckend: „O.K, du hast gewonnen ma chérie. Ich gebe auf.“
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