1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Der Angesprochene schenkte sich ein zweites Glas Whiskey ein und sprach sich Mut zu: “Eigentlich ist ja der verdammte Gaul schuld.“
Rudolf beobachtete ihn genau. Er wusste, sein Freund hatte nicht seine Kaltblütigkeit, aber Sinn für Inszenierungen und finanziell stand ihm das Wasser bis zum Hals. Schließlich nickte Vitus.
„Ich mach es.“
Rudolph schaute Vitus tief in die Augen. „Ich will noch einmal eine wichtige Sache ansprechen. Es gibt kein Zurück, insbesondere nicht nach dem ersten Unfalleinsatz. Das ist unbedingt notwendig, nicht nur hinreichend.“ Und sofort ärgerte er sich. Mit dieser Formulierung sprach der Mathematiker aus ihm. Er unternahm einen zweiten Versuch. „Wir müssen uns aufeinander verlassen können. Ein Abspringen oder Hintergehen gibt es nicht.“
„Versteht sich.“
„Dann lass uns losen, wer beginnt. Das Schicksal soll entscheiden. Wer verliert, beginnt.“
Vitus verschwand in der Küche unter dem Vorwand sich etwas zum Trinken zu besorgen. Er kehrte nach einer Minute zurück und holte einen fünfzig Euroschein aus der Brieftasche, glättete ihn sorgfältig und schrieb auf die eine Seite Rudolf und auf die andere Seite Vitus. Nachdem er auf seinen Stuhl gestiegen war, gestikulierte er theatralisch mit seiner freien rechten Hand und sagte: „Das Schicksal entscheidet! Wessen Name zu lesen sein wird, macht den Anfang. Wer nicht einverstanden mit diesem Procedere, möge sich jetzt äußern. Wer einverstanden ist auch.“
„Einverstanden.“ Fünfzig Prozent waren eine gute Wahrscheinlichkeit. Vitus warf den Schein in die Höhe. Er segelte unruhig dem Parkettboden entgegen, um so zum Liegen zu kommen, dass sein Name deutlich zu lesen war. Rudolph atmete auf. Diese Reihenfolge war ihm mit Abstand lieber. Er würde seine Aufgabe als zweiter mit Sicherheit durchziehen. Bei Vitus wäre er sich nicht so sicher gewesen. Auch Vitus schien über die Reihenfolge erleichtert zu sein. Sie vereinbarten, sich nächste Woche über ihren sicheren Internetzugang auszutauschen, was die Einzelheiten der Durchführung und die Termine betraf.
10. Kapitel
Sonntag, 10. Mai 2009, Karwendelgebirge
Zufrieden stellte Rudolph fest, dass sich Emma auf eine ausgedehnte Wanderung durch das Karwendelgebirge freute. Frische Luft und Bewegung würden ihr guttun. Ausgangspunkt war der Parkplatz Karwendelbahn. Er beobachtete aufmerksam die Mountainbiker. Auch sie starteten von hier. Er hatte Caroline Falkenbergers verbotenen Routenverlauf im Kopf. Sie hatte drei sehr gefährliche Stellen markiert. Zu Fuß waren manche Abschnitte nur mit großer Vorsicht zu bewältigen. Ein paarmal stellte er amüsiert fest, wie seine junge Ehefrau entsetzt den steilen Abhang hinunterblickte, sich aber nichts anmerken ließ.
An einer besonders schmalen und abschüssigen Stelle des Wanderpfades schützte ein Holzzaun vor den tödlichen Folgen eines Fehltrittes. Rudolph bedauerte dies. Aber für heute war es gut, denn seine Frau gewann deshalb wieder Sicherheit. Sie schien beruhigt und ruhte sich in einer recht großzügigen Felsennische erschöpft aus, die vor der abschüssigen Stelle nicht einzusehen war. Rudolph schaute sich aufmerksam um und lächelte seiner Frau aufmunternd zu.
Dann blickte er den Abhang hinunter und lächelte gut gelaunt. Er hatte den Unglücksort gefunden. Es war entscheidend, dass der Schutzzaun eine Höhe hatte, um einen strauchelnden Wanderer vor dem tödlichen Sturz aufzuhalten. Aber ein Radfahrer besaß ein höheres Ausgangsniveau und schon ein kurzer kräftiger Schubser sollte genügen, um für einen hindernisfreien Fall zu sorgen. Auch das Überraschungsmoment war auf seiner Seite. Die Felsennische musste über Jahrhunderte entstanden sein. Seine Zufriedenheit schien sich auch auf seine Gattin zu übertragen. Sie blieb während des mühseligen Abstiegs guter Laune und verlor sie auch nicht auf der staugeplagten Rückfahrt.
11. Kapitel
Montag, 11. Mai 2009, Bernbeuren
Es war ein kleines Gestüt im noch flachen Voralpenland in der Nähe von Bernbeuren. Das Gestüt verfügte über zehn Paddocks, die sich in zwei Fünferblöcken gegenüberlagen. Zusätzlich gab es lediglich vier Boxen. Emma Weidach hielt dort ihre zwei Pferde. Jeden Dienstag und Samstag war sie ganztägig dort. Laut Rudolf hatte sie einen festen Rhythmus, was ihre Geländeausritte betraf.
Blecher verfügte über diese Informationen, als er zu seinem Erkundungsgang aufbrach. Er hatte sich als Trachtler verkleidet, der in der Nähe des Gestütes einen Spaziergang unternahm. Er trug eine dreiviertellange Kniebundhose aus feinstem Hirschleder, ein Slim-fit-Trachtenhemd, bequeme Haferlschuhe und einen schicken Gamsbarthut. Zwar lag das diesjährige Oktoberfest noch in weiter Ferne, aber für diese Gegend schien ihm seine Verkleidung außerordentlich passend und unauffällig. Blecher erreichte sein Ziel etwa einen Kilometer vom Gestüt entfernt. Er hatte den Wanderweg verlassen und stieß nach circa hundert Meter auf den Reitweg. Hier war eine kleine Kapelle, die in einer Mulde lag. Der Reitweg führte dicht an ihr vorbei und fiel außergewöhnlich steil nach unten ab.
Die Bäume an dieser besinnlichen Stelle waren alt und groß. Sie spendeten im Sommer Schatten und in der Dämmerung Dunkelheit. Danach ging es ebenerdig weiter, durch ein Waldstück und in einem großen Bogen wieder zurück. Das Gestüt war schon von weitem für einen Reiter zu sehen.
Der bayerische Wandersmann war beeindruckt, dass schien ihm ein idealer Ort zu sein, ein psychisch angeschlagenes Pferd mit gezielten Provokationen völlig aus der Fassung zu bringen und damit zu einem panikartigen Fluchtverhalten zu zwingen. Seine unvorbereitete Reiterin blieb ohne Chance. Sie würde vom unvermutet aufbäumenden Pferderücken stürzen und ihr Kopf den harten Aufschlag nicht überleben. Sie trug keinen schützenden Reiterhelm, sondern eine Kappe, die der Vater aus seinem Nachlass ihr überlassen hatte, auch dies hatte ihm Rudolf gesagt.
Das Pferd würde im ersten Fluchtimpuls den Anstieg wieder hochwollen. An dessen Ende wollte er ein paar große Reflektoren im Geäst aufhängen, die dem armen Tier den Eindruck vermitteln würden, in einer ausweglosen Falle gefangen zu sein. Die Panik des Pferdes würde ihren höchsten Grad erreichen, so dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit abrutschen würde, um seine Herrin endgültig zu begraben. Eine Handvoll Blitztürme plus Reflektoren sollten tatsächlich ausreichend sein, um ihr Ziel zu erreichen. Das sagte der Psychologe in ihm. Blecher war erleichtert, nicht selbst direkt Hand anlegen zu müssen, um diese Frau zu töten. Sein indirektes Wirken war ihm wesentlich sympathischer.
12. Kapitel
Mittwoch, 13. Mai 2009, München
Rudolph saß mit seinem Laptop im Hofgarten und schaute auf die neue Staatskanzlei, die mit viel Glas Transparenz vortäuschte.
„Ich hoffe, dass im Gegensatz zur Staatskanzlei uns der göttliche Ratschluss durch den Engel Aloisius erreicht hat.“, tippte er in den Laptop und schickte die Nachricht über eine verschlüsselte Verbindung an Vitus.
Dieser antwortete mit einiger Zeitverzögerung. Rudolph war schon nervös geworden.
„Ich denke schon. Deine Idee mit dem Feuerwerk geht auf. Ich habe mir die Örtlichkeit angeschaut. Lediglich ein paar große Reflektoren hänge ich zusätzlich auf, um sicher zu gehen, dass die Mulde eine Falle ohne Ausweg bleibt, solange das Feuerwerk blendet und ängstigt. Die Blitz-Türme werde ich mit einem leistungsfähigen Feuerzeug anzünden, damit nichts schiefgehen kann.“
„Sehr gut! Ich finde deinen Vorschlag auch gut. In meinem Fall genügt als Ausrüstung dunkle Kleidung, gute Wanderschuhe, eine Taschenlampe und eine schwarze Schirmmütze, so dass deine Extremsportlergattin mich nur kurz heftig spürt, aber nicht wirklich aus dem Nichts auftauchen sieht.“
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