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Montag, 20. April 2009, Mailand
Vitus Blecher spazierte durch das Goldene Karree. Ein Flecken Erde, der für ihn geschaffen schien. Der Gedanke amüsierte ihn. Er startete am Corso Matteotti und verlor keinen Gedanken an die in unmittelbarer Nähe liegenden Tempel der Musik und Gottesfurcht, sondern bog in die Via Monte Napoleone ein. Dort erwartete ihn ein Meer von neoklassizistischen Häusern und in den Erdgeschossen der Adel der klassischen Mode: Ferragamo, Gucci, Etro, Louis Vuitton, La Perla, Ermenegildo Zegna, Prada, Marella Bruni. Blecher war beladen mit drei großen Einkaufstüten. Die Shoppingtour hatte sich für ihn gelohnt. Er besuchte einen der schönen Innenhöfe und bestellte in einem Café einen Espresso. Er war glücklich, fast euphorisiert und frisch verheiratet
Die bescheidene standesamtliche Trauung hatte Anfang April in der vornehmen Mandlstraße stattgefunden. Blecher war zum potentiellen Erben aufgestiegen. Ihn und auch seine angeheiratete Verwandtschaft hatte es überrascht, dass die glückliche Braut auf einen Ehevertrag verzichtet hatte. Sie hatte es ihm gegenüber schmunzelnd damit begründet, dass sie an seine große Karriere glauben würde. Er sei ihr bestes Investment. Davon verstünde sie was.
Er blickte versonnen in den mailändischen Himmel und dachte nur, schade für dich. Du hättest dir in Erinnerung rufen sollen, dass du vor allem deinen Reichtum sinkenden Kursen über den Einsatz von Verkaufsoptionen verdankst. Ab jetzt sinkt dein Kurs, und ich bin nicht deine Verkaufsoption, die dich davor schützt.
In einer Stunde würde er Rudolf treffen. Sie würden auf seiner Suite eine Kleinigkeit zu Mittag essen und anschließend ihre jeweiligen Pläne vorlegen und deren Umsetzbarkeit diskutieren. Von seinem Plan war er begeistert und hoffte inständig, dass sein Partner auch etwas gefunden hatte, dass er sich umzusetzen traute. Eine heimliche Freude erfasste ihn jedes Mal, wenn er vor seinem geistigen Auge das zukünftige Schicksal seiner Gattin Revue passieren ließ. Ihr krankhafter Hang zum Risiko und ihr geliebtes Hobby würde er sich zunutze machen.
9. Kapitel
Montag, 20. April 2009, Mailand
Rudolph steuerte seinen Panamera in eine private Tiefgarage. Er hatte einen Stellplatz vorgebucht. Dann ging er über ein tristes Treppenhaus nach oben Richtung Dom. Immer wieder beeindruckte ihn die majestätische Erscheinung dieser gewaltigen gotischen Kirche. Der große Vorplatz bot eine atemberaubende Bühne dafür. Die Mauern bestanden aus weißen Marmorblöcken. Zweitausend Skulpturen zierten die imposante Fassade. Doch in das Innere der wuchtigen Kirche zog es ihn nicht. Er hatte Emma jedoch versprechen müssen, dass er eine Kerze anzünden würde zum Gedenken an den verstorbenen Schwiegervater. Er reihte sich in die lange Schlange der Wartenden ein. Seine Frau hatte ihm abgenötigt auch ein Selfie mit Gedenkkerze zu schießen. Also wartete er geduldig bis er Einlass bekam. Überall Touristen. Die mächtige fünfschiffige Anlage mit über fünfzig Stützpfeilern wirkte im Dämmerlicht furchteinflößend. Nach längerem Suchen fand er die Gedenkkerzen, zündete eine an und schoss das Foto. Es war ihm peinlich. Lediglich sein Weigern die Kerze zu bezahlen, besänftigte ihn etwas. Zügig verließ er das Gotteshaus.
Er bog ab in die Galleria Vittorio Emanuele. Die mit Stahl und Glas überdachte Einkaufspassage war das Zentrum kulinarischer Köstlichkeiten. Er war zu angespannt, um seine Umgebung genießen zu können, obwohl er sich im Mittelpunkt italienischer Gaumenfreuden bewegte. Auch passierte er achtlos die Mailänder Scala, um fünf Minuten später das Grand Hotel zu erreichen. Er atmete tief durch und hoffte, dass Vitus seine Hausaufgaben gemacht hatte.
Er ließ sich an der Rezeption als Dr. Faustus melden und wurde nach oben gebeten, dritter Stock letzte Tür. Vitus öffnete sofort nach dem ersten Klingelton. Sie umarmten sich herzlich. Vitus konnte aber seine Anspannung nicht ganz verbergen. Auch er wusste um die Bedeutung dieses Treffens. Obwohl es erst auf Mittag zuging, genehmigte sich der Gastgeber bereits ein Glas hervorragenden Malt Whiskey. Auch er sagte nicht nein zu einem Glas exzellenten Champagner und nippte kurz.
„Geht es dir gut?“
„In Mailand fühle ich mich immer wohl. Ein wahrhaftes Einkaufsdorado. Ich liebe diese Stadt sehr.“
Rudolph nickte und dachte, dann sind ja die Grundlagen gelegt für den zweiten großen Schritt unseres Vorhabens. Er sagte mit ausgebreiteten Armen: „Ich beglückwünsche uns noch einmal zum neuen Familienstand. Das lief besser und schneller als ich es gedacht hätte. Ich bin stolz auf uns.“
„Mir hatte ich diese Aufgabe von Anfang an zugetraut, aber dass du Erfolg haben würdest, hätte ich nicht erwartet. Zumal mit diesem eigenwilligen Auswahlprozess.“
Rudolf nahm gelassen das unverschämte Grinsen seines Partners hin. Er brauchte ihn in einer guten psychischen Verfassung, damit er die Besprechung mit den tödlichen Abmachungen zum Erfolg führen konnte.
„Kann es sein, dass du mich unterschätzt?“
„Vielleicht habe ich wirklich keine Ahnung was sich hinter deiner breiten Stirn verbirgt. Ein Teufel? Ein charismatischer Beelzebub?
„Das weiß ich selbst nicht.“, antwortete Rudolph. Jedenfalls ein Teufel mit Mathematikkenntnissen und Macht- und Kontrollgelüsten, wie geschaffen für das Computerzeitalter. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
„Lass uns mit dem Vorspiel aufhören und die Aufführung des zweiten Aktes besprechen. Ich bin sehr neugierig auf deinen Vorschlag, wie dein endgültiger Familienstand erreicht werden soll.
„Caroline ist eine fanatische Mountainbikerin, sie fährt gerne im Gebirge. Sie hat sich einer Gruppe angeschlossen, die sich die Black Mountainbiker nennen. Sie suchen sich schwierige Strecken aus, die definitiv nicht für diese Sportart vorgesehen sind. Ja, sie sind eigentlich verboten. Aber dies erhöht nur den Reiz für diese Verrückten. Insbesondere wenn sie Nachtfahrten unternehmen.“
„Klingt gut.“
„In zwei Wochen will sie eine neue gefährliche Strecke allein ausprobieren. Erst am Tag und dann schließlich auch nachts. Ich habe dir die Fotokopien ihrer Aufzeichnungen mitgebracht. Da sind mehrere gut geeignete Stellen, um sie mit einem kräftigen Schubser talwärts zu befördern.“
„Klingt immer besser.“
Rudolph fragte sich, ob er seinen Freund unterschätzt hatte. Sein Vorschlag barg wirklich exzellentes Realisierungspotential.
„Bevor wir die Details besprechen, sag mir doch, was dir für mich eingefallen ist. Ich bin sehr gespannt. Fast ein wenig aufgeregt. Also sag es schon. Wie soll ich Schicksal spielen?“, fragte Vitus mit offensichtlicher innerer Anspannung.
„Du wirst mit dem Feuer spielen.“ Er machte eine Kunstpause.
„Ich bin kein Pyrotechniker.“
„Ich dachte eher an einen Feuerschlucker.“, erwiderte er und lächelte mit breitem Mund und blitzenden zusammengekniffenen Augen.
Er spürte, wie sich Vitus‘ anfängliche Verwirrung auflöste. Er schien wirklich in belastbarer Verfassung.
„Nein, es genügt ein kleines Feuerwerk. Du erstehst einen Satz hochwertiger bengalischer Fackeln oder Blitz-Türme. Emma ist eine passionierte Reiterin und Pferdeversteherin. Im Augenblick kümmert sie sich um einen Hengst, der beinahe Opfer eines Stallbrandes geworden wäre. Sie unternimmt aus therapeutischen Gründen zweimal in der Woche einen Ausritt mit dem verängstigten Tier, um es wieder an die Normalität zu gewöhnen. Und es gibt eine wunderschöne, schlecht einsehbare Stelle, wenn das Pferd dort in Panik ausbricht, ist das eine tödliche Falle für die Reiterin. Schon nächste Woche will sie Ausritte ohne Scheuklappen unternehmen.“
Rudolph sah förmlich am Gesichtsausdruck und an Vitus‘ Körpersprache, wie er überlegte, ob er sich das zutraute. „Du musst niemand anfassen und in den Tod stoßen, wie du das von mir verlangst.“
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