29.6.1961 29.6.1961 Viele Bilder habe ich bei mir nicht gefunden, auch bei meiner Mutter nicht. Das Meiste ist zu Asche und Staub zerfallen. Nur dieses eine, das Jakob bei seiner Taufe zeigt; aber es ist nicht viel von ihm zu sehen, so eingepackt, wie er ist.
30.6.1961 30.6.1961 Ich überlege …
1.7.1961 1.7.1961 Ich überlege immer noch. Gerhard hat doch bald Urlaub. Vielleicht lässt er sich überreden, mit mir nach Reichenberg zu fahren. Man kann ja inzwischen fast problemlos dorthin reisen. Es lebe der Sozialismus.
2.7.1961 Ingo T. Herzig Jakob Aus dem Tagebuch von Claudia W., geb. L. Dieses ebook wurde erstellt bei
3.7.1961 Ingo T. Herzig Jakob Aus dem Tagebuch von Claudia W., geb. L. Dieses ebook wurde erstellt bei
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5.7.1961 Ingo T. Herzig Jakob Aus dem Tagebuch von Claudia W., geb. L. Dieses ebook wurde erstellt bei
Reichenberg, 8.7.1961 Ingo T. Herzig Jakob Aus dem Tagebuch von Claudia W., geb. L. Dieses ebook wurde erstellt bei
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10.7.1961 Ingo T. Herzig Jakob Aus dem Tagebuch von Claudia W., geb. L. Dieses ebook wurde erstellt bei
11.7.1961 Ingo T. Herzig Jakob Aus dem Tagebuch von Claudia W., geb. L. Dieses ebook wurde erstellt bei
Berlin, 13.7.1961 Ingo T. Herzig Jakob Aus dem Tagebuch von Claudia W., geb. L. Dieses ebook wurde erstellt bei
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Boltenhagen, 17.7.1961 Ingo T. Herzig Jakob Aus dem Tagebuch von Claudia W., geb. L. Dieses ebook wurde erstellt bei
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Ingo T. Herzig
Jakob
Aus dem Tagebuch von Claudia W., geb. L.
Jens schläft und ich finde endlich wieder Ruhe und Muße für mein Tagebuch, das lange untätig in der Schreibtischschublade ausharren musste.
Seit zwei Tagen bin ich wieder aus dem Krankenhaus draußen. Die Geburt war nicht leicht und dauerte lange; aber schließlich und endlich entschloss sich unser Kleiner nun doch, sich ins Leben zu wagen.
Mutter und Kind sind wohlauf – und der glückliche Vater ebenfalls. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ihm die Geburt mehr Schmerzen bereitet hat als mir. Männer!
Auch die Sonne scheint sich zu freuen. Am Tag vor meiner Entlassung war es noch grau und regnerisch; doch als es nach Hause ging, strahlte die Sonne ebenso wie die ganze junge Familie Wolf.
Der Kleine ist aufgewacht. Ich muss nach ihm sehen.
Jens hat mich gestern ganz schön auf Trab gehalten. Er ist unglaublich lebhaft, braucht eine Menge Aufmerksamkeit. Darin unterscheidet er sich von Jakob.
Jakob! Auf einmal denke ich wieder an ihn. Die ganzen letzten Jahre habe ich so gut wie gar nicht an ihn gedacht.
Ja, genau darin unterscheidet sich Jens von Jakob. Jens braucht eine Menge Aufmerksamkeit und Zuwendung und holt sie sich auch; aber Jakob war die Ruhe in Person. Er meldete sich nicht, selbst wenn man ihn mal vergaß. Selten bei Babys.
Und doch sind sich beide so ähnlich. Wenn ich Jens so im Kinderwagen oder in der Wiege liegen sehe, fühle ich mich geradezu um zweiundzwanzig Jahre zurückversetzt und meine, Jakob vor mir zu haben. Sie haben beide außerdem fast am gleichen Tag Geburtstag. Jakob hatte am 9. Juni Geburtstag. Jens ist gerade mal einen Tag später geboren als Jakob – einen Tag und zweiundzwanzig Jahre später.
Stimmt, je mehr ich mir meinen kleinen Sohn anschaue, desto mehr bestätigt es sich: Er sieht meinem verstorbenen Cousin Jakob unheimlich ähnlich. Das Wort „unheimlich“ passt hier wie angegossen.
Ist „verstorben“ eigentlich das richtige Wort? „Verstorben“ klingt für mich eher nach einem natürlichen Tod. Jakob starb keines natürlichen Todes. Nichts war damals natürlich. Er wurde keine fünf Jahre alt. Heute wäre er 21. Was würde er heute machen? Wie würde er heute aussehen?
Ja, mir wird erst jetzt so richtig bewusst, dass ich die letzten Jahre nicht mehr an Jakob gedacht habe. Nun ist die Erinnerung auf einmal wieder da. So plastisch, als hätte ich ihn erst gestern das letzte Mal gesehen. Auch der Schmerz ist wieder da. Wahrscheinlich habe ich genau deswegen die ganzen Jahre nicht mehr an ihn gedacht – nicht an ihn denken können. Ich habe ihn verdrängt – das heißt, nicht ihn, Jakob, sondern die schmerzliche Erinnerung, die sich mit ihm verbindet. Vielleicht soll Jens mich an ihn erinnern, wer weiß.
20.6.1961, nachts bzw. früh am Morgen
Unheimlich – das Wort passt wirklich wie angegossen. Ich bin gerade schweißgebadet aufgewacht und bin jetzt so aufgedreht, dass ich nicht wieder einschlafen kann. Hoffentlich fühlt sich Gerhard durch das Licht nicht gestört. Er muss früh aufstehen.
Im Traum hörte ich einen lauten Knall. Nein, es war eher ein Donnerschlag, der alles erschütterte. Ich zuckte im Bett zusammen. Aber wach wurde ich erst durch das Weinen eines Kindes. Ich dachte zuerst, Jens habe geschrien; doch der lag ruhig in seinem Bettchen. Dann fiel es mir wieder ein: Ich hatte im Traum Jakob in seinem Kinderwagen liegen sehen und schreien hören. Das hat mich geweckt.
Auf einmal stehen sie wieder vor mir, die Bilder aus meiner Kindheit. Ich sehe unseren Wohnblock in Franzendorf, ich sehe mein Zimmer, die Kinder aus der Nachbarschaft, mit denen ich leidenschaftlich gern Abklatschspiele spielte. Ich hatte seitdem nie wieder daran gedacht – und plötzlich höre ich das Lied dieses Abklatschspiels wieder so deutlich, als hätte ich es erst gestern zusammen mit Gaby oder einer anderen Freundin aus der Kindheit gespielt.
Ich sehe auch Jakobs Elternhaus in Nieder-Hanichen, den wunderschönen Garten. Ich sehe die Wiesen, über die ich Jakob in seinem Kinderwagen oder in einem Leiterwagen spazieren fuhr. Alles ist wieder da! Es ist, als sei eine lange verschlossene Tür geöffnet oder aufgesprengt worden (der Donnerschlag im Traum). Ich fühle mich beklommen.
Gerhard hat mich beim Frühstück gefragt, ob ich ein Gespenst gesehen hätte, weil ich so blass und nervös sei. Wenn er wüsste, wie Recht er damit hat!
Ich verbringe ein paar Tage mit meinen Schwiegereltern auf deren Datsche im Brandenburgischen, um mich etwas zu erholen. Das war wirklich eine gute Idee. Gerhard muss arbeiten und braucht seinen Schlaf. Der Kleine ist wirklich das Temperament in Person. Von wem er das wohl hat? Aber es liegt gewiss nicht nur am Kleinen. Gerhard spürt meine Unruhe. Er war richtig gereizt.
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