Suraya Jammeh - Ich helfe, also bin ich!

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Ein Leben zwischen den Kontinenten birgt viele Bereicherungen im gegenseitigen Verständnis, aber auch viel Arbeit für alle, die helfen wollen. Wir alle können von einander lernen. Das Buch geht im Wesentlichen um unsere Arbeit als NGO in Gambia, die Projekte, die wir umsetzen, warum und mit welchem Ziel. Afrika braucht Hilfe, besonders im Bildungssektor, doch auch wir können viel in Afrika lernen. Welche Erfahrungen ich zur Verbesserung meines eigenen Lebens machen durfte ist im Kapitel «Klassenzimmer Afrika» beschrieben. Den aufmerksamen Leser wird dieses Buch aufklären, ihm Mut machen, Chancen aufzeigen aber auch unterhalten. Bestenfalls werden bei uns allen Lernprozesse in Gang gesetzt, Prüfungen für beide Seiten erkannt, und es kann uns alle motivieren, Lösungsansätze zu finden und umzusetzen.

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Wie jeder aus seinem eigenen Leben weiß, trainiert die ständige Wiederholung einer Sache ungemein. Neben vielen handwerklichen Fertigkeiten, die man hier lernen muss, weil man nicht einfach auf den berühmten Knopf einer Maschine drücken kann, bestehen meine Lernprozesse auch darin, die „Empathie-Muskeln“ zu trainieren und Mitgefühl und Lösungsmöglichkeiten zu bieten.

Prüfungen

So weit, ein Sozialsystem mit Witwenrente zu etablieren, ist Gambia noch lange nicht. Es ist eher so, als ob Gott dich herausfordert. Schaffst du es, oder gehst du unter? Es fühlt sich ein wenig an wie ein Seiltanz. Die Wahrscheinlichkeit, am anderen Ende anzukommen, besteht zwar, aber wenn du stürzt, dann richtig.

Das ist es, was mich das Leben wieder spüren lässt, was mich lebendig hält und Allah und dem Schicksal gegenüber bewusst macht. Es ist ein Ringen darum, das Leben zu meistern. Es ist schier unmöglich, dem Schicksal gegenüber gleichgültig zu sein. Ein Moment Unaufmerksamkeit, und es hat dich erwischt.

Auch sind wir bei unserer täglichen Arbeit immer wieder aufs Heftigste überrascht, wie sich Lebensweisen entwickeln können, und wie das Schicksal von jedem Einzelnen ertragen werden kann. Meine Mitarbeiter und ich fragen uns oft, wie die Menschen, die uns aufsuchen, bestimmte Lebenswendungen aushalten können. Und doch geht es irgendwie immer weiter.

Viele fragen mich dann, wie ich es aushalten kann, tagtäglich solche traurigen Geschichten zu hören.

Diesen Menschen Hoffnung zu geben, ihnen immer wieder zu sagen, dass es eine Prüfung ist, dass wenn eine Tür zugeht, eine andere aufgeht, dass wir versuchen werden, ihr Leben wieder „li(e)benswert“ zu machen – das macht unsere Arbeit so sinn- und wertvoll.

Viele „unserer“ Bedürftigen sind aus einer gewissen Chancenlosigkeit heraus in diese Situation geraten. Die meisten von ihnen haben nie eine Schule von innen gesehen, und doch meistern sie ihr Leben. Allerdings ist es ein weitaus größerer Kraftakt, wenn man fällt, wieder auf die Beine zu kommen. Dabei helfen wir ihnen, indem wir gemeinsam besprechen, welche Möglichkeiten vorhanden sind, und wie sie sich selbst wieder zurück ins unbeschwerte Leben katapultieren können.

Fördern

Besonders die Selbstwahrnehmung ihrer eigenen Fähigkeiten ist oft nicht ausgebildet, und so meinen sie in der Regel, nichts zu können. Mit geschickten Fragestellungen können wir dann meist doch einige Talente zutage fördern. Auch wenn es an diesem Tag noch kein Start-up 4gibt, gehen sie doch mit einem Lächeln nach Hause.

Ihr werdet in diesem Buch Geschichten lesen, die euch vielleicht den Atem stocken lassen. Keine der Geschichten ist ausgedacht. Nur die Namen habe ich verändert. Das, was ihr hier lesen könnt, ist „Leben pur“. Zum puren Leben in Gambia gehört interessanterweise aber auch Lachen. Und es wird viel gelacht

In den Reiseführern wird Gambia als die „The Smiling Coast“ bezeichnet. So ist es für die Touristen. Doch was bringt beispielsweise einen Familienvater dazu, der seine Familie nicht mit seiner täglichen Arbeit ernähren kann, immer noch zu lächeln? Es ist die Gewissheit, dass das Lamentieren über Verhältnisse, die er zurzeit nicht ändern kann, nur Verdruss und schlechte Laune bringt.

So kennen wir beispielsweise einen jungen Mann, der sich selbst rabba rabba nennt. Es ist das Wort für Hilfsarbeit. So etwas wie den Garten umgraben, Baustellen säubern, Geröll entsorgen …

Seine Familie lebt im Dorf, weit weg von uns. Und er sucht tagein, tagaus diese Arbeit, um das Geld dann seiner Familie zu schicken. Er ist immer fröhlich, bringt alle zum Lachen und ist sich für nichts zu schade. Eine erstaunliche Charakterstärke.

Lächeln als Ausdruck von Stärke

Lächeln hilft uns, Situationen besser zu ertragen, und zieht andere nicht auch noch mit in den Abgrund. Als Gläubige sind sich die Gambier sehr bewusst, wie wichtig gute Taten für das Jenseits sind. Und wenn ich mangels Geldes und Wissen meine Mitmenschen nicht tatkräftig unterstützen kann, warum denn nicht zumindest mit einem Lächeln? Denn auch ein Lächeln wird als gute Tat anerkannt.

Abu Dharr – möge Allah mit ihm zufrieden sein – berichtete: „Der Gesandte Allahs – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – sagte mir: ‚Schätze eine gute Tat nicht gering, und sei es nur, dass du deinen Mitmenschen mit einem fröhlichen Gesicht begegnest (auch dies zählt als gute Tat, die belohnt wird).‘“

So ist es für mich Motivation genug, den Lesern dieses Buches ein Land vorzustellen, in dem die Menschen ganz anders als wir leben, in dem die Ziele der Menschen viel bescheidener sind und ihr Konsumverhalten und Besitz oft noch gegen Null gehen, und in dem dennoch die meisten glücklich sind. Obwohl eine schleichende Invasion des „Europa-Virus“ deutlich zu spüren ist.

Dieses Phänomen lässt sich besonders deutlich an einigen Punkten festmachen:

1 an den vielen jungen Männern, deren einzige mögliche Zukunftsperspektive nach wie vor Europa zu sein scheint und

2 an den vielen Zivilisationskrankheiten, auf die das Land noch nicht wirklich vorbereitet ist

3 an der Kleidung

4 an dem größer werdenden Wunsch nach Besitz

Da Gambia in vielen Punkten noch Pionierland ist, gibt es echte Chancen, bestimmte Fehler in der Entwicklung des Landes zu vermeiden. Pionierland, da noch viele Geschäftsideen möglich sind und sich viele Bereiche noch nicht etabliert haben. Doch scheint es so, als ob es ein konsequent logisches Verhalten ist, dass jedes Volk die gleichen Fehler macht. Sie aufzuspüren und auf sie aufmerksam zu machen empfinde ich auch als eine große Aufgabe und Motivation.

Chancen am Beispiel Ernährung

Da Gambia keine Industrie hat und somit fast alle Produkte eingeführt werden, wird wahllos im Ausland eingekauft. Einziges Kriterium: Es muss sich gut verkaufen lassen. In einem Land, in dem sowohl viele Verbraucher als auch Händler Analphabeten sind, gibt es keine Qualitätskontrollen und keine Aufklärung über Schadstoffe oder auf lange Sicht schädliche Inhaltsstoffe. Die Konsequenzen sind absehbar. Bluthochdruck, Diabetes, Magengeschwüre, Arthritis und sogar Krebs sind nun an der Tagesordnung.

So versuche ich, Hintergründe zu verstehen und aufzudecken, die Menschen zu sensibilisieren und so vielleicht ein Umdenken zu ermöglichen. Nicht „back to the roots“, sondern Fortschritt ohne die bereits bekannten Fehler. Doch das setzt ein gewisses Verständnis für die Zusammenhänge von Körper und Ernährung voraus und die Akzeptanz, von einer Frau, die nicht in ihrem Kulturkreis geboren ist, Ratschläge anzunehmen. Beides kaum überwindbare Hürden. Aber ich arbeite daran.

Wie alles begann

Um genauer zu verstehen, wie es zu diesem großen Schritt gekommen ist, eine Hilfsorganisation in Gambia zu gründen, folgende kleine Geschichte.

Ich bin ein toma

Ich bin ein toma in Gambia. Toma heißt auf Mandinka ‚Namenspate‘. Das bedeutet, wenn ein Kind nach dir benannt wird, bist du ein Pate für das Kind. Oft bezahlen die Paten dann die Schulgebühren und kümmern sich auch sonst finanziell um das Kind. Was als nette Geste gemeint war, hat sich mittlerweile für einige zu einem lukrativen Geschäft entwickelt. Nach dem Motto „Such dir einen reichen toma für dein Kind, und du hast ausgesorgt“. Seit dem Regierungswechsel kommen immer mehr Exil-Gambier zurück, die nun gern gesehene tomas sind.

Meine Namensschwester und Nichte „Suraya-Ding-Ding“ (kleine Suraya) wurde sieben Stunden nach meiner ersten Ankunft in Gambia im November 1992 geboren. Ich war quasi ihre erste Besucherin. Für dieses Buch ist sie deswegen so wichtig, weil sie der Grund für unsere Vereinsgründung und damit für alle weiteren Hilfsaktionen war.

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