„Na, Joshua“, fragte Balthasar, „worüber machst du dir Gedanken?“
Der junge Engel sah seinen Lehrer verwirrt an. „Warum fragst du? Du weißt es doch schon längst“, antwortete er resigniert. Balthasar nickte und lächelte still. Er konnte seinen Schülern nie etwas vormachen. Und sie ihm auch nicht. Sie wussten zum Beispiel ganz genau, dass Mogeln bei Klassenarbeiten absolut keinen Zweck hatte. Wer es trotzdem versuchte, bekam Riesenärger.
„Ja, ich weiß in der Tat was dich bedrückt.“ Balthasar räusperte sich leise. Dann schaute er Joshua mit seinen gütigen blauen Augen an und meinte: „Lass dir eins von mir sagen: Du musst nur aufmerksam sein.“
Joshua stöhnte. Aufmerksam sein – als hätte er nicht schon oft genug versucht.
Aufmerksam – so wie Balthasar es gesagt hatte - spazierte Joshua die nächsten Tage durch das kleine Städtchen. Doch meist kehrte er enttäuscht nach Hause zurück.
„Hab Geduld“, sagte Samuel, „sicher dauert es nicht mehr lange, bis du deinen ersten Auftrag bekommst.“
Und Samuel sollte Recht behalten.
An einem Nachmittag waren, wie an jedem Tag in der Vorweihnachtszeit, wieder viele Menschen in der Stadt unterwegs. Mit großen Taschen und Tüten hasteten sie durch die Einkaufsstraßen. Die meisten von ihnen sahen furchtbar beschäftigt aus. Andere hatten die Augenbrauen fest zusammen gezogen und es schien fast so, als wären sie auf jemanden böse. Kaum einer von ihnen lachte. Nicht einmal das winzigste Lächeln huschte über ihre Lippen. Dabei sollte man denken, dass die Menschen gerade in dieser Zeit glücklich sein müssten.
Kleine Kinder, die immer wieder mal staunend vor dem einen oder anderen festlich geschmückten Schaufenster stehen geblieben waren, um mit großen runden Augen all die schönen Dinge anzuschauen, wurden von hektischen Erwachsenenarmen eilig weiter gezogen. „Nun trödle doch nicht so herum!“, hörte Joshua die Eltern schimpfen.
Die Menschen verschwanden bepackt wie ein Esel in den Läden mit den bunt geschmückten Schaufenstern und kamen kurz darauf mit noch einer weiteren prall gefüllten Tüte zurück auf die Straße. Aber irgendwie hatte Joshua das Gefühl, dass sie immer noch nicht wirklich glücklich waren. Warum machten die Menschen das? Warum kauften sie all diese schönen Dinge, die sie doch nicht fröhlicher werden ließen?
„Weihnachtsgeschenke“ - dieses Wort hörte der junge Engel an diesem Nachmittag so oft. Die großen Leute sagten es, die kleinen Kinder sowieso.
„Ich möchte eine neue Puppe als Weihnachtsgeschenk.“
„Dieses Spiel dort wünsche ich mir als Weihnachtsgeschenk.“
„Wir brauchen noch ein Geschenk für Tante Berta.“
„Und noch eins für deine komische Cousine Gerda.“
„Und Oma Christa, die wünscht sich sicher diese nutzlosen Heizpantoffeln. Soll sie die doch haben!“
„Und was schenken wir dem knurrigen Onkel Karl?“
Geschenke waren da, um anderen Menschen einen Freude zu machen. Und eine Freude machte man hauptsächlich den Menschen, die man gerne hatte. Doch das, was Joshua in den vergangenen Tagen erlebte, hatte nichts mit Freude zu tun. Hier wurden nur ellenlange Listen abgearbeitet und abgehakt. Ihm kam es so vor, als beschenkten sich die Menschen gegenseitig nur aus reinem Pflichtgefühl. Weil es sich eben so gehörte zu Weihnachten. Oder, weil man von dem anderen ebenfalls ein Geschenk erwartete. Aber reichte das wirklich? War das für die Menschen der Sinn von diesem Fest? Joshua seufzte. Jemand musste den Menschen dringend erzählen, was damals in der ersten Weihnachtsnacht passiert war und weshalb es jetzt, über zweitausend Jahre später, noch immer gefeiert wurde.
Joshua schaute verwundert zum Himmel hinauf. Plötzlich – als hätte jemand den Winterhimmel aufgeschlossen - wirbelten unzählige dicke weiße Schneeflocken auf die Erde.
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