Wir konnten es kaum erwarten, Ihnen diese zweite und erweiterte Auflage unseres „PFC-Brennpunkt Mittelbaden“ zur Verfügung zu stellen. Dieser Brennpunkt ist noch immer das einzige uns bekannte Werk, das die zahlreichen Aspekte der großflächigen und komplexen Kontamination im Landkreis Rastatt und Stadtkreis Baden-Baden mit per- und polyfluorierten Chemikalien (kurz: PFC) überparteilich und unabhängig zusammenfasst.
Nach anhaltender, zum Teil massiver Kritik aus der Öffentlichkeit am Management der örtlich zuständigen Kreisbehörde und der drei involvierten Landesministerien, beschäftigt sich auch der Verein „GFB Baden e.V.“ ab Mitte des Jahres 2016 in einer Arbeitsgruppe mit diesem Thema.
Die PFC-Belastung in der Region betrifft mittlerweile eine Fläche von etwa 486 Hektar und reicht weit zurück bis etwa in das Jahr 2005. Maßnahmen der zuständigen Behörden liefen erst ab dem Jahr 2013 an; bis dahin wurden PFC als Gefahrenquelle von den Behörden in Baden-Württemberg nicht wahrgenommen, entgegen dem Forschungsstand und dem ab 2008 angestiegenen überörtlichen Medieninteresse zu diesem Thema. Inwieweit und wie lange die Bevölkerung unbemerkt mit kontaminierten Trinkwasser oder landwirtschaftlichen Erzeugnissen versorgt wurde, ist bis heute nicht klar.
Das GFB e.V. stellt eine Reihe von Lösungsansätzen vor, die bislang keine Beachtung gefunden haben: beispielsweise den Einsatz zertifizierter Bio-Pflanzenkohle. Hierfür hat der GFB e.V. Anfang April 2017 nach aufwändiger Vorbereitung ein Forschungsprojekt initiiert, an dem inzwischen mehrere Wissenschaftler aus Deutschland und Österreich arbeiten. Schon daran ist abzuleiten, dass etwa mit zertifizierter Pflanzenkohle durchaus gewisse Chancen bestehen, das PFC-Risiko in den kontaminierten Böden zu minimieren. Dennoch wird dieses Projekt, wie auch die Lösungsvorschläge des GFB, weitgehend ignoriert oder von sogenannten PFC-Beauftragten der Kommunen über die örtlichen Printmedien pauschal wie einseitig mit Zweifeln überzogen. Eine öffentliche Erörterung der gegebenen Möglichkeiten oder Chancen findet nicht statt. Neben der Pflanzenkohle stellt das GFB auch andere Lösungsansätze zur Diskussion, beispielsweise die Gründung einer Regionalwert AG und die Einrichtung eines kommunalen Stiftungsfonds.
Eine öffentliche und zugleich offene Diskussion bleibt unabdingbar, auch dann, wenn konstruktive Ansätze und Vorschläge nicht etwa von den Behörden und von Experten in deren Auftrag kommen, sondern aus dem Reservoir von engagierten Bürger*innen. Dieses Reservoir auszuschöpfen, gehört noch nicht zum Repertoire der zuständigen Kreisbehörde.
Das GFB e.V. hält weiterhin an den in diesem Buch veröffentlichten Thesen, Fakten und Schlussfolgerungen fest, denn die Anzahl der Betroffenen ist so unübersehbar wie die anhaltende, allgemeine Ratlosigkeit über die PFC-Schadenssituation in der Region. Betroffene sind zuallererst Landwirte, dann die Kunden der örtlichen Trinkwasserversorger, Konsumenten von landwirtschaftlichen Produkten, Bauherren oder Grundstücksbesitzer. Ihnen allen wie der gesamten Bevölkerung in der Region wollen wir als GFB e.V. mit diesem Buch einerseits eine unabhängige Informationen anbieten und andererseits Interessierte motivieren, sich zum Thema einzubringen.
Wir verfolgen als gemeinnütziger Verein bei aller Kritik an der Kreisbehörde aus der Öffentlichkeit, von örtlichen Parteipolitikern, von Bürgermeistern, von der Kuppenheimer Bürgerinitiative oder gleich mehrfach von der Bundesumweltministerin, in erster Linie das Ziel, über Maßnahmen einer bloßen Schadensbegrenzung hinaus, die noch möglichen Perspektiven aufzuzeigen, vor allem für die Landwirtschaft und Gartenbau-Betriebe.
Allen Leserinnen und Lesern eine aufschlussreiche Lektüre!
Baden-Baden im September 2017
Eduard Meßmer
12 Jahre PFC: Eine Geschichte Mittelbadens
1
Die Region Mittelbaden ist nach bisherigem Kenntnisstand seit ungefähr 2005 von einer großflächigen und komplexen Kontamination von Freiflächen mit per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC) auf etwa 486 Hektar betroffen. Dies wirkt sich bis heute nachhaltig auf das Grundwasser einer ganzen Region aus im Hinblick auf die Verfügbarkeit von sauberen Trinkwasser und die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte. Betroffen sind mehrere Wasserwerke, Privatbrunnen und 90 Landwirtschaften in der Region Rastatt und Baden-Baden.
Am 4. September 2016 fragte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): „Woher kam das Zeug bloß?“. Die FAZ beschrieb die Historie und den aktuellen Stand eines Vorgangs, den Umweltschützer als einen der auf Grund der belasteten Fläche größten Umweltskandale der Bundesrepublik Deutschland bezeichnen. Der Bericht der FAZ rüttelte nicht nur die Bevölkerung in der Region auf, sondern auch die örtlichen Kreisbehörden und die zuständigen Landesministerien.
Bis heute allerdings wehrt sich das baden-württembergische Umweltministerium gegen die Verwendung des Begriffs „Umweltskandal“. Diese Reaktion gibt einen Hinweis auf den Umgang der Ministerien und Behörden mit einem Problem, dessen Anfänge mehr als ein Jahrzehnt zurückreichen und mit dem sich eine ganze Region noch viele Jahre wird auseinandersetzen müssen. Die Vorgehensweise der zuständigen Behörden weist bis in das Jahr 2013 fragwürdige Lücken auf. Diese Lücken führten zu scharfer Kritik von Betroffenen, örtlichen Parteien, Gemeinderäten und (Ober-)Bürgermeistern, zuletzt im August 2017 mehrfach direkt aus dem Mund der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. [1]Die Kritik reichte bis zur Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. [2]
PFC-Land Mittelbaden Foto: E. Meßmer
Woher das Zeug wirklich kam, ist bis heute nicht restlos aufgeklärt und wird wohl unaufgeklärt bleiben. Im Fokus der Behörden befindet sich ein Kompost-Hersteller aus der Region der Kompost mit belasteten Papierfaserabfällen aufbereitete und diesen Kompost an Landwirte verschenkte. Die Berechnungen und Schlussfolgerungen eines Agrarexperten sollen zeigen, dass noch weitere Verursacher und Quellen in Betracht kommen.
Die Staatsanwaltschaft Baden-Baden hat wegen strafrechtlich relevanter Umweltdelikte gegen Unternehmen aus der Papierindustrie und gegen jenen Komposthersteller ermittelt. Die Ermittlungen dauerten etwa drei Jahre, bis es Anfang des Jahres 2017 zur Einstellung der anhängigen Verfahren kam. Als Grund für die Einstellung gab die Staatsanwaltschaft „Verfolgungsverjährung“ und „fehlende Beweise“ an. Die verwaltungsrechtliche Seite, bei der es unter anderem um die Inanspruchnahme von Verursachern geht, bleibt von einer strafrechtlichen Bewertung des Sachverhalts unberührt.
1 Badische Neueste Nachrichten, 21.07.17, Kontakt vom Land zum Bund bleibt vorerst aus; Acher- und Bühler Bote, Yburg-Rundschau, 22.07.2017, Lösung für PFC-Probleme ist noch nicht in Sicht, S. 27. ↵ Bis heute allerdings wehrt sich das baden-württembergische Umweltministerium gegen die Verwendung des Begriffs „Umweltskandal“. Diese Reaktion gibt einen Hinweis auf den Umgang der Ministerien und Behörden mit einem Problem, dessen Anfänge mehr als ein Jahrzehnt zurückreichen und mit dem sich eine ganze Region noch viele Jahre wird auseinandersetzen müssen. Die Vorgehensweise der zuständigen Behörden weist bis in das Jahr 2013 fragwürdige Lücken auf. Diese Lücken führten zu scharfer Kritik von Betroffenen, örtlichen Parteien, Gemeinderäten und (Ober-)Bürgermeistern, zuletzt im August 2017 mehrfach direkt aus dem Mund der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks.
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