Fahrrad und Gepäck sind unversehrt, als ich sie um 17 Uhr in Wien in Empfang nehme. Die Folie wieder von den Gepäcktaschen „herunterzukratzen“ ist ohne Taschenmesser gar nicht so einfach, - aber es durfte ja nicht ins Handgepäck! Am Ende bleibt ein großer Haufen Plastikmüll aus Folien und Styroporrohren. Österreich empfängt mich mit warmem Sommerwetter. Der Flughafen liegt glücklicherweise im Osten von Wien , so brauche ich nicht durch die Stadt zu fahren und kann heute noch ein paar Kilometer schaffen. Als ich Nudeln und Reis im Supermarkt einkaufe, wird an der Kasse schon Slowakisch gesprochen, obwohl ich noch auf dem Flughafengelände bin.
Die Donau fließt breit in der Sonne dahin, – ein Anblick, wie der Mississippi in „Tom Sawyer“ (Twain, 1876). Zu beiden Seiten des Flusses liegen Wald und die Altwasser der Donau-Auen bei Maria Ellend . Allerdings muss ich auf dem Weg am Fluss entlang schieben, da er mit großen Felssteinen gepflastert ist. Mit Netzen behängte Anglerhütten auf Stelzen stehen am Fluss, hier würde ich gerne zelten, aber es ist noch zu früh. Eine solche Landschaft, so kurz hinter Wien habe ich nicht erwartet. „Der Nationalpark „Donau-Auen“ zwischen Wien und Hainburg beherbergt eines der letzten frei fließenden Donauabschnitte. Der Erhalt der Donau-Auen wurde 1984 von einer Bürgerrechtsbewegung gegen Politik und Kraftwerksbetreiber erkämpft.“ (Wikipedia, 2012/2013).
Nur mit Schieben, komme ich heute nicht weit, und so verlasse ich die Donau wieder zur Straße hin, - nicht schön, aber schneller. Nach 32km zeigt sich ein kleiner Campingplatz in Petronell - Carnuntum. „Hier lag einmal das Römer-Castell „Carnuntum“. 1963 wurde „Carnuntum“ in den Ortsnamen aufgenommen.“ (Wikipedia, 2012/2013). Die Römerreste werden heute touristisch vermarktet.
29.8.2012 Petronel - Böny
130km, 167 Höhenmeter, 29°C, sonnig.
Ein letzter Blick für heute auf die Donau bei Hainburg . Ich schneide den Donaubogen bei Bratislava (Preßburg ) ab, denn so eine große Stadt hält zu sehr auf. Kurz bin ich in der Slowakei, dann in Ungarn und durchquere den Kisalföld (die kleine ungarische Tiefebene) nach Györ (Raab), - überall Maisfelder. Mein Versuch, die Donau noch einmal zu Gesicht zu bekommen, bleibt zwischen den Altwassern stecken. Die Donau fließt hier in einem Kanal auf der der anderen Seite. Einige Radler mit Gepäck kommen mir entgegen, ich befinde mich also wohl auf dem „Donauradweg“. Das Thermometer zeigt 29°C und die Hitze strengt an. In Györ beobachte ich aus dem Schatten eines Cafés heraus ungefähr 100 Jugendliche, alle in blauen T-Shirts, die auf einem Platz eine Art Polonäse aufführen und dazu „Guantanamera“ singen. Der Sinn der Aktion bleibt mir unklar. An der Grenze habe ich 50€ gegen 13 670 Forint eingetauscht, - herrscht eine galoppierende Inflation in Ungarn? Ein netter Radfahrer fährt vor mir her, um mir den Weg aus Györ heraus zu weisen. Er spricht etwas Deutsch und Englisch und ist auf dem Weg zur Arbeit. Ich zelte an einem Feldrand, koche Spätzle mit Tomatensoße und lasse mich von den Mücken stechen.
30 .8.12: Donau bei Kom á rno ( Ungarn)
111km, 240 Höhenmeter, 30°C, sonnig.
Morgens ist die Luft noch herrlich kühl und die Sonne steht schon schräg am Himmel. Bei Kom á rno (Komorn) überquere ich die Donau und bin wieder in der Slowakei. Viele hübsch gestrichene alte Häuser in der Stadt. Die breite Waag mündet hier in die Donau . In der Hitze führt mein Weg im Schatten des Auwaldes am Nordufer entlang bis Esztergom (Gran) . Keine Altwasser mehr, dafür herrliche Ausblicke auf den großen Fluss, sogar kleine Strände, die zum Baden einladen. In Gran gingen die Nibelungen an Etzels (Attilas) Hof unter, wenn man dem Buch „Disteln für Hagen“ (Fernau, 1966) glauben darf. Über dem Fluss liegt die große Basilika, auf die ich über die lange Donaubrücke zufahre, - in umgekehrter Richtung wie vor vier Jahren, als ich von Budapest kam. „Die Donaubrücke, die Esztergom mit Štúrovo in der Slowakei verbindet, wurde im Zweiten Weltkrieg von deutschen Truppen gesprengt und war bis 2001(!) unpassierbar.“ (Wikipedia, 2012/2013). Das Donauknie erinnert an das Rheingau : Berge zu beiden Seiten des enger werdenden Flusstales, Eisenbahn und Straßen am Ufer, dazu die Burg bei Visegrad , - aber viel weniger Schiffsverkehr.
Ich bin erschöpft! Es ist zu heiß und ich habe zu wenig gegessen. Geführte Fahrradtouren kommen mir entgegen. „Die sehen auch nicht mehr frisch aus!“, denke ich. In Dömös freue ich mich über einen Campingplatz mit Restaurant. „Zigeunerbraten“ mit fettem Speck und scharfer Soße wird angeboten. Auf meinen Versuch, ein Bier zu bestellen („Ädj schö, keeräm!“), antwortet die Bedienung: „Und was wollen Sie trinken?“ Der Mond ist voll und leuchtet über dem Fluss. Zwanzig Mückenstiche an den Beinen piesacken mich, während ich mir im Schlafsack noch ein paar Kapitel aus dem Hörbuch „In Zeiten abnehmenden Lichtes“, (Ruge, 2011) anhöre.
30.8.12: Basilika von Esztergom (Ungarn)
31.8.2012 Dömös - Gyöngyös
114km, 979 Höhenmeter, 31°C, sonnig.
In Visegrad hat sich in den letzten vier Jahren viel getan. Wo damals Zeltplätze und Brachland waren, stehen heute Hotels! Eine Fähre setzt mich von der großen Flussinsel Szentendre nach V á c über. Dafür gehen fast alle meine restlichen Forint drauf und ich kann mir gerade noch einen Espresso im „Café Esterhazy“ leisten. Das Preisniveau in Ungarn ist geringer als in Deutschland: Ein Kaffee kostet 80 Cent, ein großes Bier im Restaurant erhält man für 1,30€. Benzin hingegen ist so teuer wie bei uns. Bei V á c wage ich den „Absprung“ von der Donau in Richtung Alföld und Transsylvanien . Vor dem Alföld, der großen ungarische Tiefebene, wartet aber noch die erstaunlich anstrengende Hügellandschaft des M á tra-Gebirges mit Steigungen bis zu 8%. Trotz leichter Bewölkung ist es sehr heiß, aber glücklicherweise kühlt der Gegenwind etwas. Seit ich die Donau verlassen habe, sind die Dörfer einfacher geworden, keine Touristen mehr, aber viele Gummikarren, die hier ein wichtiges Transportmittel zu sein scheinen. Auf den Dorfplätzen stehen öffentliche Wasserpumpen, an denen sich die Kinder gegenseitig nass spritzen und ich mir das Wasser über den Kopf laufen lasse, – herrlich! Zwischen Sonnenblumenfeldern werden die Hügel immer steiler und die Straßen immer schlechter. Ich verfahre mich auch noch und werde mit einem „Extrahügel“ und 5km Umweg bestraft. Mit dem letzten Tropfen Wasser erreiche ich gegen 16 Uhr Gyöngyös (Gengeß ). Die Raiffeisenbank spendiert mir 19 000 Forint, und ich ziehe mich für zwei Stunden in den Schatten eines Straßencafés zurück, - herunter mit Schuhen und Strümpfen!
Eine vierspurige Straße führt aus der Stadt heraus, - schnurgerade bergauf und für Fahrräder gesperrt! Neben einem Weinberg zelte ich hinter einer Hecke auf einer Weide mit weitem Blick in die Ebene; hier beginnt also der Alföld! Um 20 Uhr ist es schon dunkel, als ich „Reis Chop Suey“ im gelben Licht des Vollmondes koche.
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