Thomas Brezina:
Liebesbrief an Unbekannt
Alle Rechte vorbehalten
© 2019 edition a, Wien
www.edition-a.at
Cover und Satz: Isabella Starowicz
Lettering: Typejockeys
ISBN 978-3-99001-366-3
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
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Für Carmen und ihre liebevolle Weisheit
Lieber Wer-immer-du-bist,
hier schreibt dir Emma, deine zukünftige Traumfrau, die allerdings derzeit eine Alptraumfrau ist.
Eigentlich sollte ein so hoffnungsloser Mensch wie ich alle Hoffnung aufgegeben haben, aber irgendwas in mir schreit: Tu es nicht, tu es nicht.
Warnung: Ich bin die totale Versagerin und habe in den vergangenen drei Jahren meines Lebens so ziemlich alles verhaut, was ich nur verhauen konnte.
Ich sehe weder großartig aus, noch kann ich irgendetwas besonders gut (außer die falschen Männer wählen). Aber meine neue Freundin Patricia hat mir geraten, meinem zukünftigen Traummann Briefe zu schreiben, auch wenn ich nicht den Schimmer einer Idee habe, wer du sein könntest.
So sitze ich, Katastrophen-Frau Emma, an meinem Schreibtisch, der nicht einmal mir gehört. Ich schreibe mit dem Füller, den ich mir heute geleistet habe (obwohl ich eigentlich kein Geld dafür habe), und bei jedem Wort denke ich mir, du musst mich für völlig verrückt halten, weil ich das tue.
Je länger ich schreibe desto mehr spüre ich aber, dass es so vieles gäbe, was ich dir erzählen möchte. Natürlich ist das einfach Wahnsinn, denn wie gesagt bin ich dir noch nie begegnet, und normale Menschen erzählen nicht einfach in die Luft hinein irgendwelche Geschichten aus ihrem Leben.
Aber als normal kann man mich ohnehin nicht bezeichnen. Das hängt aber nicht mit den unfassbaren Fehlern zusammen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe. Mein Wahnsinn hat damit zu tun, dass ich noch immer daran glaube, dass es Männer mit Herz, Hirn und Verstand gibt, die ehrlich und aufrichtig sind. Männer, die mich nicht ausnehmen oder ausnützen, mit denen ich offen reden und herzlich lachen kann.
Männer, die zärtlich sind und mich einfach nur im Arm halten, wenn ich mich danach sehne, und die sogar bereit sind, Schwäche zuzugeben und sich an mich anlehnen.
Männer, die beste Freunde sein können.
Männer, die mich wollen, aber nicht brauchen und nicht an mir hängen wie tonnenschwere Kletten.
Ich bin so völlig geisteskrank, daran auch weiterhin zu glauben, dass es diese Kategorie von Männern gibt. Für mich selbst bräuchte ich nur ein einziges Exemplar davon, und das sollst du sein, an den ich diesen Brief schreibe.
Obwohl ich keine Ahnung habe, wo du bist und wie es dir geht. Aber natürlich müsstest du auch wollen und vor allem – das ist der größte Haken an der Sache – müssten wir uns begegnen. Damit das möglich wird, schreibe ich dir. Patricia behauptet, es wäre möglich, auf diese Weise den Herzmann zu finden, ihn »ins Leben zu ziehen«, wie sie das nennt.
Allerdings raucht Patricia auch etwas, das mehr high macht als Marihuana und verdient ihr Geld mit Wahrsagen. (Sie muss erfolgreich sein, weil sie regelmäßig für einen Fernsehsender den Ausgang von Wahlen vorhersagt und in fast allen Fällen Recht behalten hat.)
Das hier ist mein erster Brief an dich, mein erster Versuch, und ich fürchte, er scheitert so kläglich, wie die gefühlten 50 anderen Briefe, die ich schon begonnen habe…
Zerknüllt landete auch dieser Brief im übervollen Papierkorb und fiel zu Boden, der mit weiteren Papierbällen übersät war. Emma beschloss für diesen Abend aufzugeben. Seit fast einer Woche versuchte sie, diese völlig verrückten Briefe zu schreiben, aber sie hatte noch keinen fertig bekommen. Nie war sie ganz zufrieden.
War sie schon so verzweifelt und fertig, dass sie solche Tricks nötig hatte?
Sie streckte die Arme und den Rücken und blickte durch die große Scheibe des Erkers in die Nacht hinaus. Der leicht orangegelbe Schein der Straßenlampen fiel auf die zerkratzte Holzplatte, die direkt in den Erker eingebaut war. Emma machte die Füllfeder zu und beschloss, noch einen Spaziergang zu machen. Sie brauchte frische Luft.
In der Diele nahm sie ihre Jacke vom Haken, schlüpfte hinein und trat aus der Haustür in den langen Windfang. Er machte hier in Brighton und so nahe am Meer an manchen Tagen seinem Namen alle Ehre. Sie schritt nach vor zu den vier Stufen, die hinunter zur Straße führten.
Durch die Dunkelheit kam das Geräusch des Rollens der Wellen vom nahen Strand, und in der Luft lag der Geruch von Tang und Salz.
Sofort meldete sich die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf: »Emma, Salz kann man nicht riechen.«
Egal. Die Luft hier in Brighton war so herrlich anders. Für Emma roch sie nach Freiheit und Weite, und tief in ihr war da die leise Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Blöde Idee, das mit den Briefen an den zukünftigen Traummann, dachte Emma, sauer auf sich selbst. Sie hätte die Zeit besser nützen können als mit dem Schreiben von Briefen, die sie ohnehin alle weggeworfen hatte.
Besser nützen. Aber wie eigentlich? Mit Putzen? Oder Saugen? Oder Lernen, wie man ein echtes Englisches Frühstück zubereitet, ohne Toast und Eier anbrennen zu lassen? Oder vielleicht sollte sie trainieren, die Betten der Gästezimmer schneller zu machen und die Decke wirklich glatt zu streichen. Der einzige Gast an diesem Wochenende hatte bei der Abreise spitz bemerkt, dass sein Bett am Abend ausgesehen hätte, als hätte schon jemand darin gelegen.
Allerdings war er ein Mann der Sorte, die nur glücklich sind, wenn sie an allem herumnörgeln können. Auf solche Typen konnte Emma wirklich verzichten.
Einen Mann, einen echten, liebenswerten Mann wie durch Magie ins Leben ziehen, wie sollte so etwas möglich sein? Wenn nirgendwo dort draußen einer lebte, der an ihr interessiert war? Wenn es nur Psychos gab, von denen sie wirklich die Nase voll hatte?
»Vergiss es einfach«, sagte sie sich. »Vergiss es und lebe jeden Tag wie eine Perle auf einer langen Kette.« Das war auch ein Rat von Patricia, und er klang einfach realer.
Wenig später saß sie aber wieder am Schreibtisch im Erker. Emmas Füller flog nur so über das Papier.
Lieber Wer-immer-du-bist,
ich kann es nicht lassen. Ich hatte wirklich fest beschlossen diese Briefeschreiberei bleiben zu lassen, weil sie nutzlos und sinnlos ist. Aber was ist die Alternative?
Ich kann in die Glotze schauen.
Ich kann auf Netflix Serien Binge gucken. Mein Rekord liegt bei neun Folgen an einem Tag. Fünfzig-Minuten-Folgen meine ich, nicht diese Fürzchen von Sitcoms wie »The Big Bang Theory«.
Ich könnte natürlich auch ein gutes Buch lesen, aber im Regal hier stehen nur Bücher, deren Titel ich nicht einmal verstehe. Die Bücher gehören meiner Tante Nell. Sie ist das, was man »intellektuell« nennt und statt Sex hat sie mit Männern wahrscheinlich nur spirituellen Gedankenaustausch, der zu einem geistigen Orgasmus führt. Tante Nell und vor Lust stöhnen sind zwei Dinge, die ich mir nicht zusammen vorstellen kann (und will). ;-)
Siehst du, es geht schon los. Denke ich nur: Ich will mir das nicht vorstellen, geht die Vorstellung nicht mehr aus meinem Kopf raus.
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