Der Vater hebt den blutenden Kopf und deutet mit der Hand auf seine Tochter. Ihre Hand liegt jetzt in meiner und wir sind in ihrem Zimmer.
Ein Raum, scheinbar luftleer, alle Gesetze außer Kraft. Tatsächlich existiert nur dieser Raum; schon der Rest der Wohnung ist nicht mehr real und verlässt uns. Die Schreie des Vaters, ihres Schreckens durch die Entfernung beraubt, verklingen weit hinter uns.
Sie setzt sich auf das Bett, starrt in den kleinen Fernseher. Ich sitze neben ihr, streiche ihr die stumpfen Haare nach hinten und spüre des Vaters Hilflosigkeit. Sein sinnloses Aufbäumen gegen mein sanftes Kosen ihrer Wangen. Sie beginnt zu schluchzen.
Nur wir zwei, auserwählt, in unserem Raum, losgelöst vom Menschsein. Wir verabschieden uns zu Horizonten, die uns wirkliche Freiheit versprechen. Ihre Schlafanzughose schiebe ich langsam nach unten. Geistesabwesend, den Fernseher nicht aus ihrem Blick verlierend, dreht sie sich leise wimmernd zur Seite, um die Hose besser abstreifen zu können. Elfenbein! Wie wahr dieses Wort ist! Meine Hand gleitet zwischen ihre Beine. Ihr Vater muss viel erleiden. Mein Schwanz regt sich auf und ich schließe ruhig die Augen.
Hiermit beschließe ich,
kraft der mir übertragenen Verantwortung für diesen Raum,
mein Recht wahrzunehmen, alle Gesetze aufzuheben.
Des Weiteren sind den Trieben und Instinkten eine
Generalamnestie zu gewähren. Um dies durchzusetzen, ist
Gewalt unbedingt anzuwenden und straffrei zu ahnden.
Da wir uns in einem Ausnahmezustand befinden,
ist das oben Genannte gerechtfertigt, um dem Chaos ein
Ende zu setzen.
Sie sitzt auf meinem Schoß. Das Streicheln ihrer Schenkel scheint sie zu beruhigen, ihr Wimmern hat aufgehört. Während ich meine Hose öffne, legt sie ihre kleinen Arme um meinen Hals.
So viel Liebe! So viel Glück, nur für uns zwei! Meine Augen schwanken, taumeln umher, doch bevor ich sie schließe, fallen sie auf ein Poster an der Wand. Ein kleines, weißes Lämmchen, das auf einer satten Frühlingswiese steht.
Ich betrachte es sehr lange, bis nach und nach seine Konturen verschwimmen und ich nur noch die Augen erkenne. Schwarze Augen, tiefe, schwarze Knopfaugen, die mich anstarren, fixieren, die mich durchbohren. Sie dringen ein in meinen Raum, in mein mühsam aufgebautes Reich und zerschmettern alles mit einem Schlag. Ich bin wie gelähmt. Kann mich nicht mehr abwenden. Da hebt es plötzlich den Kopf und spricht zu mir:
„Siehe, für mich war es nur ein Augenblick,
der dich im Innersten erschüttert hat und du
erkennst wohl, dass ich stärker bin, denn du
bist nur ein schwacher Herrscher, mit einem
kleinen Reich. Unser Kampf war kurz, deshalb
bin ich voller Gnade und überlasse dich nicht
der entfesselten Urgewalt, die jene zerschlägt,
welche sich vorher an ihrer Macht berauschten
und sich meiner Blicke widersetzten. So stelle
ich dich jetzt unter meinen schützenden Schild,
du stehst in meiner Schuld, ob du willst oder
nicht. Bedenke diese Worte wohl!“
Meine Hand streichelt das Mädchen wohl schon eine ganze Weile. Ihr Körper hängt müde an meiner Brust. Das Warten hat sie viel Kraft gekostet.
Durch die Dunkelheit des Zimmers sehe ich hinüber zu dem Fenster, starre auf die weit entfernten Lichtpunkte, die schwach im Nachthimmel flackern. Diese beängstigende Höhe raubt mir den Atem. Lautlosigkeit. Mein rauschender Blutstrom verlangt nach einer Zigarette. Das Mädchen setze ich neben mir auf das Bett. Ihre Augen wenden sich überrascht und fragend vom Fernseher ab. Im dunklen Zimmer, am geöffneten Fenster, sauge ich mit dem Rauch den milden Winterabend ein und vernehme entfernt, durch Luftmassen gefiltert, Irdisches. Stillstand, Ruhe, Nichts.
Die Tür fliegt auf, Kolja stürzt herein. Er sieht kurz auf uns und beginnt zu grinsen. „Ich kann dich nicht mitnehmen, muss noch einen Privatauftrag erledigen.“
Hoffentlich denkt er an meine Bezahlung. Es würde mich Überwindung kosten, ihn öfter darauf anzusprechen, aber ich brauche das Geld.
Im Wohnungsflur klebt überall Blut, die Kampfspuren an den Pressholzmöbeln weisen mir den Weg in die Küche. Hier liegt der Vater: Benommen, blutig, auf grauem Linoleum. Den Kopf an die Wand gelehnt, scheint er Kolja nichts entgegen gesetzt zu haben.
Langsam taste ich mich in die Küche hinein, bleibe dann stehen. Nicht das viele Blut lässt mich zögern, es sind seine Augen. In der Brechung das Versagen, die Unfähigkeit zu beschützen. Durch die physische Unterlegenheit, der Liebe die Berechtigung genommen zu haben. Man muss der Wahrheit ins Gesicht sehen: Reden ist Silber, schlagen ist Gold!
Das Mädchen sitzt noch immer verstört vor dem Fernseher im Kinderzimmer. Leise, kaum hörbar, flüstere ich ihr zu, dass ich den Notarzt gerufen habe. Wohl mehr zu meiner eigenen Beruhigung. Beim Verlassen der Wohnung erkenne ich mich wieder, streife alles ab, lass es hinter mir, entferne mich, schnell, schneller.
Das Licht ist aus! Dunkelheit! Lichtfetzen quellen aus den Türspalten, halten mich fest, am Abgang, befreie mich, nicht stehen bleiben, die Treppe und der Abstieg in die Welt beginnt! Hastig gerannt, halb gesprungen. Unten empfängt man mich mit Gebrüll. Zwei Hunde springen, mein Körper an der Wand, Wegrutschen, Schmerzen im Knie. Raus, fort von den Hunden, die Tür schlägt zu.
Unmöglichkeit des Stehenbleibens. Schnell, zwei Steinplatten auf einmal, planloser Rückzug aus der Siedlung am Rande der Stadt. Flucht in die Zivilisation. Das Gehen wird zum Rennen.
Im Wald beruhigt der tiefe, nasse Boden meinen ängstlichen Bewegungsdrang und ich bemerke, wie wieder das Denken von mir Besitz ergreift. Durch das Dickicht kann ich die Lichter einer großen Straße erkennen. Über bemooste Autoreifen und alte Plastikeimer arbeite ich mich dorthin vor. Auf dem festen Boden angekommen, gehe ich ein Stück die Straße entlang.
Der Fußgängerweg ist gesäumt mit Werbeplakaten, auf denen eine Krankenschwester zu sehen ist, die irgend so einen Schokoriegel zwischen ihre Brüste geklemmt hat. Ich bleibe kurz stehen.
Die U-Bahn fährt gerade davon. Warten. Lasse mich auf einem Plastiksitz nieder und betrachte den Boden. Der nächste Zug fährt ein. Ein milder Wind bläst mir die Haare ins Gesicht. Es ist spät. Im Wagen nur ein junges Pärchen, vertieft ins Liebesspiel. Ich setze mich in die Reihe dahinter. Im Glas spiegeln sich die Beiden und ich kann sie gut erkennen. Der Typ ist groß und muskulös, macht sich über das Mädchen her, schlägt die Zunge immer tiefer in ihren Hals. Sie presst ihren Unterleib wie eine in die Enge getriebene Wespe an den Oberschenkel. Seine Hand sucht das Naheliegendste unter dem Pullover. Beim Öffnen ihrer Augen blickt sie über seine Schulter hinweg auf mich und beginnt, mich lüstern anzuglotzen, versucht ein Lächeln mit seiner Zunge im Hals, breitet langsam ihre Beine auseinander. Ich wende mich ab und gucke aus dem Fenster. An meinem Starren ziehen Lichter vorbei, reißen lange Wunden in die Dunkelheit. Ich sehe das kleine Mädchen auf dem Bett. Wartend starrt es in den Fernseher. Es wendet sich um. Es hilft beim Öffnen des Gürtels. Es zieht die Hose herunter. Es setzt sich auf den Schoß. Tiefes Stöhnen - leises Wimmern. Der Fernseher ist aus. Er war immer aus. Sie hat ihrem Vater wohl sehr oft beim ausziehen helfen müssen.
Morgen muss ich Kolja nach dem Geld fragen. Vielleicht hat er ja einen neuen Job für mich. Ich brauche die Kohle, ich brauche Kolja. Ich glaube, er war schon immer ein Teil von mir.
Seht ihn euch an! Ein Kerl wie ein Baum. Hoch gewachsen in vollem Saft. Der blonde Scheitel fällt ihm immer wieder über das blauäugige Gesicht. Seine trockenen Muskeln, bespannt mit feiner, ehrlicher Haut. Wie er sich bewegt! Die Natur ist edel und gut, aber davon weiß er nichts. Ein Sohn, ein Bruder, ein Freund, wie man ihn trefflicher wohl nirgends findet. Seht ihn euch nur genau an!
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