Frank Thomsen - Nur nach vorn?

Die Hoffnung auf immer bessere Zeiten hat ein Schuldgeldsystem 26hervorgerufen, das mittlerweile nur noch als ein alles verschlingendes schwarzes Loch bezeichnet werden kann. Als ich 1970 geboren wurde, hatte der westdeutsche Staat gerade mal 64 Mrd. Euro (ca. 126 Mrd. DM) Schulden. Heute (2014) sind es über 2000 Mrd. Euro. 27Bevor Sie jetzt gleich vor dem Buch zusammenbrechen: Sofern wir die Staatsverschuldungsquote unter einem gewissen Prozentsatz des Bruttoinlandsproduktes (BIP) halten und mehr Wert schaffen, als an Zinszahlungen drauf geht, ist das rein rechnerisch in Ordnung. Nur ein Zurück gibt es nicht mehr – wir sind verdammt, immer weiter zu machen.

Und das ist dann auch die Antwort auf die Frage, warum wir praktisch ein verordnetes Wirtschaftswachstum haben: Deutschland muss in seiner Wirtschaft immer weiter wachsen, damit die Zinsen auf die Staatsschulden überhaupt bedient werden können – damit wir es uns leisten können NEUE Schulden zu machen, um weitere Zinszahlungen tätigen zu können und um die Wirtschaft und Gesellschaft mit weiteren Investitionen (inklusive den umfangreichen Sozialleistungen, Renten etc.) zu stützen. Das von Angela Merkel so oft gebetsmühlenartig proklamierte „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ ist also vornehmlich ein angsterfüllter Ausruf, damit wir nicht in den Staatsbankrott schlittern.

Die oben beschriebenen, mit der Zeit sich verstärkenden Kreditzwänge haben die Finanzwirtschaft, also die Banken, Versicherungen und öffentlichen Institutionen wie die Bundesbank oder die Europäische Zentralbank, zu so etwas gemacht wie große Drachen, die einen Schatz bewachen sollen, der ihnen aber nicht gehört – und eigentlich gar nicht da ist. Zu so etwas wie Smaug in J.R.R. Tolkiens „Der kleine Hobbit“. Das Problem: Der Schatz ist lediglich eine Art Projektion in der Tiefe der Höhle. Es wird nur mit Daten gehandelt, nicht mit reellen Dingen, die eventuell tatsächlich ein gemeinschaftliches Überleben sicherstellen könnten. Es ist nur ein auf Hoffnung gebautes Konstrukt. Milliarden, Billionen, Trillionen. Kaum etwas davon hat einen physischen, begreifbaren Gegenwert oder ist in großen Tresoren als Backup vorhanden. Die wenigsten Einlagen sind institutionell in Form von Immobilien/Ländereien oder Edelmetallen (Gold, Platin etc.) gesichert. Wie auch? Alleine im letzten Jahrzehnt wurde so viel Luftgeld durch Zentralbanken produziert, dass die Verwässerung der Währungen zu einem ernsthaften Problem wurde. Genau aus diesem Grund wird aber davon profitiert.

Keine sog. Erste-Welt-Nation kann in den nächsten Jahrzehnten ihre Schulden begleichen. Es geht einfach rein rechnerisch nicht. Die Kreditgeber, ein kompliziertes Geflecht aus Banken, Konzernen und reicheren Privatpersonen, werden dabei durch dieses System quasi automatisiert immer reicher. Selbst das lächerlichste Zinsniveau macht aus viel eben noch etwas mehr. Diese Privilegierten können dann mit dem billigen Geld weitere private oder geschäftliche Investitionen tätigen, also in Land und Material (Gold, Kunst, Häuser etc.), sodass selbst nach einer Krise – oder auch nach einem völligen Zusammenbruch – immer noch ein Wert/Besitz = Sicherheit zur Verfügung steht. 28

Die Übernahme von WhatsApp durch Facebook 2014 zeigt deutlich, wie stark die Kapitalverdichtung voranschreitet. Einstmals war die Grundsystematik einer Aktiengesellschaft, dass durch viele kleine Investoren genug Kapital für die Realisierung einer guten Innovation (oder eines sinnvollen Vorhabens) zur Verfügung stand. Das Kapital wurde mehr oder weniger gerecht verteilt. Mit dem Kauf von WhatsApp wurde jedoch die gigantische Summe von 19 Mrd. US-Dollar auf nur 55 Leute plus den Risikokapitalgeber Sequoia Capital verteilt, also eine fast unvorstellbare Geldanhäufung auf wenige Personen. Der größte Teil der Gelder wird NICHT in den Markt zurückfließen, ist damit streng genommen für die Gesellschaft vernichtet. Nur zum Vergleich: Der vereinbarte Betrag ist ein Viertel des Werts einer Siemens AG mit 400.000 Mitarbeitern.

Wer viel besitzt (und noch mehr automatisch anhäuft), hat darüber hinaus sehr viel größere Möglichkeiten, seine Gesundheit stabil zu halten, zu schützen und damit im Wirtschaftsleben lange erfolgreich zu sein. Das viel gepriesene Deutschland mit seinem ach so entwickelten Krankenkassen-System ist im direkten Vergleich auch nicht viel besser als z. B. Kenia. 29Viele heute junge Leute müssen damit rechnen, tatsächlich eventuell mal in die Altersarmut abzurutschen, weil das Renten- und Gesundheitssystem schlichtweg nicht mehr genug Beitragszahler hat. 30

Das verordnete Wachstum ist gleichzeitig ein wichtiger Grund für die Ausbeutung der ökologischen Systeme, die wir aber so dringend für unser Fortbestehen benötigen. Unser Startgeld (um beim Monopoly-Bild zu bleiben) waren schon immer natürliche Ressourcen: Der Boden, um Pflanzen anzubauen oder einfach abzuernten, auf Kohlenstoff basierende Brennstoffe, um Wärme zu erzeugen und um in diversen energieintensiven Prozessen Produkte herzustellen, und natürlich Tiere, die für uns Menschen essbar sind. Im Zuge der fortwährenden Wirtschaftssteigerungen wurde immer tiefer gegraben, immer mehr Fläche für den landwirtschaftlichen Anbau oder unsere Infrastruktur nutzbar gemacht, damit mehr Dinge zum Verbrauch entstehen können. Der Mensch in den Industrienationen ist ‚der Verbraucher‘. Hört sich an wie eine Drohgestalt aus einem Comic, die eine beschleunigende Verdauung unserer Ressourcen durchführt, ist aber tatsächlich anerkannter Sprachgebrauch.

Die scheinbare Unendlichkeit der Umweltressourcen war der eigentliche Trigger für unser Wirtschafts- und Finanzsystem – wie sonst hätten die ersten Kreditgeber darauf bauen können, dass ein Produkt entstehen und damit die Schuld wieder abgegolten werden kann? Unser gesamtes Wirtschaftssystem ist also aus einem Zustand der materiellen/energetischen Sicherheit heraus entstanden.

Leider bewegen wir uns eher schnell als langsam auf ein fast unlösbares Problem hin: Wir verbrauchen ca. 1,5x mehr Ressourcen, als nachwachsen/sich erneuern kann. 31Das Wachstums-Paradigma wird bald nicht mehr aufrechtzuerhalten sein.

Trotzdem machen wir weiter. Jeder trägt zu dieser Entwicklung bei. Ich auch.

Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.