Zwischen den alten Kastanienbäumen lugte der Mond hervor und so war es nicht verwunderlich, das Ole meine Hand nahm. Ganz selbstverständlich. Schließlich wussten wir ja nicht, ob nicht irgendein Täter in der Gegend war und uns auch eines Fingers berauben würde. Es war schon gut, eine Hand zu spüren. Auch wenn es die Hand von Ole war, den ich eigentlich so gar nicht mochte, oder?
Was da mit uns geschehen war, kann kaum in Worte gefasst werden, aber wir blieben stehen, direkt unter der alten Kastanie, schauten uns im Dunkel der Nacht an und dann. Noch nie war mir sein Grübchen so nah wie in diesem Moment. Noch nie habe ich vor Freude so gezittert wie an diesem Abend, noch nie hat mich ein Mann an einem Tatort geküsst.
Meine Güte, noch nie habe ich einen Finger in Bioabfällen gefunden und möchte es auch nie wieder machen.
Das offizielle Ende der Geschichte stand zwei Tage später in der Tageszeitung:
„Der Finger gehörte einem gewissen Herrn G. L. aus Hamburg. Getötet auf bestialische Weise. Die restlichen Körperteile wurden in diversen Biotonnen der näheren Umgebung gefunden. Der Täter hatte sich gestellt.“
Gestellt hatte ich mich der Situation die Beziehung mit Theo zu beenden.
Mit Ole begann eine neue Zeitrechnung. Eine Reise ins Reich der unbekannten Gefühle.
„Solange der Nagellack nicht trocken ist,
ist eine Frau praktisch wehrlos.“
Burt Reynolds
Herrje, was bin ich aufgeregt!
Dreißig Jahre sind vergangen und heute Abend treffe ich ihn. Den Mann, den ich sooo sehr geliebt habe und vielleicht immer noch im Herzen trage. Irgendwo hat er ein kleines Kämmerlein und wenn ich ganz unverschämt denke und mein Mann mich wieder mal total nervt, dann klopfe ich an die Tür dieses Kämmerleins und schwelge in wunderschönen Erinnerungen. Nur mit ihm. - Wie heißt er doch gleich?
Verdammt, aber den Namen vergesse ich mittlerweile immer öfter. Ach ja! Hanno-Sirius Meier. Okay, kein besonders schöner Name. Nur eben sehr eigen. Mit meinen fast sechzig Jahren habe ich so ab und an ein kleines Erinnerungsproblem.
Macht nichts, heute treffe ich ihn im Bistro „Baguette“, ein gemütliches Restaurant direkt neben dem kleinen Friedhof unseres Ortes.
Der Friedhof als solches macht mir nichts aus und mein Mann, Karl-Peter, weiß absolut nichts von diesem Treffen. Darf er auch nicht, denn schließlich habe ich ihm nie etwas von Hanno-Sirius erzählt. Er gehört mir! Ganz alleine mir, wenn auch nur in Gedanken.
Stundenlang habe ich mich heute aufgebrezelt. - Man was war das eine Arbeit!
Zuerst mal Pediküre, auch wenn Hanno-Sirius heute meine Füße ganz sicher nicht zu Gesicht bekommen wird, dann ein Schaumbad mit ätherischen Ölen, eine Haarkur, Maniküre mit intensiver Pflege gegen Altersflecken auf dem Handrücken, und dann das Drama mit dem Nagellack. Schön sollte er sein, auffällig und extravagant. Nur für ihn. Ich wählte schwarzen Nagellack, hatte aber zu diesem Zeitpunkt absolut keine Ahnung, wie schwierig es sein kann, diesen schwarzen Lack gleichmäßig auf zehn Fingernägel zu bekommen. In meinem Alter zittern die Finger schon mal und schnell geht der Lack dahin, wo er nun gar nicht hin soll. Ich gebe mir die größte Mühe und nach fast zwei Stunden sehen alles zehn Fingernägel annähernd gleich aus. Zum Trocknen halte ich sie in den Kühlschrank und werde bei dieser Prozedur von meinem Mann beobachtet, der kopfschüttelnd im Türrahmen steht und sich an seinen klein karierten, rot-grünen Hosenträgern fest zu halten scheint. Seine durchaus berechtigte Frage, was ich da mache beantworte ich mit nur einem einzigen Wort: „Schönheitspflege!“
Das reicht ihm. Er verlässt den Raum und ich höre ihn die Treppen hinauf schlurfen, nebenbei nach Luft schnappen ehe er wieder an seiner Menthol-Zigarette zieht. Ich rieche den kalten Qualm bis zum Kühlschrank und er widert mich an.
Die Prozedur des Trocknens ist beendet und ich kann mich nun um die Kleiderfrage kümmern. Früher, als Hanno-Sirius und ich ein Paar waren, da sagte er immer, ich sähe so brav aus. Na, das wollte ich heute Abend, nach dreißig Jahren auf keinen Fall hören. Ich entscheide mich also für ein türkisfarbenes Kleid, mit Schulterklappen, damit er meine mittlerweile etwas gekrümmte Körperhaltung nicht so sehen kann, dazu einem silbernen Gürtel, der meine Fettpölsterchen wunderbar kaschiert und eleganten, gelben Pumps aus Lack mit einer Zierschleife an der Außenseite. Perfekt!
Ich schaue mich im Spiegel an, drehe mich nach links und dann nach rechts. Na ja, ein bisschen eng ist dieses Kleid schon, meine Fettrollen an Hüfte und Taille sind gut sichtbar. Okay, meine Taille hat sich der Hüftbreite angepasst, aber was soll es, schließlich bin ich keine zwanzig mehr.
Meine Zehen tun jetzt schon weh, obwohl ich die Pumps gerade einmal eine viertel Stunde trage. Die ersten Kratzspuren an dem schwarzen Lack meiner Nägel sind auch schon zu sehen, aber ich fühle mich gut und fahre, mit reichlich Parfümduft bestäubt, in Richtung Bistro, parke meinen Kleinwagen neben dem Friedhofseingang und schaue auf meine Armbanduhr.
Knapp vor sechs, Hanno-Sirius war immer pünktlich, jedenfalls vor dreißig Jahren war er das. Ich steige aus und stolziere um meinen Wagen herum. Verdammt. Die Pumps meinen es nicht gut mit meinen Zehen und auch mein Hühnerauge, das einzige was ich habe, muckt auf. Warum kommt er nicht?
Schon fünfzehn Minuten über der verabredeten Zeit. Ich werde merklich nervöser. Sollte das ganze Schönheitsgetue für die Katze gewesen sein und er hatte mich versetzt? Eigentlich nicht seine Art. Vielleicht steht er ja im Stau, schließlich kam er von Bad Berleburg, wo er seine Frau zur Reha abgeliefert hatte. Neue Hüfte, wie er mir am Telefon sagte.
Dreißig Minuten und von Hanno-Sirius keine Spur. Gut, denke ich, dann gehe ich eine kleine Runde auf dem Friedhof spazieren ehe ich wieder zu Karl-Peter und seinen Menthol-Zigaretten fahre.
Ich gehe langsam auf dem sandig seichten Weg des Friedhofes, der für meine Pumps nicht gerade eine Wohltat ist, knicke einmal mit dem rechten Fuß in einer kleinen Pfütze um, habe aber schnell die Kontrolle wieder gefunden, stolziere dann an den Familiengräbern von Möbius und Kleinschmitts vorbei, bewundere die Statue auf dem Grab von Niggemeiers und sehe einem Käfer zu, der sich mit den Blütenblättern vom alten Pitter beschäftigt. Das Grab vom alten Pitter ist direkt neben einem frisch ausgehobenen Grab, in welchem noch kein Leichnam liegt.
Muss doch mal schauen, wie tief so eine Aushebung eigentlich ist, geht es mir durch den Kopf. - Vorsichtig trete ich näher an den Rand des Erdloches, welches bereits mit einem speziellen, grünen Stoff ausgelegt war. Ich beuge meinen Oberkörper leicht über die Tiefe um einen Blick ins Dunkel werfen zu können, als ich plötzlich dicht hinter mir eine laute Stimme höre: „Mann oh Mann, Hildegard. Du schaust ja klasse aus. Hast dich gar nicht verändert. Ganz wie früher!“
Und weg bin ich.
Ehe ich überhaupt auf die Worte reagieren kann rutsche ich in meinen gelben Pumps auf dem grünen Stoff aus und direkt in das ausgehobene leere Grab.
Halleluja!
Und nun? Wie peinlich das ist!! Und alles vor den Augen von Hanno-Sirius, dessen Stimme ich natürlich sofort erkannt habe, auch wenn ich ihn dreißig Jahre nicht gesehen hatte.
Rechts neben mir Erde, links neben mir Erde, an meinen Füßen krabbelt es und ich spüre einen Regenwurm, der sich über meinen Besuch sichtlich zu freuen scheint. Ich blicke nach oben und sehe Hanno-Sirius rechte Hand, die sich mir entgegenstreckt. Fünf widerlich fette Finger, an denen zwei hässliche Siegelringe sich in sein Fleisch schneiden. Mein Gott! Mein Hanno-Sirius ist kein drahtiger, junger Mann mehr, er ist ein dicker Klos, der sich nach Luft schnappend über die Grabstelle beugt, oder es jedenfalls versucht und mich nun retten will.
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