Behandeln Sie ihre Bedienung gut! Motivierte Fachkräfte in der Gastronomie zu finden, wird immer schwieriger. Köche und Kellner, die bereit sind, für ein überschaubares Gehalt einer physisch und psychisch stressigen Profession nachzugehen, sind ein rares Gut. Ein Lächeln hier, ein freundliches „Danke“ dort, fördern die Motivation und machen aus professioneller Höflichkeit vielleicht Herzlichkeit. Versuchen Sie es ruhig einmal. Es ist nicht schwer.
Die 7 Todsünden
Jetzt kommt er uns auch noch mit der Heiligen Schrift, wird der eine oder andere Leser denken. Keine Angst, dazu bin ich nicht bibelfest genug. Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid, Faulheit. Negative Eigenschaften, die wir auch in der Gastronomie wiederfinden – bei Kellnern als auch bei Gästen. Da sich diese Lektüre eher um Restaurantbesucher dreht, beschränke ich mich auf dieses Thema.
Der Hochmut
Einst hatte ich das Glück (oder die Ehre) eine richtige Prinzessin bedienen zu dürfen. Für Kellner, die ihren Dienst in Nobelherbergen verrichten, mag das die gängige Praxis sein, für mich war dies seinerzeit Neuland. Ich war jung und hatte wenig Erfahrung. So war ich mächtig aufgeregt, als mir der Serviceleiter verkündete, ich solle mir zur Abwechslung mal ein frisches Hemd anziehen, heute wäre eine echte Prinzessin bei uns zu Gast.
Das Reserviert-Schild mit Namen und Uhrzeit der erlauchten Persönlichkeit stellte er auf einen Tisch in meiner Servicestation. Wie diese Adelige hieß, habe ich vergessen, das tut auch nichts zur Sache. Als ob ich unterscheiden könne zwischen niedrigem oder hohem Adel, ich hatte ja schon Probleme, beim Laufen nicht hinzufallen. Wie sie wohl aussehen würde, die Prinzessin? Im Brokatkleid gewandet, mit einem Zobelfell-Umhang? Auf dem goldenen Haupthaar ein niedliches Krönchen mit Edelsteinen besetzt? Meine Fantasie ging wieder einmal mit mir durch. Die Noblesse verspätete sich um eine halbe Stunde, was ihr niemand übel nahm. Womöglich hatte ihre Kutsche auf dem Weg zu unserem Lokal einen Platten oder eines der edlen Rösser war gerade etwas widerspenstig und musste vom Kutscher gezüchtigt werden.
Dann stand die fürstliche Person plötzlich in unserem Restaurant und kein Raunen ging durch den Raum, niemand wich ehrfurchtsvoll zur Seite, nicht ein Kniefall war zu sehen. Madame war eine ganz normale junge Frau, nicht einmal eine Schönheit, gekleidet in Bluejeans und weißem T-Shirt. Unser Oberkellner begleitete die Dame zu ihrem Tisch und ich übernahm. „Sooo“ sprach ich mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck „Sie sind also die Prinzessin?“ Sie sah mich an, ohne eine Miene zu verziehen und antwortete: „Yepp, so ist es. Darf ich die Speisekarte bekommen?“ Meine Enttäuschung wechselte sehr bald in Erstaunen, ja Anerkennung. Die Dame von Welt benahm sich so gar nicht weltmännisch oder „von oben herab“, wie ich vermutet hatte. Gut, theoretisch hätte sie es sich leisten können. Ich wäre noch nicht einmal gekränkt gewesen. Stattdessen plauderte die Adelige völlig normal und ungeniert mit mir, bestellte ein einfaches Gericht, ohne irgendwelche Sonderwünsche und verabschiedete sich freundlich von mir. Das Trinkgeld war angemessen und fiel nicht aus dem herkömmlichen Rahmen.
Dieser angenehmen Überraschung sollten im Laufe meiner gastronomischen Karriere viele unangenehme folgen. Ich begegnete Menschen, die glaubten, es sich leisten zu können, andere Leute wie Untergebene zu behandeln. Menschen, die in ihrem Dasein nichts Beifall-zu-Zollendes geleistet hatten, sondern durch irgendeine glückliche Fügung zu Geld gekommen waren. Adelige bezeichnen solche Emporkömmlinge als „Parvenüs“. Genau wie Neureichen haftet den Parvenüs der Makel an, sich hinsichtlich der Umgangsformen und Konventionen, nicht den sogenannten besseren Kreisen anpassen zu können. Wobei meine Erfahrungen eher in die Richtung gehen, dass Altreiche gar nicht so viel Aufheben um ihre Titel oder Honoratioren machen.
Eine Zeit lang war ich als Bedienung bei einem Gourmet-Caterer tätig. Dort bekam ich allerlei Einsichten in die Häuser der feinen Gesellschaft. Die Mitglieder von alteingesessenen Kaufmannsfamilien waren sich nicht zu schade, selbst mit anzupacken, wenn unsere LKWs vorfuhren, um das Equipment auszuladen. Die durch Erbschaften oder Lottogewinne zu Geld gekommenen Auftraggeber schauten durch uns Gastro-Arbeiter hindurch, wie durch eine schmutzige Scheibe und gaben Anweisungen gefälligst nichts kaputtzumachen. Trinkgeld für die geleistete Arbeit war aus deren Kreisen selten zu erwarten. Dafür spielten sie gerne den großen Zampano vor ihren Gästen. Ihre Feste waren Prestige-Angelegenheiten und hatten mit geselligem Zusammensein herzlich wenig zu tun. Krampfhaftes Verhalten der neureichen Gastgeber war steter Begleiter bei all ihren Feierlichkeiten. Alles musste teuer und professionell aussehen, um mit dem Nachbarn, der kürzlich eine Sommer-Party gegeben hatte, gleichzuziehen. Kellner und Köche waren in ihren Augen nur minderwertige Angestellte, die zu funktionieren hatten.
Diese vor allen Augen herumzukommandieren oder herunterzuputzen schien ihnen ein Gefühl von Allmacht zu geben. Am schlimmsten waren die Frauen oder Freundinnen selbsterklärter Millionäre oder Business-Novizen. Man spürte förmlich, welch eine Energie die aufgepimpten Ladys damit verbracht hatten, sich den neureichen Selfmademan zu angeln. Selbst meist aus einfachen Verhältnissen stammend, glaubten sie jetzt das große Los gezogen zu haben. Die Damen gingen förmlich auf in ihrer neuen Rolle als Grand Lady. Ständig wurden wir Kellner im harschen Ton aufgefordert, den Gästen mehr Champagner nachzuschenken oder uns gefälligst mit dem Servieren der Vorspeisen zu beeilen.
Es war immer wieder ein befriedigendes Gefühl, den tiefen Fall der einen oder anderen verblassenden Schönheit zu beobachten. Millionärs-Fantastereien, die zerplatzten wie Seifenblasen, jähe Abstürze mit Konkursen und eidesstattlichen Erklärungen. Chronische Champagner-Konsumenten teilten sich plötzlich eine Piccolo-Flasche Sekt Hausmarke und nahmen das Tagesmenü statt Hummer Thermidor. Nicht, dass sich angesichts solcher Niedergänge warme Genugtuung in unseren frostigen Kellner-Herzen breitgemacht hätte...
Der Geiz
In den unterschiedlichen Zweigen der Dienstleistungen ist es hierzulande üblich, zusätzlich zur eigentlichen Rechnung, einen Obolus für die Angestellten zu hinterlassen. Diese Extra-Gratifikation geschieht auf freiwilliger Basis und hängt im Normalfall, hinsichtlich der Höhe, von der Zufriedenheit des Kunden ab. In Deutschland beträgt das sogenannte Trinkgeld zwischen 5 und 10%, in Schwaben kann es auch schon mal unter die 2%-Hürde fallen. Friseure, Taxifahrer, Lieferdienste und Zusteller bessern sich damit ihr Einkommen auf. Auch Angestellte im Gastgewerbe profitieren gerne von diesem traditionsreichen gesellschaftlichen Konsens. Ist der Beifall am Ende der Aufführung das Brot des Künstlers, so ist das Trinkgeld die Anerkennung für den Service der Bedienung. War der Ober besonders freundlich und aufmerksam? Hat die Serviererin echte Herzlichkeit gezeigt statt professioneller Freundlichkeit? Dann gibt es keinen Grund, deren Leistungen nicht zu honorieren. Sie haben durch ihre charmante Art dazu beigetragen, dass der Abend mit der neuen Freundin ein Erfolg wurde. Das sollte uns ein paar Münzen wert sein.
Wie viele dieser Extra-Groschen der Gast letztendlich bereit ist, zusätzlich zum Rechnungsbetrag drauf zu legen, hängt auch von dessen Natur ab. Herkunft, Erziehung oder persönliche Neigungen spielen dabei eine tragende Rolle. Mitarbeiter der Dienstleistungsbranche, die selbst auf ergänzende Zahlungen angewiesen sind, werden in der Regel ebenfalls großzügig sein.
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