Er war mit seinen 25 Jahren ein einsamer, zorniger junger Mann, als er Dymast traf und sich in dessen Tochter verliebte, in ihren Jähzorn, der seinem Zorn ähnelte, den er aber zu zügeln vermochte, sich verliebte in ihre durchschimmernde, gläserne Zerbrechlichkeit, sich verliebte, schmerzlich spürte, dass diese Liebe nicht erwidert wurde - und sie in sich einmauerte und aus ihr eine Schwesternliebe machte und ihr Leibwächter wurde, weil er sie sein Lebtag lang beschützen wollte und er nun mit der Liebe abgeschlossen hatte.
Er fand ein wenig Trost und Zerstreuung in Intermezzi mit wohlgestalten Vampirinnen aller Couleur, die ihm aber bald fad wurden. Er war nun ihr Leibwächter und er würde es bleiben, bis zu seinem Tod.
Gerade heute, noch bevor Arana wach war, hatte er, durch einen Seiteneingang eingelassen, die Kontrollen im Hochsicherheitstrakt der Sonderabteilung des Zentrallabors über sich ergehen lassen, stoisch wie immer - austariertes Gegengewicht zu den cholerischen Ausfällen seiner Schutzbefohlenen -, hatte von einem weiß bekittelten Laboranten das Fläschchen mit dem Mittel in Empfang genommen und war zurückgekehrt in die Sporthalle. Wo er sie fand, eine 300 Kilogramm schwere Langhantel stemmend. Ferne Gerüchte kursierten, raschelnd wie sachter Wind im herab gefallenen Laub, die sprachen von den Folgen einer verbotenen genetischen Manipulation an der Tochter des Dynasten, von einer mysteriösen Krankheit vor sechs Jahren. Doch niemand, so schien es, wusste genaueres.
Demasiado
Zu viel
Demasiado
Zu viel Herz
Demasiado corazón
Cora –
Seine Faust donnerte auf den Tisch.
cora
Kawumm, dachte Snyder.
zón
Seine Bartkoteletten bebten. Er grunzte. Sein Kinn stieß nach vorne wie eine Schweinsschnauze. Der General zog eine ziemliche Show ab, fand Snyder. Der autoritäre Vorgesetzte. Eine gelungene Vorstellung.
Nestor blickte neutral und grimmig.
Gleich bellt er, dachte Nestor.
„Festnageln!“, bellte Vlad. „Festnageln!“
Ein Riesenschnauzer, dachte Rahil unbeeindruckt.
She's a super freak, super freak.
Snyder ließ die Vorstellung kalt, sie summte.
She's super-freaky, yow
Super freak, super freak
She's a very special girl
Das rote Mädchen schnippte unwillkürlich mit den Fingern. Vlad riss den Kopf herum, sah sie böse an, ein Krächzen verreckte in seiner Gurgel. Rahrah, dachte Nestor, rahrahrah-Rabe, und blickte Rahil an.
Der General sah ein, dass sein Zorn hier vergeudet war. Er gab auf.
Damit war der Vortrag beendet.
Fast ein Seufzen. „Festnageln.“
Nestor nickte.
„Festnageln.“
Snyder nickte. „Jawohl, Sir!“
Rahil nickte nicht.
„Verdammte Bande!“, dachte Vlad. Er sagte: „Gut. Und wehe einer nickt!“
„Ich habe nicht genickt.“
Er sah auf den grellgelben Lidschatten. Er bekam Kopfschmerzen. Verdammte Zodiaks!
„Raus jetzt.“
Rahil sagte: „Yes, Sir!“
„I can boogie“, ergänzte Snyder.
„Raus!“
Nestor nickte nicht.
„Raus jetzt! Alle! Sofort!“
Der General keuchte, er war kurz vorm Kotzen.
„Raus!“
Das war mal sicher: General Vlad wollte die Täter so schnell wie möglich festgenagelt sehen, am besten am Kreuz.
Das hatte er Nestor, der ihn im Geiste schon einen Hammer schwingen sah, unmissverständlich zu verstehen gegeben. Im Visier waren die Sonnenkrieger oder besser der militärische Flügel, diejenigen, die sich ins E-Programm der Zuchtfarmen hineingehackt hatten.
„Raus jetzt!“
Der General vermutete einen Zusammenhang zwischen den Morden und dem Piratensender-Angriff.
Snyder, Rahil und Nestor waren sich dessen nicht so sicher. Zumindest hatten sie noch keine eindeutigen Beweise für einen Zusammenhang finden können. Sie waren sich noch nicht einmal sicher, ob Dymast und die beiden jungen Vampire, Sandor und William, vom selben Täterkreis umgebracht worden waren.
„Alle!“
Im Fall der jungen Vampire deutete es auf die Sonnenkrieger, sie verfügten über diese Art veralteter Terminierungs-Waffen. Aber die Waffen im Mordfall Dymast waren auf der Basis von Black-Laser-Technologie entwickelt worden. Im Prinzip den älteren Gewehren nachempfunden, die Silbermoleküle bündelten und diese nach Art einer mikroskopischen Lenkrakete durch die Venen feuerten, um sie sich über der linken Herzkammer vereinigen und dort explodieren zu lassen. Das war das Grundprinzip. Es entsprach dem Dreier-Schlag, drei parallel abgefeuerte Geschosse mussten sich über dem Herzen treffen.
„Raus jetzt! Alle! Sofort!“
Die Fingernägel, viel zu lang, rubinrot, spitz zugefeilt.
Super Freak
Wie schaffte sie es nur, nicht an den Fingernägel zu kauen?
She's a very kinky girl
Snyder klackerte mit den Nägeln in nervtötendem Rhythmus auf die Tischplatte. (Nestor beutelte ein erneuter Anflug von Kopfschmerz.)
The kind you don't take home to mother (Rick James „Super Freak“)
Sie erklärte es Rahil.
„Also. Es basiert auf dem antiquierten Lenkraketen-Prinzip. Das Projektil, in diesem Fall die Bündelung der komprimierten Silbermoleküle über dem steuernden Kernimpuls, die wir uns als Geschoss vorstellen können, der Einfachheit halber, saust durch die Venen. So weit so gut. Jetzt stellen wir uns drei davon vor. Nummer eins nimmt den Weg über die Augennerven, Nummer zwei zackt sich wie ein Blitz durch das Hirn. Das Hirn verdampft, die Augen glühen aus. Nummer drei schlängelt sich zum Herzen, um dort die beiden anderen Kollegen Silberpfeile zu treffen. Perdu. Finis. Aus. Ende. Vorbei. Torro muerto. L’ultimo Tango. Shi, shibo… “
„Ist ja gut“, knurrte Nestor.
Snyder nahm ihre Brille ab. Heute trug sie ein besonders apartes Exemplar aus ihrer umfangreichen Sammlung. Die Gläser von roten Herzen umrahmt. Ziemlich ‚überkandidelt’, dachte Nestor, ein weiteres neues Wort, das er bei seinen Streifzügen durch die antiquarischen Umgangssprachen gefunden hatte. Aber eigentlich meinte er ‚affig’, das Wort kannte er schon länger. Er riss sich vom Anblick der Brille los.
Snyder fuhr fort: „Das sind drei Wege, die dazu noch unterschiedlich lang sind. Ein echtes Navigationsproblem, nicht war, Kapitän?“
Sie grinste.
Der Kapitän nickte mürrisch.
„Wie funktioniert das?“, fragte Rahil.
„Sie kommunizieren miteinander. Sie ändern ihre Geschwindigkeiten und passen sich an. Sie synchronisieren sich. Nummer drei dient als eine Art Kommunikationsbasis. Sie nimmt aller drei Daten auf, verarbeitet sie und gibt die Impulse an die anderen beiden weiter, so dass sie sich auf eine Nanosekunde genau über der linken Herzkammer treffen und aus dem Aufprall die Energie für die vollständige Vernichtung des Herzens produzieren.“
„Das ist nun also die neueste Technologie“, rekapitulierte Rahil. „Was ist der Unterschied zu den Waffen im Fall Dymast?“
„Die neuesten sind nicht nur schneller und präziser, sie funktionieren auch mit peripheren Treffern.“
„Das heißt?“
„Zwei Treffer und ein Streifschuss reichen aus. Und - perdu!“ Snyder atmete tief ein, um zu einer neuen Todes-Wort-Kanonade anzusetzen.
„Danke!“, bellte Nestor und wandte den Kopf Rahil zu. „Sie basieren aber beide auf der Black-Laser-Technologie.“
„Theoretisch“, Snyder schnippte mit dem Zeigefinger dreimal hintereinander in die offene Handfläche. „Theoretisch langen eine Waffe und ein Schütze, der drei Schüsse kurz nacheinander abfeuert. Sie synchronisieren sich von selbst und zwar innerhalb unserer guten, alten Nanosekunde. Einerseits sind sie erheblich schneller als die alte Technologie, andererseits verzögern sie effektiver und gelangen immer zur Synchronisierung.“
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