Sie tauschten noch die exakten Ausführungstermine aus und Rudolph gab noch an, dass sich jeder selbst intensiv Gedanken machen sollte, wo er sich zeugengesichert aufhalten würde, wenn der andere zur Tat schritt. Dann beendeten sie die Verbindung.
13. Kapitel
Freitag, 15. Mai 2009, Bernbeuren
Es war ein verregneter Tag, der sich zum Ende neigte als Blecher mit Klappfahrrad und Rucksack unterwegs war. Er hatte sein Auto auf dem Kirchplatz eines fünf Kilometer entfernten Dorfes geparkt, der gerne genutzt wurde für ausgedehnte Wanderungen. Er erreichte die Kapelle nach einer halben Stunde, brachte die Reflektoren an, die er auf der Rückseite mit Blättern drapierte, damit sie der Reiterin nicht auffielen. Er nahm sechs Blitztürme in die linke Hand und in der rechten Hand hielt er ein Feuerzeug bereit.
Alles war vorbereitet. Es konnte nur noch wenige Minuten dauern, bis die Reiterin eintraf. Sein Herz raste. Zweifel kamen in ihm hoch. Jetzt kann ich noch zurück, schoss es ihm durch den Kopf. Da hörte er den Hufschlag des leichten Galopps näherkommen, der dann auf einmal verstummte. Die Reiterin bereitete das Pferd sorgfältig auf den kurzen Abstieg vor. Er brauchte mehrere Versuche, um die Blitztürme mit dem Feuerzeug anzuzünden, so stark zitterten seine Hände. Im letzten Moment gelang es ihm. Er steckte das Feuerzeug ein und schob drei Blitztürme in die linke Hand und trat mit weit vorgestreckten Armen aus dem Schatten der Kapelle hervor. Jetzt war er der Mittelpunkt eines Lichtermeeres. Das Pferd scheute und stieg mit den Vorderfüßen empor. Die überraschte Reiterin riss es nach hinten. Sie zerrte an den Zügeln, um im Sattel zu bleiben. Aber die Schwerkraft zog sie aus dem Sattel, der tiefe Sturz schien unaufhaltsam. Da drehte sich das Pferd auf den Hinterhufen und berührte auch wieder mit den Vorderbeinen den Boden, um mit kräftigen Sprüngen über den Anstieg zu entkommen. Der Druck nach hinten ließ für die Reitern nach und sie blieb im Sattel, aber die Reflektoren machten ihre Arbeit. Das Tier glaubte auch diesen Ausweg verwehrt, drehte und scheute erneut. Diesmal war der Sturz unvermeidlich, und das Tier begrub seine Reiterin unter sich. Mit Entsetzen hörte Blecher erst das harte Aufschlagen der jungen Frau gefolgt vom dumpfen Aufprall des Pferdes. Einen kurzen Moment herrschte absolute Stille. Das Pferd hob den Kopf. Die Blitz-Türme stellten ihre Aktivität ein und schmorten dunkel vor sich hin. Die Reflektoren erblindeten, weil es keine Lichtquelle mehr gab. Das Pferd unternahm verzweifelte Versuche aufzustehen und belastete dabei jedes Mal die regungslose Reiterin. Sie muss tot sein, dachte Blecher.
Erschrocken sah er zu wie der Überlebenswille des Tieres siegte. Es kam auf die Beine und stürmte an ihm vorbei. Ihm wurde in diesem Moment speiübel, panisch drehte er sich um, er durfte keine Spuren hinterlassen Es blieb ihm nichts anderes übrig, als in seinen Rucksack zu kotzen. Schnell packte er alles zusammen, ohne auf die Schweinerei im Rucksack zu achten, stieg auf sein Klappfahrrad und radelte so schnellte er konnte zurück zu seinem Auto.
Als er die Heckklappe aufschloss fragte er sich, wie er die lange Autofahrt überstehen sollte. Er zitterte am ganzen Körper. Er war kaum in der Lage das kleine Fahrrad zu verstauen. Er hätte einen Flachmann zur Beruhigung mitnehmen sollen. Er fluchte über seine Nachlässigkeit, setzte sich hinter das Steuer und brauchte fünf Versuche, um den Motor zu starten. Er ließ alle Fensterscheiben runter, damit ihn der Fahrtwind, der an seinen Haaren zerrte, bei Besinnung hielt während der langen Rückfahrt.
14. Kapitel
Freitag, 15. Mai 2009, München
Die Alibizeit verbrachte Rudolph beim Kardinal und diskutierte mit ihm, möglicherweise den Stiftungszweck von Männern auf Frauen zu erweitern.
„Dies wäre ein Herzensanliegen meiner lieben Gattin.“
Rudolph musste feststellen, dass die Aufmerksamkeit des Kardinals mehr den Genüssen des frühen Abendessens galt als dem Wohl der weiblichen Mitglieder seiner großen Gemeinde.
Der Kardinal schmeckte die Soße seines Pferdebratens in den luftigen Blasen und Gängen seines salzlosen Weißbrotes und schwärmte mit sanfter Stimme: „Der liebe Gott hält verschiedene Wunder für seine Schäflein bereit. Und ich bin gottesfürchtig genug, um dies zu akzeptieren.“ Der Gottesmann lächelte ihn milde an. Da klingelte das Diensttelefon schrill. Der Kardinal sah ärgerlich hin.
„Ich hatte doch klare Anweisung gegeben, dass wir nicht gestört werden.“ Er sah Rudolph entschuldigend an. Dann stand er schwerfällig auf und watschelte zum Telefon.
„Ich hatte doch extra...“, blaffte er ins Telefon und brach unvermittelt ab. Sein Gesichtsausdruck wurde erst ernst dann blass. Er starrte ihn fassungslos an.
„Und da ist kein Versehen möglich“, flüsterte er ins Telefon. Der Kirchenmann legte auf und räusperte sich. Die übliche Röte seines Kopfes war einer grauen Blässe gewichen.
„Mein Sohn, Sie müssen jetzt stark sein. Ein Anruf der Polizei Bernbeuren. Ihre liebe Frau hatte einen schweren Reitunfall.“
„Herr Kardinal, was sagen Sie da? Ist Emma schwer verletzt?“ Er sprang auf und ging auf den Kardinal zu.
„Mein Sohn, Gott hat es so gewollt. Eine harte Prüfung. Sie ist tot.“
Rudolph nutzte die Nähe und fiel dem Kardinal schluchzend um den Hals und flüsterte: „Das kann nicht sein.“ Er ertrug die tröstenden Worte des Kardinals mit steinerner Miene und gesenktem Blick. Nach zwanzig Minuten bat er leise um Entschuldigung und verabschiedete sich mit einer Umarmung. Draußen atmete er die frische Luft tief ein und beschleunigte seinen Schritt in Richtung Promenadenplatz. Kurz vor dem Eingang zu den Fünf Höfen schaute er hinab in ein italienisches Kellerrestaurant mit großem Tresen. Er suchte dieses Lokal auf, setze sich an die Bar und bestellte sich ein Glas Champagner, den er in kleinen Schlucken trank. Er dachte, das Spiel ist eröffnet. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Er bezahlte und setzte seinen Weg zum Promenadenplatz fort, um ein Taxi zu besteigen. Die Fahrt nutzte er, um sich innerlich zu sammeln. Und erinnerte sich daran, dass er in Kürze den schwierigsten Teil dieser Mission fortsetzen musste. Entsetzen, Trauer zu mimen war nicht seine starke Seite. Aber er hatte geübt. Und beim Kardinal hat es schon ganz gut geklappt. Überdies plante er so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Der durch diesen schicksalhaften Doppelschlag traumatisierten Familie würde er mitteilen, dass nur Einsamkeit und Ruhe ihn wieder ins Gleichgewicht bringen könnten. Der Mutter die böse Nachricht zu überbringen, war für ihn am unangenehmsten. Er befürchtete einen Gefühlausbruch, der in einem körperlichen Zusammenbruch endete. Schließlich hatte die Mutter erst vor kurzem ihren Ehemann verloren. Aber sie nahm die Nachricht zwar mit Schrecken entgegen, wurde aber schnell still und apathisch und sagte immer wieder: „Gott prüft mich schwer.“
Um der trauernden Familie zu entkommen, gab er vor unbedingt Herrn Huber, den Gestütsverwalter, besuchen zu müssen, um weitere Einzelheiten über das schreckliche Unglück zu erfahren.
Dieser erzählte ihm, dass er am Unglückstag an der Koppel gestanden und sich Sorgen gemacht hatte, dass Emma Weidach-Rudolph und ihr Pferd am Horizont nicht auftauchten. Schließlich tauchte ein offensichtlich lahmender Gaul ohne Reiter in seinem Sichtfeld auf.
Rudolph bemerkte, wie Karl Huber vor Erregung kurzatmig wurde. Seine Schweinsäuglein verengten sich noch weiter und blickten angestrengt. Er kämpfte mit den Tränen.
„Ich rief laut nach einem Stallknecht. Max tauchte erschrocken aus einer Box auf. Ich befahl ihm, dass lahmende Pferd in Empfang zu nehmen und es provisorisch versorgen. Es musste Emma abgeworfen haben. Ich habe diesem kranken Tier nie richtig getraut.“
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