Schweigend aßen beide weiter, bis auch Frederik das zweite Wurstbrötchen intus hatte.
„So, wir brechen spontan unseren ersten gemeinsamen Nordseeurlaub ab, obwohl er gerade erst angefangen hat. Und wir besuchen Johannes, um ihm zu helfen herauszufinden, ob er tatsächlich etwas von einem geplanten Mord mitbekommen hat. Ich bin Psychiater, kein Polizist und kein Detektiv und keine 25 mehr und damit unter anderem zu alt für solche Spontanaktionen . Aber – und das sage ich bewußt – aber dummerweise Euer Freund.“
„Und, willst Du jetzt etwas an unserem Vorgehen ändern?“, fragte Frederik.
„Im Moment nicht; im Moment bin ich satt und entspannt“, erwiderte Thomas.
Der Businessman und der Cockerspaniel saßen wiederum schweigend einige Minuten nebeneinander. „Lass uns zahlen und gehen“ sagte Thomas. „Wir sollten sehen, dass wir hier wegkommen“.
Beide hatten schon auf dem Weg darüber gesprochen, dass es wohl schwierig werden würde noch einen Flug zum nächst größeren Flughafen zu bekommen, ein Bahnhof in der Nähe war die Alternative.
Auch die Kosten waren ein Thema. „Müssen wir eigentlich soviel Geld für einen Flug vergeuden“, hatte Thomas geflucht, „warum reisen wir nicht in Ruhe an?“ „Wir sollen schnellstmöglich kommen“, war die Antwort von Frederik und die Bitte von Johannes gewesen.
Rings um den Kiosk war nichts, links nach Osten nur weitläufiger Strand, das nächste Café, ein Dünencafe, wie sie von Kioskbetreiber erfuhren, war im Verlauf nach Osten vier Kilometer weit weg, der Flugplatz Richtung Westen in der Nähe der Straße drei Kilometer weit und die Stadt Dornum mit dem Bahnhof, zu der sie überlegten aufzubrechen um von dort weiterzukommen, fünf Kilometer weit.
Der Kiosk stand allein auf offenem Feld, im Hintergrund eine Hügellandschaft aus Dünen, spärlich mit den typischen Nordseesträuchern bewachsen, viele Wildrosen, Sanddorn und hier und da ein paar Bäume. Dahinter der angrenzende Wald aus dem sie gekommen waren. Sonst nur Sand, Strand und Meer. Unregelmäßig und angepasst an die Vorgaben der Natur und nicht nach straßenplanerischen Grundsätzen ein paar Wege für Wanderer, selten ein paar Bänke, und noch seltener Mülleimer und dergleichen.
Ja, die Nordseelandschaft war karg und hatte diesebezüglich einiges zu bieten.
Sand wehte auf die Wege und die Straße, es war windiger geworden in der Abenddämmerung, die alles in ein leichtes rot-orange tauchte.
Straße und Wege waren alt, sie müssen in Hochzeiten des Tourismus in den 70er Jahren entstanden sein, dies war jetzt 50 Jahre her.
„Ich habe eine Idee“, sagte Frederik.
„Eine Erleuchtung wäre besser“, antwortete Thomas.
„Du weißt wie es läuft: Ich habe geschwiegen, so konnte ich in Ruhe nachdenken, und nur weil ich nachdenken konnte, ist mir auch etwas eingefallen. Ich habe eine Idee“.
„Eine Erleuchtung wäre toll“, wiederholte der Cockerspaniel.
„Na gut, nenn es eine Erleuchtung“.
„Und die wäre?“
„Der Kioskbesitzer kann uns helfen, er macht ja gleich zu. Ich habe mir an der Seite eben das Schild mit den Öffnungszeiten angesehen. Wir bitten ihn, uns mitzunehmen mit der Angabe wir hätten uns verirrt. Entweder soll er uns bis zum Flugplatz mitnehmen, wenn von dort noch ein Flieger geht, was wir bis dahin von dem Besitzer herausbekommen, sonst bis zur Stadt, wo ja auch der Bahnhof ist. Wir bieten dem Kioskbetreiber direkt 20 Euro für die Fahrt, so dass er gar nicht erst überlegt, ob er uns mitnimmt oder nicht. Ich denke erstens alleine vom zeitlichen Aspekt geht das schneller als ein Taxi zu ordern. Zum zweiten kennt er sich hier gut aus und kennt damit alle Möglichkeiten und wie wir hier weg kommen und unserem Ziel näher, wir müssen ihm ja nicht gleich auf die Nase binden dass wir an die Südsee wollen; und zum dritten dauert es bestimmt noch eine halbe Stunde, wir können entspannt hier stehen, Kaffee und Korn trinken wenn Du willst und warten.“
„Korn trinken ist gut. Warum ist Johannes eigentlich so vorsichtig? Es darf niemand wissen, dass wir an die Südsee wollen und wir sollen unsere Namen nicht nennen. Solange wir nicht jemandem auf die Nase binden es hätte möglicherweise was mit einem Mord zu tun kann doch nichts passieren, oder?“
„Nun ja, falls Du es vergessen hast: Der Mord, falls er sich nicht verhört hat, soll in Ostwestfalen stattfinden. Da wir drei dort her kommen, gäbe es, sollten wir auffallen, mögliche Verbindungen, die uns das Leben schwer machen, oder dafür verantwortlich sind, dass wir es womöglich verlieren.“
„Gut dass Du mir das noch mal gesagt hast, ich hatte das wohl überhört. Jetzt bin ich etwas beruhigt, obwohl es eigentlich beunruhigend ist.“
„Gerne“, antwortete Frederik.
Der Mann aus dem Kiosk stand im Wind im rauchte. Asche wehte um die Ecke der überlappenden Rauspundbohlen und verfing sich in den Spinnennetzen, die eifrige Spinnen gegen die Mächte der Natur und der auch von Sauberkeit geprägten Pflegekultur des Kioskbetreibers immer wieder sponnen.
Ob so jemand wohl jemanden umbringen könnte, fragte sich Frederik.
Dr. Hunt meldete sich zu Wort:“Ich bin ehrlich gesagt demotiviert, meinen Urlaub gegen einen geplanten Mord einzutauschen in den wir uns verfangen können. Aber deine Idee ist gut“.
„Dann trink Korn“, sagte Frederik. „Übrigens Erleuchtung, nicht Idee. Ich habe mich mittlerweile damit arrangiert, dass es sich um eine Erleuchtung handelt.“
„Wann weihen wir den Kioskbesitzer in sein Schicksal ein?“, fragte Thomas.
„Am besten wenn Du den Korn bestellst. Aber verrate ihm nicht zu viel. Du bist Psychiater,
da wird Dir schon was tolles einfallen.“
Der Cockerspaniel bestellte eine kleine Flasche Korn, und bat den Besitzer entsprechend Ihnen zu helfen und sie mitzunehmen. Sie ernteten die erwarteten Fragen, warum sie hier hin gegangen wären, ob sich zwei Männer wie sie nicht hätten besser organisieren können, und wo sie hinwollten. Dr. Hunt zog alle Register seines Könnens, und erklärte, sie wären gerade absichtlich unbedarft angereist, um das schöne, den Flair und den Charakter sowie den Charme der Umgebung und der Menschen hier vor Ort richtig erfassen und erleben zu können. Das reichte dem Kioskbesitzer schon fast, und er verschwand kurz an die andere Theke, um sich um eine alte Frau zu kümmern, die auch etwas zu essen bestellte. Er kam zurück.
„Und, wo wollen Sie dann hin?“, fragte er. „Hotel, Pension oder doch liebe ein Zeltplatz, Eine Jugendherberge haben wir auch noch.“
„Nein, wir müssen wieder weg“, antwortete Dr. Hunt. „Leider ist etwas dazwischen gekommen und wir müssen ….“, er stockte kurz, „…wir müssen sehen dass wir ein Stück nach Süden kommen. Dort treffen wir einen Freund.“
„Dann bringe ich Sie zum Bahnhof, dort fährt jede Stunde bis Mitternacht ein Zug Richtung Emden. Von dort kommen Sie immer weg.“
„Was ist mit fliegen“, fragte Dr. Hunt, „gibt es eine Möglichkeit spontan mit dem Flugzeug hier weg zu kommen?“
Der Kioskbetreiber lachte. „Nein, weder spontan, noch um diese Uhrzeit. Der Flugplatz hat schon seit 2 Stunden geschlossen. Wissen Sie was, ich mache in 20 Minuten meinen Stand zu. Dann packe ich Sie ein und bringe sie zum Bahnhof, das wird das beste für Sie sein.“
Das Auto des Kioskmenschen war ein Geländewagen mit Ladefläche, er war zwar erst ein paar Jahre alt, doch die lange Standzeit neben dem Kiosk am Meer mit Sand und Salz in Wind und Wetter hatte bereits leichte Spuren hinterlassen.
In den letzten Minuten teilten sich der Businessman und der Cockerspaniel schweigend Schluck für Schluck die kleine Flasche Korn, und warteten darauf, dass die Klappen des Kiosks nach unten gingen. Dr. Hunt erntete noch Lob von Frederik für seine psychologische Glanzleistung, kurz und knapp den Kioskbetreiber seinem Schicksal zugeführt zu haben, ohne dass er sich wirklich wehren konnte.
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