Bei meinen Touren in den letzten Jahren bin ich mit dieser Zeitabschätzung immer gut gefahren und hatte meist noch ein paar Tage Luft, die ich dann gegen Ende der Tour in einen attraktiven Umweg investiert habe. Bei dieser Tour halte ich 37 Tage für knapp kalkuliert, da die zu durchquerenden Länder, Rumänien, Bulgarien und die Türkei, Neuland für mich darstellen und mit dem Fahrrad sicher schwieriger zu bereisen sind als Länder in Westeuropa und ich daher nicht wirklich einschätzen kann, ob 100km durchschnittliche Tagesleistung dort realistisch sind. Wenn sich meine Kalkulation als zu knapp herausstellen sollte, könnte ich den Weg durch die Türkei abkürzen, indem ich auf den Umweg entlang der lykischen Küste verzichte.
Für den Fall, dass alles schief gehen sollte und ich irgendwo liegenleibe und nicht weiter komme, lässt sich kaum vorsorgen. Ich habe natürlich eine Auslandskrankenversicherung und seit meinem Unfall in Tschechien 2008 auch eine Fahrrad-Versicherung, die im Notfall den Rücktransport des Fahrrades übernimmt, letzten Endes muss aber in Extremsituationen improvisiert und je nach Lage entschieden werden. Als Alleinreisender ist das Risiko natürlich höher, als wenn ich mich auf einen Begleiter stützen könnte.
Um den Risiken möglichst aus dem Weg zu gehen, lasse ich vor dem Start mein Fahrrad überholen und Verschleißteile auswechseln. Ich ziehe noch einen neuen Hinterreifen auf (Marathon Plus, „unplattbar“). Natürlich habe ich das übliche Flickzeug und Werkzeug dabei, inklusive „Kettennietendrücker“ und kann auch damit umgehen. Diesmal packe ich noch die „Nuss“ für den Zahnkranz ein; auf die „Peitsche“ verzichte ich, - sie ist mir zu schwer. Ersatzspeichen und zwei Ersatzschläuche, sowie ein faltbarer Ersatzreifen runden das „Technikpaket“ ab.
Für den Fall, dass mir Geld und Papiere unterwegs abhandenkommen sollten, verstecke ich eine Ausweiskopie und 100€ in bar im Sattelrohr meines Fahrrades. Außerdem sind alle wichtigen privaten Telefonnummern, Versicherungsnummern, sowie EC- und Kreditkartennummern, ferner Telefonnummern von Konsulaten und Botschaften in einer Liste notiert und je eine Kopie davon in der Lenkertasche, im Gepäck und im Sattelrohr verstaut. Die Prepaidkarte meines Handys ist mit 76€ aufgeladen, denn für Gespräche aus der Türkei berechnet „Tschibo“ 1,60€ pro Minute!
Schon vor Wochen habe ich mich gegen FSME impfen lassen, weil ich damit rechne, öfters „wild zelten“ zu müssen. Da es auf dem Balkan viele aggressive Hunde geben soll, überlege ich, mich auch gegen Tollwut impfen zu lassen, verzichte aber darauf, - eine Impfung reicht mir. Mein Blinddarm wurde schon vor 44 Jahren entfernt, - das bleibt mir also erspart. Freunde warnen mich eindringlich vor Rumänien und den „Zigeunern“. Ich solle zumindest Pfefferspray mitnehmen. Ich habe aber Hemmungen, so etwas anzuwenden und verzichte darauf. Für den Fall der Fälle wollte ich einen Selbstverteidigungskurs machen und hatte mich auch schon angemeldet, - leider fiel der Kurs aus.
Das Gepäck ist für jede Reise dasselbe mit kleinen Abweichungen für warme und für kühlere Länder. Diesmal verzichte ich z.B. auf die Skiunterhose, den Seidenschlafsack und die warme Weste. Dafür kommt eine kurze Hose ins Gepäck. Auch wenn auf dem Balkan zurzeit sehr warmes und trockenes Wetter herrscht, packe ich alles Regenzeug (Jacke, Hose, Überschuhe) ein. Wer weiß was kommt! Bei den Essensvorräten verzichte ich auf einige Sachen, die ich vor Ort kaufen kann, sonst wird das Gepäck zu schwer, denn ich darf nur 23kg mitnehmen. Dafür nehme ich eine reichhaltige Auswahl an verschiedenen Soßenpulvern mit. Zum ersten Mal habe ich einen Benzinkocher dabei. Mal sehen, wie der sich bewährt. Die „All-In-1“ Seife kann ich zum Duschen, Haare waschen, Rasieren, Abwaschen und Wäschewaschen benutzen, - das spart Gewicht!
Für jede Sprache, die mir unterwegs begegnen wird, habe ich eine Liste der 100 wichtigsten Wörter, bzw. die ich dafür halte, aufgeschrieben. Außerdem habe ich „Point It“ dabei, ein geniales, kleines Heftchen, in dem die Bilder von allen möglichen Dingen abgedruckt sind. So kann man sich durch Zeigen auf ein Bild verständigen. Es gibt nichts, was man in dem Heft nicht findet.
Als Fahrradverpackung für den Flug verwende ich Styroporrohre, mit denen sonst Heizungsrohre isoliert werden. Damit ummantele ich den Fahrradrahmen, - das hat sich gut bewährt. Unten meine Packliste, in der die Dinge, die für diese Tour entfallen oder erst vor Ort besorgt werden, ausgestrichen sind. So kann ich eins nach dem anderen „abhaken“, - ohne diese Liste ist die Gefahr groß, etwas zu vergessen.
Als Lektüre habe ich „Unterwegs zu Swann“ (Proust, 1913) und „Die Reise nach Sofia“ (Schrobsdorff, 1986) dabei. Das erste Buch, weil es so schön kompakt ist (Dünndruck, 700 Seiten) und mir der Untertitel „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ gefällt und mich neugierig macht. Das zweite, weil es in Bulgarien spielt. In den Monaten vor der Abreise habe ich mich durch mehrere Reiseführer für jedes Land gewühlt, um sehenswerte Orte entlang meiner Route nicht zu verpassen. Mit dem Fahrrad kann man natürlich nicht jede Sehenswürdigkeit besuchen, sondern muss sich auf einige wenige beschränken. Das ist aber kein Problem, denn jeder Tag ist meist so gesättigt von Eindrücken, dass ich die „touristischen Highlights“ nicht vermisse.
Die Vorbereitungen nehmen wie immer einige Zeit in Anspruch, aber die genieße ich. Alles in Ruhe zusammenzusuchen und zu überprüfen, Alternativen für die Route auszutüfteln etc. hebt meine Vorfreude. Selbst für alles verantwortlich zu sein und zu organisieren, ohne sich auf einen Veranstalter zu verlassen, steigert das Reiseerlebnis. Das Hotel in Kumköy habe ich über ein Reisebüro reserviert. Ein Pauschalpaket aus Unterkunft und Flug kam nicht in Frage, da ich meinen Hinflug nach Antalya nicht verfallen lassen dürfte, - man würde mich dann auf dem Rückflug nicht mitnehmen! Warum das so ist, hat mir noch niemand schlüssig erklären können! Also müssen wir den Hin- und Rückflug für meine Frau und einen Flug Antalya - Hamburg für mich gesondert buchen. Der Transfer von Kumköy zum Flughafen inklusive Fahrrad muss daher ebenfalls vor Ort organisiert werden, - aber das wird schon klappen!
Neben den Reisevorbereitungen gibt es noch viel zu erledigen, denn ich werde insgesamt 51 Tage von zuhause abwesend sein. Ich reiche u.a. noch die Steuererklärung für das letzte Jahr ein, - jetzt bin ich der Meinung, alles getan zu haben!
Ausrüstungsliste
Österreich – Ungarn – Slowakei
Mein Weg durch Ungarn (© OpenStreetMap-Mitwirkende) (OpenStreetMap, 2015)
28.8.2012 Wien – Petronel Carnuntum
32km, 147 Höhenmeter, 26°C, sonnig.
Ich fliege mit Air Berlin von Hamburg nach Wien. Es ist nur ein Gepäckstück mit höchstens 23kg erlaubt, daher lasse ich vor dem Abflug meine vier Fahrradtaschen und das Zelt zu einem großen Würfel „folieren“, d.h. mit Plastikfolie umwickeln. Die Lenkertasche ist Handgepäck. Glücklicherweise besitzt der „Folierer“ eine Federwaage zur Kontrolle. Ein Buch kommt noch mit ins Handgepäck, dann sind die erlaubten 23kg erreicht.
Die Gepäckaufgabe inklusive des „verpackten“ Fahrrades klappt problemlos, ich muss lediglich etwas Luft aus den Reifen lassen, die Pedale bleiben dran und der Lenker wie er ist. Meine Frau hat mich zum Flughafen gebracht und wir trinken noch einen Kaffee zusammen. Abschied! Wegen des Fahrrades und des Gepäcks war ich sehr rechtzeitig am Flughafen und habe noch jede Menge Zeit, als die die Durchsage kommt: „Flug nach Wien eine Stunde verspätet!“ Na prima! In der Sicherheitskontrolle fallen die Metallplatten unter meinen Fahrradschuhen erstaunlicherweise wieder einmal nicht auf. Bis zum Abflug schlage ich die Zeit auf dem Flugsteig tot und werde Zeuge eines Gespräches zweier Männer aus der „IT-Welt“, die mit Ihren Erfahrungen mit SAP und der „Cloud“ prahlen. Wie ich das „vermisse“!
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