Snyder machte einen quietschenden Kussmund. „Qui, qui, qui, Nessie, mon cher!“
Nestor grinste die rote Gestalt an. „Und sie hat - wie offensichtlich ist - einen ebenso durchgeknallten Geschmack wie Sie, Rahil.“
„Und wer ist sie? Rahil?“ Snyder deutete mit quietsch-rot lackiertem Daumen auf Rahil.
„Meine neue Assistentin.“
„Aber du hattest noch nie eine Assistentin.“
„Ok.“ Nestor seufzte. „Meine erste neue Assistentin.“
„Deine erste Assistentin überhaupt.“
Nestor kapitulierte.
„Ist sie aus der Prototyp-Reihe?“
Nestor nickt unmerklich. „Sie ist der weitest entwickelte Zodiak, der zurzeit existiert.“
„Oh, dann sind Sie ja so etwas wie er, anscheinend. Synthetisch - biosynthetisch. Also unecht.“ Sie kicherte. „Ein genetischer Klops mit Gefühlen.“
„Yes, Miss Snyder. Ein Klops, genauso wie ich - nur vielleicht etwas ansehnlicher“, sagte Nestor.
„Erheblich ansehnlicher!“, konstatierte Snyder.
Nestor kapitulierte erneut. „Erheblich.“
Irgendwie schoss ihm der Ausdruck ‚adipös’ durch den Kopf, er schüttelte selbigen, den Kopf nicht den Ausdruck.
Die Mädchen sahen sich an, maßen sich mit Blicken.
„Sie könnte dir im Handumdrehen den Hals brechen und es würde ihre Pulsfrequenz nicht um eine Schlagzahl erhöhen. Also bleib friedlich, Snyder!“
Snyders Zunge schnellte vor, schnellte zurück, dann bearbeiteten ihre schmalen, weißen Mäusezähne ihre Unterlippe wie ein Karnickel eine Mohrrübe. Ihr Mund gefror zu einer skurrilen Grimasse, sie streckte ihre Hand aus und hielt sie Rahil hin: „Ok, sorry für den ‚genetischen Klops’. Manchmal ist meine Zunge schneller als mein Verstand. (Dem konnte Nestor nur zustimmen.) Neuanfang. Ich bin Snyder.“
Rahil nahm ihre Hand. „Rahil.“ Sie musterte das seltsame rote Mädchen. „Schrilles Tanktop.“
„Ist so was Ähnliches wie Seide, deshalb glänzt es so schön, nur synthetisch, also - äh - pardon! äh - äh - äh.“
„Macht nichts.“
„Ihre Kombi ist auch ziemlich schrill, passt gut zu den Haaren.“
„Danke.“
„Sagen wir du zueinander.“
Snyder reichte ihr erneut die Hand, weihevoll wie um einen Pakt zu besiegeln. Rahil nahm sie.
„Ok, also du.“
„Du.“
Nestor schüttelte ungläubig den Kopf.
„Den alten Nessie duze ich ja auch, der ist ganz nett soweit, obwohl er alt ist, nicht richtig alt, weißt du, sieht nur so aus, ist eigentlich ein Sechsjähriger.“
Snyder kicherte. Sie duzte Nestor, seit einem - für Nestor - desaströs endenden, nächtlichen Ausflug in einen der Clubs auf der Amüsiermeile, bei dem Snyder ihm bewies, dass Zodiaks der fortschrittlichsten Bauart eines nicht besser konnten als Menschen, nämlich Alkohol trinken.
„Du trägst nur rot?“
„Nur rot! Und du nur gelb?“
„Nur gelb.“ Rahil grinste Nestor an. „Krasser Lidschatten.“
‚Schrill’ und ‚krass’, fehlten nur noch ‚geil’ und ‚fett’. Mottenkiste der Teenager-Sprache längst vergangener Zeiten. Nestor hasste solche Ausdrücke, er schüttelte den Kopf. Sein Darm begann Geräusche zu machen.
„Du meinst in Gelb? Ich weiß nicht. Gelb steht dir übrigens sehr geil, weißt du.“
Nestor zuckte zusammen wie ein Ochse unter der Knute: Touché!
„Weiß ich.“
„Und der Nagellack, echt -“.
„Fett“, bellte Nestor. „Ende der Kosmetikstunde!“
Die Mädchen ruckten synchron mit ihren Köpfen in seine Richtung, er vermeinte die Spur eines Vorwurfs in ihren Blicken zu lesen.
„Schön, dass Sie sich so gut einleben, Rahil!“
Er stand abrupt auf. Griesgram um Mund und Augen.
„Gehen wir an die Arbeit!“
Snyder ignorierte ihren ‚Chef’, grinste, klimperte mit roten Fingernägeln durch die Luft. „Den Nagellack gibt es auf alle Fälle auch in Gelb.“
Rahil grinste. „Danke, gut zu wissen.“
Griesgram wurde ernst.
„Die Sonnenkrieger haben sich in die Ultramonitore der Zuchtfarm reingehackt. Sie haben die dort befindlichen Menschen zur Flucht und zur Sabotage aufgerufen. General Vlad verlangt Aufklärung. Snyder?“
Das rote Mädchen strich sich den Pony ihrer roten, schulterlangen Haare aus dem Gesicht, ihr Grinsen war verschwunden, sie referierte in kühl-sachlichem Tonfall: „Das Gesamtsystem verfügt über drei überlappende Firewalls. Die sind extrem schwer zu knacken, wenn überhaupt dann nur von mir und nicht von einer Horde Urwaldbewohner. Der Angriff auf den Monitor muss lokal erfolgt sein, das heißt das Signal kann nur direkt auf den Monitor - Solche Monitore verfügen lediglich über eine Standard-Firewall. - gespielt worden sein, das heißt die Sonnenkrieger waren vor Ort, um ihre Botschaft auf das Bild zu funken. Und: Diese Mini-Sender haben nur eine Reichweite von 800 bis 1000 Metern.“
„Also?“, fragte Nestor.
„Also“, Snyder lächelte nicht, „nichts weiter, als dass sie über mobile Sendestationen mit Crack-Software verfügen. Das ist alles. Das kannst du Fettmops Vlad rapportieren!“
„Was kannst du dagegen unternehmen, Snyder?“
„Ich schreibe ein kleines, kompaktes Abschirmprogramm. Das müssen sie dann den Receivern der einzelnen UMs vorschalten. Damit müsste das Problem für die Zukunft behoben sein.“
„Und wann machst du das?“
„Nachher. Die Jungs von der Systemkontrolle können es morgen aus ihrer Top-Secret-Mailbox abrufen. Ich wer-“.
Snyders Stimme brach abrupt ab, ihr Kopf klappte zur Seite, wie der einer Marionette, schlenkerte ein wenig nach, als wäre ihr Hals aus Gummi. Ihr Blick wurde glasig, sie sah irgendwohin, wo niemand sonst hinsehen konnte. Es dauerte nur einen Augenblick, abrupt klappte sie den Kopf wieder hoch, schüttelte ihn kurz, wandte sich an Rahil und fragte übergangslos: „Gehen wir mal zusammen tanzen? Oder nicht mal. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen, weißt du? Gehen wir doch heute aus.“
Ihre Stimme kiekste.
„Jetzt. Heute. Jetzt.“ Jumping Jack Flash. Sie stand auf, ihr Oberkörper schwang nach. „Gehen wir? Gehen wir?“ Ihre Stimme klang eine Spur zu manisch. „Was meinst du? Gehen wir? Weißt du, wir…“ Ihre Stimme brach, war jetzt nur noch ein Hauch, sie sah zu Boden, sie bat sehr leise: „Gehen wir?“
Nestor sagte sehr leise: „Snyder.“
„Ja“, sagte Snyder, sie hob den Blick.
Rahil sah sie ruhig an, als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen, als geschähe gerade nichts Erwähnenswertes.
„Geh ruhig“, sagte Nestor, seine Stimme war immer noch gedämpft. Er sah Rahil an, nickte ihr unmerklich zu, und sie verstand, dass sie etwas sagen sollte.
„Darfst du denn in die Clubs?“, fragte Rahil
Nestors Tonfall klang munter. „Unser rotes Inferno darf alles - fast alles.“
„Ja“, sagte Snyder. „Fast alles.“
Rahil blickte Nestor an, er sah plötzlich alt und traurig aus, dachte sie. Rahil versuchte ein Schmollen. „Und ich? Darf ich auch alles?“
Der Schmollmund gelang ihr nicht ganz, sie verzog zwar die Lippen, aber es sah sehr bizarr und sehr gelb aus, was sich in ihrem Gesicht abspielte.
„Sie dürfen in die Clubs, Rahil, falls Sie das meinen.“
Snyder ruckte mit dem Kopf. „Was hast du nur gegen mein Faible für rot, alter Nessie? Rot ist die Farbe der Liebe, weißt du?“
Sie grinste schief.
Nestor lächelte, dann grunzte er: „Du bist ein Farbschock für mich, für jeden, der Augen hat zu sehen. Ihr alle beide zusammen seid ein doppelter Farbschock.“
„Kaum zu ertragen, nicht wahr?“
„Genau“, sagte Nestor.
Rahil grinste ein Grinsen, was nicht recht gelingen wollte. „Also, ich finde es ausgesprochen ansprechend.“
„Ausgesprochen ansprechend.“ Snyder kicherte.
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