Jürgen Rupprecht
Marie
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Titel Jürgen Rupprecht Marie Dieses ebook wurde erstellt bei
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Epilog
Impressum neobooks
Marie
Jürgen Rupprecht
Impressum
Texte: © Copyright by Jürgen Rupprecht
Umschlag: © Copyright by Jürgen Rupprecht
Lektor: Simona Turini
Druck: epubli, ein Service der
neopubli GmbH, Berlin
Printed in German
Hermann Oswald zitterte im zugigen Führerstand seiner Baumaschine. Er hatte schon einige Jahre auf seinem Bagger verbracht, aber so kalt wie dieser gottverdammte Winter 2015 war noch keiner gewesen. Egal, er war fast fertig hier. Nur noch zwei Meter musste er den Hang abgraben, dann hatte er dem Berg genug Fläche abgetrotzt, damit hier an der Heidelberger Uferstraße eine neue Villa gebaut werden konnte. Danach war endlich Feierabend, Zeit für ein warmes Bad und kühle Biere.
Ein sehr lautes Hupen riss ihn aus seinen Gedanken. Das war unvermeidlich, wenn man der viel befahrenen Uferstraße mitten im Feierabendverkehr eine Spur raubte. Sein Blick streifte über die Unzahl an Fahrzeugen, die wie an einer Perlenschnur aufgereiht darauf warteten, an diesem Nadelöhr vorbeizukommen. Genauso unvermeidlich waren die Asiaten, die das Spektakel mit ihren Smartphones filmten. Hermann fragte sich, ob es in China keine Baustellen gab, aber schon lenkte ein Geräusch seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Arbeit. Auf der gesamten Breite rutschte lawinenartig Erde nach.
„Scheiße, verdammte Scheiße!“, brüllte er und hielt mit der Schaufel inne. Damit wanderten seine Feierabendbiere noch eine gute weitere Stunde in die Ferne.
Scheiß drauf, dachte er sich, er musste hier fertig werden. Seit seiner Scheidung trank er eh viel zu viel. Wieder und wieder grub er seine Schaufel in den Hang, dann der Schock, eine Wasserfontäne spritzte in den Abendhimmel. Wollte auf dieser verdammten Baustelle denn nichts klappen? Er schaute auf sein Plan: Da war kein Rohr verzeichnet. Er musste eine Wasserblase getroffen haben. Die Brühe umspülte die Ketten von Hermanns Bagger und lief über die Straße, um ihre Reise im Neckar zu beenden. Schon wieder hektisches Hupen aus der Richtung, wo die Flüssigkeit hinlief. Diesmal hatte er keine Zeit, hinzuschauen. Stattdessen fuhr er die Schaufel hoch, um zu sehen, was er da getroffen hatte.
Die Strömung ließ nach, was seine Vermutung bestätigte; ein Wasserrohr war es wirklich nicht. Er stieg vom Bagger, um es sich genauer anzusehen.
Schon hörte er aus einiger Entfernung seinen Vorarbeiter brüllen: „Was sollen die Wasserspiele? Wir müssen fertig werden!“
„Ich seh mir das kurz an, Chef, dann geht’s weiter“, brüllte Hermann nicht minder laut zurück und dachte bei sich, fick dich, blödes Arschloch .
Vor seinem Baugerät hatte sich ein Loch so groß wie die Baggerschaufel aufgetan. Hermann nahm seine Taschenlampe aus der Werkzeugkiste und trat näher. Die Sonnenstrahlen, die in das Loch fielen, konnten die fast völlige Finsternis in dem Hohlraum hinter der Öffnung nicht durchdringen. Hermann strahlte mit der Lampe in den Hohlraum. Der Lichtkegel glitt über den Boden der Grube. Kurz streifte das Licht etwas, das er so schnell nicht erkennen konnte. Er führte den Lichtstrahl zurück zu der Stelle.
Was er sah, ließ das Blut in seinen Adern gefrieren. Die Taschenlampe rutschte ihm aus der Hand. Das letzte, was er wahrnahm, bevor wieder die Finsternis den Raum einnahm, war eine fast völlig skelettierte Kinderleiche, wohl ein Mädchen, wenn man das an dem geblümten Kleid festmachen konnte. Zitternd nahm Hermann sein Handy und wählte die 110. Als sich eine Frauenstimme meldete, fanden Hermanns Frühstück und Mittagessen den falschen Ausgang, er übergab sich.
Eine Stunde später wimmelte es auf der Baustelle von Beamten.
Heidelberg ist eine beschauliche Kleinstadt und so standen hinter der notdürftig aufgestellten Absperrung brav zwei Reporter der beiden regionalen Tageszeitungen mit ihren Kameras und warteten, bis einer der Ermittler zu ihnen kommen würde, um sie zu informieren. Es war lustig anzusehen, wie die beiden inmitten von Touristen standen, die das Geschehen filmten und das Ergebnis via Facebook und YouTube in die ganze Welt schickten. Als immer mehr auf ein Tötungsdelikt hinwies, kam sogar ein Kamerateam vom Regionalfernsehen und filmte die Szene gelangweilt.
Manfred Bohrmann, ein durchtrainierter Enddreißiger mit dichtem schwarzen Haar, betrat wie ein Filmstar den Tatort. Der schwarze Anzug war billig von der Stange, kleidete ihn aber trotzdem recht gut. Ihm folgte Gabriele Hauf, eine Frau mit 40 Jahren Kickboxerfahrung, die mit ihren 54 Jahren immer noch ein echter Hingucker war. Prompt filmte das Regionalfernsehen nur noch die rassige Beamtin. Erwin Tillmann, Leiter der Mordkommission, hatte die beiden auserkoren, sich der Kinderleiche anzunehmen.
Manfred war nicht die hellste Leuchte im Halter, zugegeben, aber sein Onkel war ein hohes Tier im Innenministerium, und zu so jemandem sagt man nicht allzu oft nein, wenn er um einen Posten für seinen Neffen bittet. Nun hatte Gabriele ihn als Partner zugewiesen bekommen. Sie konnte ihr Glück kaum fassen, jedes einzelne Mal, wenn er den Mund aufmachte.
Gabriele glaubte ihrem Exfreund Erwin Tillmann keinen Moment, dass es nichts damit zu tun hatte, dass sie ihn gegen ein 20 Jahre jüngeres und mindestens genauso viele Kilo leichteres Model der Gattung Mann ausgetauscht hatte. Das musste ihren Vorgesetzten schwer getroffen haben. Zumindest war Tillmann danach in einen Box-Club eingetreten, um fit zu werden. Gabriele hätte nur zu gern mal mit ihm Sparring geboxt, aber leider war er in einem anderen Verein. Außerdem behauptete ihr Trainer, es wäre Mord, wenn sie mit ihm in den Ring steigen würde, selbst wenn es nur zur Übung war. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem Fundort zu.
„Was haben wir da?“, fragte Manfred. Das war bei weitem nicht die dümmste Frage in seinem Repertoire, Gabriele war angenehm überrascht.
„Weibliche Leiche, zum Zeitpunkt des Todes ungefähr zehn Jahre alt“, antwortete der Gerichtsmediziner.
„Und wurde sie vergewaltigt?“, fragte Manfred weiter.
Da war es wieder. Gabriele schaute auf die Knochen vor ihren Füßen und fragte sich, warum sie ihm nicht für jede dumme Frage eine reintreten durfte. Wozu hatte sie so viele Jahre trainiert, wenn sie dann nicht mal Spaß haben durfte?
„Ich bin Mediziner, kein Hellseher. Aber Sperma werden wir an den Knochen kaum noch nachweisen können“, antwortete der Arzt angriffslustig.
Gabriele übernahm: „Lässt sich feststellen, wie das Kind zu Tode kam?“
„Das ist schwer zu sagen, nach der Autopsie weiß ich mehr“, gab der Mediziner zurück.
„Kann man etwas dazu sagen, wie lange das Opfer schon tot ist?“, fragte Gabriele.
„Ich würde sagen, mindestens ein Jahr. Aber genau weiß ich das erst nach den Untersuchungen.“
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