Dann war es schon Zeit, die Kinder nach Hause zu bringen. Währenddessen konnte Maries Mutter alles herrichten. Später würde Marie mit ihrem Vater noch zu den Großeltern fahren. Zuerst zu seinen Eltern, dann zu den Eltern ihrer Mutter. Danach musste sie sich zu Hause noch duschen und dann gab es Abendessen, bevor es ans Auspacken der Geschenke ging. Marie war schon sehr unruhig und wollte gar nichts essen. Aber ohne Abendessen würde es keine Geschenke geben. So aß sie wenigstens ein Brot mit Wurst. Danach ging es endlich ins Wohnzimmer, wo der Christbaum stand. Der Vater war schon kurz vorher vom Tisch aufgestanden und hatte die Beleuchtung eingeschaltet. Marie machte große Augen, als sie den beleuchteten Baum sah. Die Sternwerfer hatten sie auch angezündet. Der Vater hatte eine Kassette eingelegt, die ‚Stille Nacht, heilige Nacht‘ spielte. Nachdem das Lied aus und die Sternwerfer abgebrannt waren, durfte Marie die Geschenke auspacken. Zuerst durfte sie die Geschenke von den Großeltern öffnen. Es war ein rosa Auto mit einer blonden Barbie. Es freute sie zwar sehr, aber es war nicht das, was sie wollte. Von den anderen Großeltern bekam sie Ben, den Partner von Barbie, mit seinem Auto. Den stellte sie sofort beiseite, zu Barbie mit ihrem Auto. Von den Eltern bekam sie ein Puppenhaus und ein Barbie Pferd. Es stand vor dem Christbaum unter einer Decke versteckt. Sie freute sich zwar, aber fragte auch sofort:
„Größer gab es das Pferd nicht, damit ich mich daraufsetzen kann?“
„Nein, leider nicht, mein Schatz.“, sagte ihre Mutter.
„Darum war ja dein Vater mit dir im Reitstall und du durftest mit dem Pony reiten. Denn das Christkind konnte leider kein rosa Pony finden.“
Marie war traurig und spielte gedankenverloren mit der Puppe und dem Puppenhaus. Dabei fiel ihr auf, dass hinter dem Haus etwas Rosarotes hervorleuchtete, wenn sie durch die Fenster blickte. Sie sah einmal von links dann von rechts hindurch. Da stand noch etwas. Sie sah zu den Eltern, aber die waren anderweitig beschäftigt. Wieso war dieses Paket noch nicht offen? Wem gehörte es? Marie krabbelte um das Haus und fand dort ein großes rosa Paket. Ganz weit hinten versteckt unter dem Baum. Sie zog an der Verschnürung und zog es langsam nach vorne.
„Mama? Wem gehört das Paket?“
Sie hatten Marie gerade nicht beachtet, da sie sich gegenseitig die Geschenke gaben. Jetzt erst sahen ihre Eltern, was Marie hervorgezogen hatte und sahen sich überrascht an. Denn keiner wusste was von dem Paket. Der Vater stand auf und half ihr, es weiter nach vorne zu ziehen. Er fand eine Karte, darauf stand in schöner Schreibschrift:
In Liebe, Marie! Für Marie!
Die Eltern sahen sich verstört an.
„Ich kann mir ja selbst kein Geschenk schenken“, sagte Marie.
„Nein, das ist deine Tante.“, sagte ihre Mutter mit gedrückter Stimme.
Ihr Vater konnte gar nichts sagen.
Marie sah sie verwirrt an. Ihr Vater musste es ihr erklären.
„Ich hatte eine Schwester, sie hieß Marie, darum haben wir dich nach ihr benannt.“
„Und wo ist diese Tante?“, fragte Marie neugierig und sah zu ihnen hoch.
„Sie ist … sie ist …“
Ihr Vater konnte nicht weitersprechen und drehte sich um. Die Mutter sprach weiter.
„Tante Marie war sehr krank und ist dann ein Engel geworden.“
Zuerst sah Marie ihre Mutter verwundert an, dann fragte sie:
„Mit Flügel und blonden Haaren wie das Christkind?“
„Ja genauso“, sagte sie knapp, die Tränen zurückhaltend.
„Darf ich es trotzdem aufmachen?“
Denn sie konnte nicht wissen, was das für die Eltern bedeutete, insbesondere ihren Vater.
„Ja sicher“, sagte ihre Mutter etwas erleichtert, damit sie nicht weiter nachfragte.
Und Marie riss sofort das Geschenkpapier herunter und das Band, das es hielt. Ihre Mutter ging zu ihrem Vater, um zu sehen, wie es ihm ginge. Als Marie plötzlich schrie, drehten sie sich erschrocken herum:
„Ein Pony, mein Pony, mein rosa Pony!“
Dort stand eine große Schachtel mit einem rosa Pony. Der Vater, noch verstört, musste die Schachtel öffnen und das Pony, ein Schaukelpferd, herausheben. Marie hüpfte vor Freude um den Vater und die Schachtel herum. Als der Vater es auf den Boden gestellt hatte, kletterte Marie darauf und fing an zu schaukeln.
„Hü hott, mein Pferdchen!“, rief sie und schaukelte lustig weiter.
Ihre Eltern sahen ihr zu und wunderten sich, wie das Pferd eigentlich hierherkam. Gabi, Maries Mutter, die Situation erfassend, sagte zu Maries Vater Karl:
„Karl! Mach ein Foto! Das schicken wir den Großeltern und auch die Karte.“
Noch etwas verwirrt griff er sogleich zum Handy und machte einige Fotos. Marie lachte glücklich in die Kamera. Danach eines von der Karte. Das wurde sofort an die Großeltern geschickt. Es dauerte auch nicht lange und sie riefen an. Und wollten natürlich wissen, von woher das Pferd kam und die Karte gab auch ihnen Rätsel auf. Morgen waren alle bei ihnen zum Essen eingeladen. Da wollten sie dann über diese Überraschung sprechen. Sie konnten es immer noch nicht glauben. Maries Eltern setzten sich auf die Couch und sahen ihrer überglücklichen Tochter zu, wie sie schaukelte und:
„Hü hott mein Pferdchen!“, rief.
Wie kam dieses Paket eigentlich hierher. Sie hatten nirgends ein rosa Schaukelpferd gefunden und jetzt saß Marie überglücklich darauf und schaukelte. Sie sahen das Pferd genauer an. Es hatte an der Mähne und am Schweif eine blaue Masche gebunden. So wie es Marie mochte, Tante Marie. Es hatte auch eine blaue Spange vorne im Haar auf dem Kopf. Und es war ihnen, als würde das Schaukelpferd ihnen zuzwinkern.
‚Das konnte es doch nicht geben? Oder?‘
Sie sahen sich verwundert an und redeten später beim Schlafengehen noch lange darüber, wo dieses Paket eigentlich hergekommen sein könnte.
Es gab ihnen allen ein Rätsel auf. Sie sahen noch einmal die Karte an. Es war Tante Maries Handschrift. Aber wie sollte das gehen?
„Jetzt fällt mir gerade etwas ein“, sagte Karl.
„Und was?“, fragte Gabi.
„Als Marie so alt war wie unsere Marie, da wünschte sie sich auch ein Schaukelpferd. Es musste aber nicht rosa sein. Nur einfach ein Schaukelpferd. Aber unsere Eltern konnten sich damals so etwas nicht leisten. Sie waren froh, dass sie uns die Kleidung kaufen konnten, die wir brauchten. Aber sie hatte nie aufgehört, davon zu träumen. Sie zeichnete auch immer wieder ein Schaukelpferd, mal in der einen Farbe, mal in einer anderen Farbe. Aber wie kommt Marie darauf? Mädchen träumen doch von einer Puppe oder einer Prinzessin.“
Sie sprachen noch lange über dieses Ereignis, als sie zu Bett gingen. Marie bestand darauf, dass ihr Schaukelpferd in ihrem Zimmer stehen müsse. Da sie ansonsten nicht schlafen gehen würde, taten sie ihr den Gefallen. Marie schlief auch sofort glücklich ein. In der Nacht stand Maries Mutter auf, weil sie etwas gehört hatte. Aber in Maries Zimmer war alles ruhig und Marie schlief. Sie überlegte kurz und legte sich dann auch wieder ins Bett.
„Hallo Marie! Wie gefällt dir denn dein Geschenk?“, fragte eine Frau die schlafende Marie.
Sie machte die Augen auf und sah eine ihr unbekannte Frau.
„Wer bist du?“, fragte sie schlaftrunken.
„Ich bin deine Tante Marie.“
„Die ein Engel ist?“, fragte Marie gleich hellwach.
„Ja.
„Aber Mama sagte, du hättest blonde Haare und Flügel. Aber du hast braune Haare und braune Augen und keine Flügel!“
„Deine Mama weiß das nicht besser. Die Menschen glauben, dass alle die Engel werden, dann blond sind und Flügel haben. Zum Teil stimmt das auch. Aber damit wir nicht so schnell erkannt werden, verstecken wir unsere Flügel.“
„Also verkleidet ihr euch?“
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