Lena öffnete die Schranktür und nahm die Packung heraus.
"Sehr schön", meinte sie erleichtert und nahm sich eine Portion, die der von Lukas in nichts nachstand. Eilig aß sie ihr Frühstück auf.
"Warum hast du es so eilig?", bohrte Lukas. Mit seinem runden Gesicht mit den blauen Knopfaugen darin sah er sie erwartungsvoll an.
Lena lächelte. So sah er ja ganz süß aus, fand sie, obwohl er manchmal auch sehr nerven konnte. "Anne, Tina und ich sind bei Sara eingeladen. Wir wollen dort den Tag verbringen und uns am Pool sonnen."
"Ich gehe mit Simon ins Schwimmbad", informierte Lukas sie.
Simon war Ollis jüngerer Bruder.
"Allein?", fragte Lena und runzelte die Stirn. Die beiden Jungen allein im Schwimmbad, das war nicht so gut. Sie waren zwar schon zehn, aber trotzdem.
"Nein, Olli und seine Freunde gehen mit. Mama hat es erlaubt."
Triumphierend sah Lukas seine Schwester an.
"Na, ihr beiden", sagte ihre Mutter, die gerade die Küche betrat, "seid ihr fertig?"
Lena und Lukas nickten. Lena teilte ihrer Mutter mit, dass sie den Tag bei Sara verbringen würde.
Ihre Mutter war einverstanden. "Hat einer von euch schon Laura gesehen?", wollte sie noch wissen.
Die beiden schüttelten den Kopf.
"Ich muss gehen", sagte Lena, "ich will noch Anne abholen und dann gehen wir zusammen zu Sara. Tschüss." Schnell verließ sie die Küche und kurz darauf klappte die Haustür.
Kapitel 5
Tina erwachte vom Duft frischen Kaffees und gerösteter Brotscheiben, der durch das Haus zog. Sie schnupperte. Hmm, das roch lecker. Sie merkte, dass sie Hunger hatte, also krabbelte sie aus ihrem Bett. Wo waren denn ihre Hausschuhe? Tina durchforstete ihr Zimmer, bis sie die Schuhe unter ihrem Schreibtisch ausfindig machte. In diesem Moment klingelte ihr Handy. Sie sah auf dem Display Saras Nummer und drückte auf die Annahmetaste. "Hallo", meldete sich Tina.
"Ich bin’s, Sara", klang es vom anderen Ende. "Ich wollte dich, Anne und Lena zu mir einladen. Wir chillen am Pool und lassen es uns gut gehen."
"Super", meinte Tina, "was gibt es denn zu essen?"
"Für den Anfang hat meine Mutter für uns Sandwiches gemacht", antwortete Sara.
Tina war begeistert. Sie liebte Frau Reuters Sandwiches und schon jetzt lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Vergnügt verließ sie ihr Zimmer und steuerte die Küche an.
"Hat dich der Hunger aus dem Bett getrieben?", fragte Timo spöttisch, der bereits am Tisch saß und kaute.
"So ähnlich", gab Tina zurück und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Sie aß drei Brote, die sie dick mit Wurst belegte, in Rekordzeit auf.
"Bricht eine Hungersnot aus, weil du so stopfst?", wollte ihr Bruder wissen und sah sie aufmerksam an.
Tina zog es vor, darauf nicht zu antworten.
"Hast du heute was vor?", wollte er wissen.
"Sara hat mich und die anderen zu sich eingeladen. Wir machen es uns am Pool gemütlich", sagte Tina kauend. "Und Essen ist auch vorbereitet."
"Na dann", sagte Timo nur. Er wollte eigentlich noch eine scherzhafte Bemerkung machen, verkniff sich diese aber. Es waren Ferien und er wollte keinen Streit oder Diskussionen — jedenfalls nicht schon am ersten Tag … obwohl er sich jedes Mal wieder aufs Neue wunderte, was Tina alles verdrücken konnte.
"Und was hast du vor?", fragte Tina ihren Bruder.
"Ich gehe mit Lutz, Olli und Bernd ins Schwimmbad", erwiderte er, "Simon und Lukas kommen auch mit."
"Oh, schön", sagte Tina nur. Sie bestrich sich gerade ein viertes Brot mit Marmelade. Timo kannte die anderen Jungs zwar schon vom Sehen, schließlich begegnete man sich in der Schule, aber da er bisher eine andere Klasse besuchte, hatte er nicht wirklich viel Kontakt mit ihnen gehabt. Da seine Klasse aufgelöst worden war, weil viele seiner bisherigen Klassenkameraden
weggezogen waren, hatte man die wenigen verbliebenen Schüler auf die übrigen Klassen verteilt. So kam es, dass Timo der Klasse zugeteilt wurde, die auch Lutz, Olli und Bernd besuchten. Die drei kannten ihn ebenfalls vom Sehen und wussten auch, dass er Tinas Bruder war. So hatte man sich ziemlich schnell angefreundet und aus dem anfänglichen Trio schien nun ein Quartett zu werden.
Frau Ruhland betrat die Küche. Tina informierte ihre Mutter darüber, dass sie und die anderen den Tag bei Sara verbringen würden.
Frau Ruhland meinte: "Na, das ist aber nett von Sara. Ja, geh nur. Aber zum Abendessen bist du wieder da, Tina."
"Natürlich, Mama."
Tina verließ kurz darauf das Haus und machte sich auf den Weg zu Sara. Sie überlegte, ob sie ihr Fahrrad nehmen sollte, entschied sich aber dann dagegen, denn es war nicht so weit, dass sich eine Fahrt mit dem Rad lohnte. Außerdem war es schon ziemlich heiß. So nahm sie ihre Tasche mit den Badesachen und machte sich vergnügt auf den Weg.
Kapitel 6
Die Reutersche Villa lag ein wenig zurückgesetzt von der Straße in einem parkähnlichen Garten. Eine Auffahrt führte zum Haus. Drinnen werkelte Sara schon emsig herum. Sie hatte einige Liegestühle am Pool aufgestellt, sodass sie es sich gemütlich machen konnten. Ihre Freundinnen waren schon öfter hier gewesen und kannten sich aus. Sara ging in die Küche, um nachzusehen, wie weit ihre Mutter mit den Essensvorbereitungen war.
"Die Sandwiches sind fertig", sagte Frau Reuter und zeigte auf einen riesigen Berg mit leckeren dreieckigen Gebilden, aus denen allerlei frische Sachen hervorschauten.
"Das reicht wohl fürs Erste", meinte Sara.
"Bis zum Mittagessen bin ich zurück und kann euch dann weiter versorgen", lächelte ihre Mutter.
"Danke, Mama", sagte Sara.
"Oh, da fällt mir noch etwas ein", sagte Frau Reuter und zog einen Brief hervor. "Könntest du den noch zur Post bringen und frankieren lassen? Ich habe keine Briefmarken mehr im Haus. Wenn ich erst noch zur Post fahre, komme ich zu spät zu meinem Termin."
Sara nickte. Die Post befand sich nicht weit von ihrem Haus, keine zwei Minuten zu Fuß.
"Danke, Sara. Dann bis später. Amüsiert euch gut. Ich bin spätestens um halb eins zurück." Mit diesen Worten verließ Frau Reuter das Haus.
Gleich darauf brummte ein Motor und ihr kleines Auto summte die Einfahrt entlang und bog dann in die Straße ein. Sara sah auf die Uhr. Es war zwei Minuten nach zehn. Am besten brachte sie den Brief jetzt gleich zur Post. Sie steckte ihre Schlüssel ein und verließ das Haus. Als sie die Straße erreicht hatte, wandte sie sich nach rechts in Richtung Postamt. So bemerkte sie das Auto nicht, das langsam aus der anderen Richtung die Straße entlang kam und dann in ihre Auffahrt einbog.
Kapitel 7
In der Innenstadt, in Laubheims kleinem Hotel, saßen an diesem heißen Morgen zwei Männer beim Frühstück. Sie aßen langsam, bedächtig und mit großem Appetit.
"Hast du alles verstanden?", fragte Anton Wagenbach und sah seinen Kumpel an.
"Natürlich", antwortete dieser.
Die beiden waren ein ungleiches Paar. Anton war groß und hager, seine Augen standen eng beisammen, was ihm einen stechenden Blick verlieh. Er war ein einschlägig vorbestrafter Verbrecher, der schon öfter wegen Einbruchs und Körperverletzung im Gefängnis gesessen hatte. Er war 42 Jahre alt, dafür bekannt, sehr skrupellos zu sein und schnell von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Er träumte vom schnellen Geld und dem ganz großen Coup, nach dem er sich dann zur Ruhe setzen konnte — irgendwo weit weg, auf den Bahamas oder Seychellen, wo ihn niemand finden konnte. Für diesen Traum tat er alles, um ihn so schnell wie möglich in Erfüllung gehen zu lassen.
Während seiner Gefängniszeit hatte er die Idee gehabt, eine reiche Person zu entführen und Lösegeld zu verlangen. Mit seinem Zellengenossen Robert Neumann, der ihm in Vielem ähnlich war und mit dem er sich während seiner Haft anfreundete, hatte er einen detaillierten Plan ausgearbeitet. Sie hatten den Zeitpunkt und den Ort des Geschehens festgelegt. Nun brauchten sie nur noch ein geeignetes Versteck und natürlich jemanden, den sie entführen konnten.
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