[1] Die Kritik reichte bis zur Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. [2] PFC-Land Mittelbaden Foto: E. Meßmer Woher das Zeug wirklich kam, ist bis heute nicht restlos aufgeklärt und wird wohl unaufgeklärt bleiben. Im Fokus der Behörden befindet sich ein Kompost-Hersteller aus der Region der Kompost mit belasteten Papierfaserabfällen aufbereitete und diesen Kompost an Landwirte verschenkte. Die Berechnungen und Schlussfolgerungen eines Agrarexperten sollen zeigen, dass noch weitere Verursacher und Quellen in Betracht kommen. Die Staatsanwaltschaft Baden-Baden hat wegen strafrechtlich relevanter Umweltdelikte gegen Unternehmen aus der Papierindustrie und gegen jenen Komposthersteller ermittelt. Die Ermittlungen dauerten etwa drei Jahre, bis es Anfang des Jahres 2017 zur Einstellung der anhängigen Verfahren kam. Als Grund für die Einstellung gab die Staatsanwaltschaft „Verfolgungsverjährung“ und „fehlende Beweise“ an. Die verwaltungsrechtliche Seite, bei der es unter anderem um die Inanspruchnahme von Verursachern geht, bleibt von einer strafrechtlichen Bewertung des Sachverhalts unberührt. 1 Badische Neueste Nachrichten, 21.07.17, Kontakt vom Land zum Bund bleibt vorerst aus; Acher- und Bühler Bote, Yburg-Rundschau, 22.07.2017, Lösung für PFC-Probleme ist noch nicht in Sicht, S. 27. ↵ 2 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 4. September 2016, Artikel: "Woher kam das Zeug bloß?", http://www.faz.net/aktuell/wissen/umweltskandal-woher-kam-das-zeug-bloss-14418841.html ↵
2 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 4. September 2016, Artikel: "Woher kam das Zeug bloß?",
http://www.faz.net/aktuell/wissen/umweltskandal-woher-kam-das-zeug-bloss-14418841.html
↵ Bis heute allerdings wehrt sich das baden-württembergische Umweltministerium gegen die Verwendung des Begriffs „Umweltskandal“. Diese Reaktion gibt einen Hinweis auf den Umgang der Ministerien und Behörden mit einem Problem, dessen Anfänge mehr als ein Jahrzehnt zurückreichen und mit dem sich eine ganze Region noch viele Jahre wird auseinandersetzen müssen. Die Vorgehensweise der zuständigen Behörden weist bis in das Jahr 2013 fragwürdige Lücken auf. Diese Lücken führten zu scharfer Kritik von Betroffenen, örtlichen Parteien, Gemeinderäten und (Ober-)Bürgermeistern, zuletzt im August 2017 mehrfach direkt aus dem Mund der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. [1] Die Kritik reichte bis zur Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. [2] PFC-Land Mittelbaden Foto: E. Meßmer Woher das Zeug wirklich kam, ist bis heute nicht restlos aufgeklärt und wird wohl unaufgeklärt bleiben. Im Fokus der Behörden befindet sich ein Kompost-Hersteller aus der Region der Kompost mit belasteten Papierfaserabfällen aufbereitete und diesen Kompost an Landwirte verschenkte. Die Berechnungen und Schlussfolgerungen eines Agrarexperten sollen zeigen, dass noch weitere Verursacher und Quellen in Betracht kommen. Die Staatsanwaltschaft Baden-Baden hat wegen strafrechtlich relevanter Umweltdelikte gegen Unternehmen aus der Papierindustrie und gegen jenen Komposthersteller ermittelt. Die Ermittlungen dauerten etwa drei Jahre, bis es Anfang des Jahres 2017 zur Einstellung der anhängigen Verfahren kam. Als Grund für die Einstellung gab die Staatsanwaltschaft „Verfolgungsverjährung“ und „fehlende Beweise“ an. Die verwaltungsrechtliche Seite, bei der es unter anderem um die Inanspruchnahme von Verursachern geht, bleibt von einer strafrechtlichen Bewertung des Sachverhalts unberührt. 1 Badische Neueste Nachrichten, 21.07.17, Kontakt vom Land zum Bund bleibt vorerst aus; Acher- und Bühler Bote, Yburg-Rundschau, 22.07.2017, Lösung für PFC-Probleme ist noch nicht in Sicht, S. 27. ↵ 2 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 4. September 2016, Artikel: "Woher kam das Zeug bloß?", http://www.faz.net/aktuell/wissen/umweltskandal-woher-kam-das-zeug-bloss-14418841.html ↵
Wie das Kind in die Brunnen fiel
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Kreisbehörden und Landesministerien sehen sich durch örtliche politische Parteien und durch betroffene Kommunen Vorwürfen der Verschleppung und Untätigkeit ausgesetzt. Lange sei nichts unternommen worden, obwohl der zuständigen Kreisbehörde spätestens seit 2008 bekannt war, dass von einem Komposthersteller unzulässig belastete Papierfaserabfälle abgegeben worden waren. Landwirte bewirtschafteten unwissentlich ihre Parzellen, die mit kontaminierten Kompost verunreinigt waren oder beregneten unbelastete Ackerflächen mit dem Wasser aus ihren PFC-kontaminierten Privatbrunnen. Die ersten systematischen Untersuchungen zur Feststellung von schädlichen Bodenveränderungen, der Grundwasser- und Trinkwasserbelastung infolge PFC, liefen im Jahre 2013 an, obwohl das sprichwörtliche Kind zu diesem Zeitpunkt schon Jahre vorher in die Brunnen gefallen war. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die PFC über das Grundwasser längst in den Wasserwerken und privaten Brunnen der Region angekommen. Nun erst kam es zur Stilllegung von Wasserwerken, zum Einbau zusätzlicher Reinigungs- und Filteranlagen bei den Wasserversorgern, zur Außerbetriebnahme einzelner Brunnen, zur Erschließung neuer Brunnen, zum Grundwasser-Monitoring, zu einer Überprüfung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Vorernte-Monitoring) und zu Vorschlägen, Verbundlösungen für die Wasserversorgung aufzubauen. Nun erst wurden Forschungsvorhaben in Auftrag gegeben und viele weitere Maßnahmen ergriffen. Der Vorschlag eines örtlichen Bürgermeisters, Brunnengalerien zu bauen, die PFC-belastetes Grundwasser auffangen sollen, ließ sich nicht mehr umsetzen, weil sich die Chemikalien zu diesem Zeitpunkt über Grundwasserfahnen bereits zu weit verbreitet hatten. Hat es zu lange gedauert, bis die Behörden angemessen auf vorliegende Erkenntnisse und die nahe liegende PFC-Umweltbelastung in der Region reagiert haben?
Ein rechtzeitiges Erkennen der Problemlage war durch den Organisationsaufbau der Behörden selbst erschwert. Die Behörden sind in ihrer Aufbau- und Ablauforganisation darauf ausgerichtet, auftretende Schadensereignisse zu antizipieren und zu bewältigen. Im vorliegenden Falle jedoch ist die Komplexität und das großflächige Ausmaß des mittelbadischen PFC-Schadensereignisses auf eine Vielzahl von unterschiedlichen kommunalen Gebietskörperschaften, staatlichen Ressorts und Zuständigkeiten, Ministerien und Behörden verteilt, wie letztlich auch auf verschiedenste Forschungsgebiete und Forschungseinrichtungen. Neben Fragen die Bodenschutz, Wasser und Landwirtschaft tangieren, sind eine Vielzahl von anderen betroffenen Themenbereichen betroffen, wie zum Beispiel Gesundheit, Natur- und Artenschutz, Deponiefragen, Abfall- und Baurecht. Es liegt auf der Hand, dass die Besonderheit einer in dieser Form nie dagewesenen Schadenslage das Erkennen der Problemlage und erforderliche Aktivitäten nicht unbedingt förderte.
Bei kritischen Fragen berufen sich Landesministerien und Behörden immer wieder auf nicht existierende gesetzliche Grenzwerte. So beispielsweise Umweltminister Franz UNTERSTELLER am 16.09.2016 gegenüber „goodnews4 Baden-Baden“. Gleichlautend auch die örtlichen Kreisbehörden: Keine Grenzwerte für PFC in der Trinkwasserverordnung, keine Schwellenwerte in der Grundwasserverordnung und keine Sickerwasserprüfwerte in der Bundesbodenschutzverordnung. [1]Die Beurteilung des Trinkwassers erfolgt nach dem Konzept für gesundheitliche Orientierungswerte (GOW-Konzept) der Trinkwasserkommission PFC. Eine Beurteilung von Grundwasserverunreinigungen erfolgt nach vorläufigen Geringfügigkeitsschwellenwerten (GFS-Werte), abgeleitet in Anlehnung an das GOW-Konzept der Landesanstalt Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) und eingeführt per Erlass des Umweltministeriums Baden-Württemberg vom 17. Juni 2016.
Es mag dem Wortlaut nach zutreffen, dass bundesweit keine Grenzwerte für PFC vorliegen, dass bei der Belastung des Wassers mit PFC noch vieles unerforscht und mit gesetzlichen Grenzwerten erst im Jahr 2017 zu rechnen ist. [2]Dies könnte vordergründig zu der Annahme führen, dass für das Land Baden-Württemberg ohne gesetzliche Grundlage keine Handlungsmöglichkeiten gegeben waren. Diesen Aussagen steht gegenüber, dass das Umweltbundesamt Fluorchemikalien (PFOS und PFOA) schon lange als „besonders besorgniserregend“ bewertet. Bereits mit der Düngemittelverordnung vom 16. Dezember 2008 wurde erstmals eine Kennzeichnungsschwelle und ein Grenzwert für perfluorierte Tenside (PFT) eingeführt. [3]Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu PFC führten zu einer entsprechenden Berücksichtigung bei Novellierung der Bioabfallverordnung (BioAbfV) 2013. [4]
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