Gelenkte Demokratie
In den Medien ist Manipulation durch Sprache kein Thema. Wer will sich schon mit dem konfrontieren, was er anrichtet? Es gibt weder einen breiten politischen Diskurs noch eine Debatte in den Medien, am wenigsten im Wissenschaftsbetrieb. Hier kommen Sprache und Schreiben als lebensdienliche Kulturtechniken allenfalls am Rande (und oft unwillig) vor. „ ... die Ausschaltung rhetorischer Lehrinhalte aus der akademischen Ausbildung [bedeutete] auch einen Verlust an kritischer rhetorischer Rationalität und [förderte] die Entstehung einer manipulierbaren Öffentlichkeit in der Massengesellschaft“, erklärt dazu Gert Ueding, Rhetorik-Professor aus Tübingen in seinem Buch „Moderne Rhetorik“. (Ueding, 2009)
Dagegen sind die Großmeister aus den „Public Relations“ seit jeher bestens beschlagen. Edward Bernays, ein Zeitgenosse Walter Lippmanns, machte keinen Hehl daraus, wie er die Dinge sah. „Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft. Wer die ungesehenen Gesellschaftsmechanismen manipuliert, bildet eine unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschermacht unseres Landes ist.“ Das erklärt Bernays in seinem 1928 erschienenen Buch mit dem Titel „Propaganda“. Bernays war auch maßgeblich beteiligt an der Umbenennung von „Propaganda“ in „Public Relations“, und er kannte seine Werkzeuge. Einer seiner größten Fans war Josef Goebbels, Reichspropagandaminister Hitlers.
Beispiele
Wie Sprache soziale Realität gestaltet, beschreibt die Linguistin Elisabeth Wehling anhand einer Meinungsumfrage zum Thema Kriminalitätsbekämpfung in einer fiktiven Stadt. Zwei Texte wurden vorgelegt, beider Grundlage waren dieselben Zahlen und Statistiken. Doch sie nutzten unterschiedliche Frames, einen Virus-Frame wie in „Kriminalitätsvirus infiziert die Stadt ... und befällt alle Wohngegenden“ und einen Raubtier-Frame wie in „Das Kriminalitätsraubtier jagt zunehmend in der Stadt ... Heute lauert ... Kriminalität in allen Wohngegenden.
Gefragt, ob präventive Sozialpolitik oder harte Gefängnisstrafen das beste Mittel seien, plädierte die Virusgruppe für bessere Bildung und den Abbau von Armut, um das gesellschaftliche System widerstandsfähiger gegen das ‚Virus Kriminalität’ zu machen. Die Raubtiergruppe plädierte für mehr Polizei und dafür, die Raubtiere einzusperren.
Auch wer bei Umfragen bestimmte Ergebnisse erzielen will, achtet auf die Worte. Denn von der Wortwahl in der Frage sind die Antworten abhängig. Der Meinungsforscher Tom W. Smith fand z. B. heraus, dass man „Armen“ gern helfen würde, wohingegen „Wohlfahrts- bzw. Sozialhilfeempfänger“ eher leer ausgingen. Schließlich liegen die dem Staat auf der Tasche – ein allzu vertrautes Framing.
Ganz fabelhaft wird es, wenn Zeugen eines Unfalls (man zeigte zwei Gruppen denselben Film) mit verschiedenen Worten nach dem Hergang der Ereignisse gefragt werden, berichtet der Linguist Robert Shuy. Die Personen schätzten die Geschwindigkeiten von Fahrzeugen unterschiedlich ein je nachdem, mit welchen Worten sie danach gefragt wurden. Wurden sie danach gefragt, wie die Wagen „ineinanderkrachten“, gaben sie höhere Geschwindigkeiten an als die Gruppe, die man nach dem Hergang des „Aufpralls“ fragte.
Wie kann Manipulation durch Sprache so gut funktionieren? Der Kognitionswissenschaftler Arthur Jacobs erklärt es uns: „Beim Lesen wie beim Sprachverstehen sind Prozesse im Spiel, die auf denselben oder ähnlichen neuronalen Mechanismen beruhen wie beim direkten Erleben. Diese mentale Simulation verbal oder schriftlich beschriebener Situationen bewirkt demnach ( ... ) eine mit der realen Wahrnehmung vergleichbare, bisweilen sogar stärkere Eindrücklichkeit. Das Schriftbild von Worten und Sätzen stellt dieselbe Art von sensorischen Reizen dar wie Objekte oder Gesichter.“ (Schrott, Jacobs, München 2011) Und mehr noch. „Nur“ Wörter sind imstande, das Gehirn auf physische Bewegung vorzubereiten. „Allein an einen Kiesel zu denken“, so Jacobs, „bereitet uns schon darauf vor, die Hand auszustrecken, die Finger zu schließen und mit dem Arm auszuholen.“
Doch dazu später mehr.
Nun? Sollte es sich nicht lohnen, einen Blick hinter die Kulissen der Sprache zu werfen? Es ist natürlich bequem, sich manipulieren lassen, und wenn es gerade gelegen kommt, etwas in einen Text hineinzulesen, was gar nicht darinsteht. Es ist auch bequem, sich durch Wörter dazu zu bringen zu lassen, etwas zu denken, was diejenigen wollen, die die Wörter benutzen.
Aber wäre selber denken nicht eine prima Alternative?
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