Er schwieg.
„Uh, jetzt haben Sie wieder diesen Blick“, sagte sie.
Er war versucht zu fragen, welchen Blick sie meinte, sagte aber nur, „Und warum haben Sie mit der Polizei in Hong Kong gesprochen? Und sogar Akten gelesen?“
„Ich meinte den Blick, den Sie auch vorhin hatten. Als ich Sie fragte, ob Sie bereits einmal in Nordkorea waren. Waren Sie?“ Sie wartete auf eine Antwort, bekam aber erneut keine. „Wir mussten sehen, ob Sie der richtige Mann für uns sind, Josh Palmer, deshalb haben wir in Hong Kong nachgeforscht. Das ist kein Grund, sauer auf uns zu sein. Oder auf mich.“ Sie sagte, „Also, warum haben Sie das getan? Sie waren ein ganz normales Kind. Schon sehr früh sehr reif, geistig, offensichtlich auch körperlich, aber eben doch ein Kind. Und dann, von einem Tag auf den anderen, waren Sie ein Kind, das von der Polizei den Spitznamen Breaker Breaker bekam, weil es einem Erwachsenen das Genick gebrochen hatte.“
Die Polizei hatte ihm keinen Gefallen damit getan. Breaker Breaker . Der Name forderte die Gangs geradewegs dazu auf, sich mit ihm anzulegen und diesem Jungen zu beweisen, dass man keine Angst vor ihm hatte, nur weil er Breaker Breaker genannt wurde und anderen die Knochen brach. Immer wieder musste Palmer diesen Typen beweisen, dass er den Namen zu Recht trug. So lange, bis jeder es glaubte.
Palmer fragte sich, wie Agent Azone aufgewachsen war. Wohlbehütet? Ein halbes Dutzend älterer Brüder, die sie vor den Rowdys auf der High School beschützt hatten? Die Schwester die beste Freundin, die Mutter immer für sie da? Der Vater mit viel Verständnis für die Jugendstreiche seiner kleinen Prinzessin?
Palmer schwieg.
Und Azone überraschte ihn.
„Ich bin Special Agent geworden, weil ich auf der richtigen Seite stehen wollte. Aber ich weiß, dass – ich habe gelernt , dass wir manchmal machtlos sind. Und glauben Sie mir, Palmer, ich weiß, was das bedeuten kann“, sagte sie.
Als ob sie es meinte. Dass man schon mal selbst dem Recht zum Recht verhelfen musste; dass sie das verstand.
„Was wollen Sie von Li?“
„Wir haben Leute in Südostasien, die nach Li suchen. Wir haben gute Kontakte dorthin. Aber Mark Li ist nicht der normale Terrorist, wie wir sie aus Indonesien oder von den Philippinen kennen. Also eher unterdurchschnittlich gebildet, einfache Herkunft, leicht beeinflussbar. Typ Selbstmordattentäter, der mit selbstgebastelten Bomben in eine westliche Diskothek in Bangkok oder Manila oder auf Bali spaziert und sich in die Luft sprengt und möglichst viele von uns mit in den Tod reißt. Möglichst viele der verhassten Amerikaner. Nein, Ihr Mark ist anders. Er würde sich nicht selbst in die Luft sprengen. Li ist intelligent, er kennt andere Wege. Er operiert alleine, lässt sich nicht anheuern. Er hat zwar Kontakte zu den Terrorgruppen der Region, Jemaah Islamiah in Indonesien, Abu Sayyaf auf den Philippinen. Er hatte sogar Kontakt zu dem Anführer der Singapurer Zelle der Jemaah Islamiah, einem gewissen Mas Selamat Kastari. Aber er gehört nicht zu ihnen. Niemand weiß viel über Li. Er ist ein Profi und ein Einzelgänger. Ich glaube“, sagte sie, „das haben Sie beide gemein.“
„Sagten Sie gerade ... Terrorist?“
Sie nickte. „Das war mein Punkt.“
„Sie behaupten also, Mark Li sei ein Terrorist? Und hätte Kontakte zu terroristischen Organisationen?“
Wie sie nickte, als wäre sie wirklich davon überzeugt.
„Sie ticken nicht richtig, Agent“, sagte Palmer, die Worte fast nicht zu hören im tosenden Beifall hinter ihm.
Er drehte sich um und beobachtete die Band, die gerade ihr letztes Stück für den Abend gespielt hatte, er hatte es nicht gekannt. Vielleicht doch Jazz. Die Vier kündigten ihren nächsten Auftritt an, irgendeine Bar in irgendeinem Ort in New Mexico, stellten die Instrumente zur Seite, stiegen ungelenk von der Bühne und setzten sich schwerfällig an die Theke, wo bereits ihre Drinks warteten.
Einige der Gäste hatten wohl genug und standen auf, andere blieben sitzen, die Gläser noch voll oder noch nicht alles gesagt. Die Instrumente standen einsam auf der Bühne. Palmer spürte Azones Blick in seinem Rücken.
Gegeben die Umstände, war jeder Mensch zu allem fähig. Davon war er überzeugt. Aber Li ein Terrorist?
Er drehte sich zurück zu ihr. „Verbindungen zu Jemaah Islamiyah und Abu Sayyaf? Das sind Terrorgruppen, die dem Rest der Welt den Islam aufzwingen wollen“, sagte er.
„Richtig.“
Li war ein intelligenter, aufgeklärter Mensch und ein Fan des Westens. Viele seiner Freunde waren Deutsche, Briten, Franzosen, Amerikaner. Li und Kontakte zu terroristischen Gruppen? Absurd.
Ihr Westernkostüm kam ihm jetzt noch lächerlicher vor.
„Woher wollen Sie wissen, dass Li Kontakte zu diesen Gruppen hat? Welche Beweise haben Sie dafür?“
„Sie wissen, dass ich Ihnen das nicht sagen kann, Palmer.“
„Und wie haben Sie die Verbindung zwischen Li und mir entdeckt?
„Ich habe Ihnen gesagt, ich weiß, dass Mark und seine Frau Sie nach dem Tod Ihrer Eltern aufgenommen haben.“
„Ja, aber wie haben Sie das erfahren? Wie bin ich auf Ihren Radar gekommen? Und woher glauben Sie zu wissen, dass ich fähig sein könnte Li zu finden? Und wie haben Sie mich gefunden?“
„Hören Sie mit Ihren Fragen auf, Palmer. Ich würde gerne, glauben Sie mir, aber ich kann Ihnen das wirklich nicht sagen. Ich darf nicht. Gehen Sie davon aus, dass wir alles herausfinden können, denn wir haben ganz erhebliche Ressourcen. Darauf haben Sie vorhin selbst hingewiesen. Außerdem spielt es auch keine Rolle, woher wir unser Wissen haben. Sie müssen uns helfen, Li zu finden und von seinem Vorhaben abzuhalten. Sie haben die einmalige Chance, Ihrem Land einen großen Dienst zu erweisen, Palmer.“
Er schüttelte den Kopf. „Sie geben mir keine Antworten, Agent Azone.“
„Wenn ich Ihnen antworte, verliere ich meinen Job, so einfach ist das. Und ich“, sie suchte in ihrer Tasche, „mag meinen Job.“
Er sagte, „Was genau ist denn Ihr Job? Zu welcher der zahlreichen Behörden von Homeland Security gehören Sie denn? Border Patrol? Secret Service?“
„National Protection and Programs Directorate“, sagte sie, zog eine Zigarette hervor und steckte sie zwischen die Lippen. „Haben Sie Feuer?“
Keine Handfesseln.
Er schüttelte den Kopf.
Sie suchte wieder in ihrer Tasche, fand ein Feuerzeug, zündete die Zigarette an und nahm einen schnellen, tiefen Zug. „Office of Infrastructure Protection“, sagte sie und blies den Rauch an ihm vorbei.
Nicht Border Patrol. Pelosi war kein Kollege von ihr. Deshalb wusste sie nichts von New York.
„Office of Infrastructure Protection“, sagte er. „Ihr seid für die Sicherheit von öffentlichen Gebäuden zuständig.“
Sie nickte.
„Behaupten Sie jetzt, Li will ein Gebäude in die Luft sprengen? Hier in den Staaten?“
„So etwas in der Art, ja.“
„Etwas in der Art? Was heißt das denn?“
„Auch das kann ich Ihnen nicht sagen, Palmer. Aber glauben Sie mir, wir müssen Li finden. Sie müssen Li finden. Fliegen Sie nach Singapur oder nach Bangkok, Jakarta, wo auch immer er Ihrer Meinung nach sein könnte. Und suchen Sie ihn. Wir zahlen, Erste-Klasse-Flug und alles. Und ein gutes Handgeld. Und wenn Sie ihn gefunden haben, sind wir großzügig. Sie werden eine ganze Weile nicht arbeiten müssen. Und Sie können in Ruhe Ihr Leben weiterleben.“
Sie beugte sich nach vorne – ihre Bluse sprang noch ein Stück weiter auf – und sagte, „Hier in den Staaten gilt derzeit Warnstufe gelb, Palmer. Sie wissen, was das heißt. Es besteht nur eine mittelmäßige Gefahr eines terroristischen Angriffs auf amerikanischem Boden. Die Warnstufe könnte aber auf orange angehoben werden. Und Sie wissen auch, was das heißt. Mehr und schärfere Kontrollen an den Grenzen, auf Flughäfen, Bahnhöfen, Busbahnhöfen, auf Highways. In öffentlichen Gebäuden. Verstärkter Personenschutz für hochrangige Politiker, Verdoppelung der Bereitschaftskräfte bei Army und Navy. Das ganze Land wird in Aufruhr sein. Jeder, der eine Uniform zuhause im Schrank hat, wird auf Terroristenjagd geschickt. Das sind Tausende von Überstunden, Millionen Dollar Mehrkosten. Ganz alleine wegen Mark Li.“
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